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Corona-Krise: Vom Protest zur Partei: Was steckt hinter "Widerstand 2020"?

Corona-Krise

Vom Protest zur Partei: Was steckt hinter "Widerstand 2020"?

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    Die Gegner der Anti-Corona-Maßnahmen demonstrieren seit Wochen in ganz Deutschland und haben nun sogar eine eigene Partei gegründet.
    Die Gegner der Anti-Corona-Maßnahmen demonstrieren seit Wochen in ganz Deutschland und haben nun sogar eine eigene Partei gegründet. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Hinter den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus verbirgt sich eine große Verschwörung. Die Einschränkungen sind maßlos übertrieben, die Politik schafft bewusst die Freiheitsrechte der Menschen ab. Anhänger dieser Theorien gehen auf sogenannten Hygiene-Demos derzeit überall in Deutschland auf die Straße, fordern eine "Beendigung des Notstand-Regimes". Manche von ihnen bezweifeln sogar die Existenz des neuartigen Virus. Und nun haben sie sogar eine eigene Partei gegründet: "Widerstand 2020".

    Mehr als 100.000 Mitglieder soll diese nach eigenen Angaben bereits haben. Damit wäre die Partei innerhalb weniger Tage zur viertgrößten des Landes gewachsen. Auf der Webseite genügt jedoch eine einfache Registrierung mit Angabe einer Mailadresse, um als Mitglied gezählt zu werden. Ein Beitrag ist derzeit nicht fällig, die Partei finanziert sich ausschließlich über anonyme Spenden, heißt es auf der Internetseite. Auf der offiziellen Facebook-Seite – hier muss man sich mit einer Mitgliedernummer registrieren – sind es nur etwa 4000 Anhänger. Wie viele reale Menschen sich hinter den Partei-Anmeldungen befinden und wer sich am Ende wirklich engagieren, bleibt damit fraglich. Anfragen unserer Redaktion an die Gründerin Victoria Hamm dazu blieben unbeantwortet.

    Protest-Partei "Widerstand 2020" will bei der nächsten Bundestagswahl antreten

    Die 36-Jährige, die in der Nähe von Hannover wohnt, hat die Partei Mitte April ins Leben gerufen. Dem ZDF sagte die Psychologie-Studentin, die als Paarberaterin arbeitet, kürzlich, dass sie die Webseite aufgesetzt habe, weil sie sich angesichts der Corona-Maßnahmen machtlos gefühlt habe und Widerstand leisten wollte. Davor sei sie politisch nicht aktiv gewesen. Tatkräftige Unterstützung hat sie sich mit dem Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig und dem HNO-Arzt Bodo Schiffmann aus Sinsheim ins Partei-Boot geholt. Letzterer betreibt einen Youtube-Kanal mit 133 000 Abonnenten. In seinen Videos spricht Schiffmann von einer bewusst verbreiteten Massenpanik, von über 80-Jährigen, bei denen man Sterbehilfe leiste, oder dass Corona nur ein "Hüsteln" sei. Eine mögliche Impfung gegen den Virus nennt der Arzt Körperverletzung.

    Diese alternativen Ansichten unterstützt auch "Widerstand 2020". Die Partei wolle bei der nächsten Bundestagswahl antreten, ist auf der Webseite zu lesen. Ein Parteiprogramm gibt es bislang allerdings nicht, auch auf der Internetseite nennt das Trio kaum konkrete Positionen. Dort heißt es unter anderem, die Freiheit solle über allem stehen. Und das soll so funktionieren: Die Abgeordneten des Bundestags sollen durch ein Notstandsparlament aus 700 Menschen, die in der Vergangenheit nicht in der Politik tätig waren, ersetzt werden. Zudem fordert die Gruppe eine Reformierung des Grundgesetzes. Außerdem sei eine App geplant, mit der Parteimitglieder Ideen austauschen und abstimmen können.

    Experte warnt bei "Widerstand 2020" vor Vereinnahmung durch Rechtsextreme

    Eine richtige Partei ist "Widerstand 2020” aber noch gar nicht, sagte die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger dem ZDF: "Um eine Partei zu sein, braucht man ein Mindestmaß an politischem Programm.” Auch die anonymen Spenden, zu denen die Gründer im Internet aufrufen, seien nicht mit dem Parteiengesetz vereinbar. Zum jetzigen Zeitpunkt, so Schönberger, sei die Parteieigenschaft damit ausgeschlossen.

    Der Chef des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), Matthias Quent, warnt indes eindringlich vor einer Vereinnahmung der Corona-Krise und einer Instrumentalisierung von "Widerstand 2020" durch Rechtsextremisten. "Bisher haben die Unzufriedenen und Frustrierten, Verschwörungserzähler, Esoteriker, Impfgegner, Antisemiten und Rechtsradikale hierzulande kein Kollektiv gebildet und daher ist die Gefahr überschaubar", schrieb er kürzlich auf Twitter. Das habe sich nun geändert, berichtet der Polit-Soziologe, da "Widerstand2020" versuche, genau diese gesellschaftlichen Milieus miteinander zu vereinen. Die Bewegung halte er zwar nicht per se für rechts, vor allem sei sie populistisch. Doch er warnt vor einer starken Bewerbung in rechten Kanälen: "Rechte Narrative und Akteure sind sehr präsent und versuchen das zu vereinnahmen."

    Quent und Sandro Witt, Vorsitzender der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen, weißen in einer gemeinsamen Mitteilung eindringlich darauf hin, dass der Protest bereits von rechtsextremen und antidemokratischen Akteuren missbraucht und instrumentalisiert werde.

    Dass die massiven psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu Frustrationen, Verunsicherungen, Protesten und zu neuen politischen Akteuren führen, sei verständlich und völlig normal, heißt es in der Mitteilung: "Menschen suchen nach Antworten, die die Politik offenbar nicht für alle befriedigend und verständlich liefert." Doch die Krise werde bereits dazu benutzt, um Menschen gegeneinander, gegen die Wissenschaft und gegen politische Verantwortungsträger aufzubringen.

    Unmissverständliche Distanzierung von rechtsextremem Gedankengut ist notwendig

    Dies geschehe zum Einen, in dem die Coronakrise mit sachfremden, aber klassisch rechtsextremen Themen wie Migration und Muslimfeindlichkeit in Verbindung gebracht oder in dem die Krise als Komplott der Bundesregierung oder besonders reiche Menschen, wie Bill Gates, dargestellt werde. "Oft stehen dahinter die antisemitische Ideologie über eine angebliche jüdische Verschwörung, um mit der Krise eine ’Neue Weltordnung’ gegen die deutsche Bevölkerung durchzusetzen", schreiben Quent und Witt. Zum anderen hätten sich mancherorts bereits bekannte Rechtsextreme an die Spitze der Proteste gestellt. Propagandistische Beiträge rechtsextremer Medien werden den Experten zufolge in den Corona-Protestgruppen im Internet geteilt: "Damit wird einer Normalisierung des Rechtsextremismus Vorschub geleistet."

    Die Protagonisten gäben dabei vor, weder rechts noch links zu sein, sondern das Volk erwecken und vereinen zu wollen, warnen die Experten. Rechtsextreme verstärkten die Verunsicherungen durch Falschnachrichten, Übertreibungen, Emotionalisierung und das Schüren von Ängsten, berichten Quent und Witt: "Sie missbrauchen Unzufriedenheit und Naivität von Mitläufern und schaden letztlich legitimen, demokratischen Anliegen wie dem Schutz von Grundrechten."

    Damit die Sorge um die Demokratie in der Corona-Krise nicht zum Bumerang werde, fordern die zwei Experten, seien bei "Widerstand 2020" und anderen Corona-Protesten jetzt unmissverständliche Distanzierungen und der Ausschluss von Personen, Parteien und Gruppen notwendig, die antisemitische und rechtsextreme Positionen, Medien und Quellen verbreiteten.

    Über alle wichtigen Entwicklungen bezüglich des Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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