Die FDP wirft der Bundesregierung massive Versäumnisse im Umgang mit der Corona-Pandemie vor. In einem Brief an die liberale Bundestagsfraktion listet deren Vizechef Michael Theurer zahlreiche Kritikpunkte auf. Er berichtet zudem, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ihn am Telefon angeschrien habe, als er die Absage der Tourismusmesse ITB forderte.
Was die Wirksamkeit von Gesichtsmasken gegen die Corona-Verbreitung betrifft, sei die Bevölkerung „angelogen worden“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion exklusiv vorliegt.
Theuer übt Kritik am Corona-Krisenmanagement
Theurer sagt: „Der Eindruck, Bund und Länder hätten von Anfang alles getan, um die sich abzeichnende Pandemie zu bekämpfen, ist falsch. Sie agierten zögerlich, inkonsequent und mit beinahe täglich wechselnden Botschaften.“ Dadurch sei wertvolle Zeit vertan worden, „die durch einen immer länger werdenden Shutdown teuer bezahlt werden muss“.
FDP-Chef Christian Lindner hatte diese Woche Im Bundestag der Regierung den Corona-Burgfrieden aufgekündigt. Nun soll das Schreiben Theurers offenbar den Kurs für weitere Attacken vorgeben. „Chronologie des Versagens“ hat er es überschrieben. Das Versagen, heißt es darin, habe Jahre vor dem Corona-Ausbruch begonnen.
Der liberale Gesundheitsminister Daniel Bahr habe 2013 eine Risikoanalyse für die Verbreitung eines derartigen Erregers vorgelegt. Doch folgende Regierungen hätten nicht gehandelt, so Theurer. Deshalb fehle es bis heute an Mundschutz-Masken und anderer medizinischer Ausrüstung.
Auch Merkel habe das Coronavirus am Anfang unterschätzt
Nachdem die erste Corona-Infektion in Deutschland bekannt geworden sei, habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) davon gesprochen, dass das Virus kein Grund zur Besorgnis sei. Ebenfalls am 28. Januar habe Bundesgesundheitsminister Spahn zur Gelassenheit gemahnt. Anschließend sei die Kanzlerin bis zum 11. März abgetaucht.
Weiter beklagt Theurer, er habe am 14. Februar einen Krisengipfel von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gefordert. Doch der habe im Radio gesagt: „Im Augenblick glaube ich, dass dadurch keine große Belastung der Weltwirtschaft einhergeht.“ Noch Anfang März habe Altmaier eingeräumt, keinen Notfallplan zu haben.
Hart ins Gericht geht Theurer auch mit einigen Landesregierungen. Trotz bereits bekannter Corona-Gefahr sei etwa im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg Karneval gefeiert worden. Und in Bayern hätten Starkbierfeste stattgefunden, die sich ebenfalls als Verbreitungsherde herausstellten. Der Twitter-Aufruf von Spahn gegen die Durchführung von Großveranstaltungen sei zwölf Stunden nach dem Fußballspiel Gladbach gegen Dortmund gekommen.
Die Quarantäne für Reisende kam viel zu spät, kritisiert Theurer
Reisende aus Hochrisiko-Gebieten konnten nach Theurers Ansicht viel zu lange ohne Quarantäne, Schnelltests oder auch nur Fiebermessung nach Deutschland einreisen. Noch am 6. März habe Spahn gesagt, dass er jede Einschränkung des Reiseverkehrs für nicht angemessen halte. Theurer berichtet, dass er am 28. Februar die Absage der Reisemesse ITB gefordert habe. Daraufhin habe er einen Anruf des Gesundheitsministers bekommen. „Spahn schreit mich am Telefon an und bezichtigt mich der Panikmache“, schreibt Theurer. Tags darauf wurde die ITB abgesagt. Ebenso habe Spahn am 14. März auf sozialen Netzwerken verbreitet, Berichte über bevorstehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens seien „Fake News. Zwei Tage darauf wurden diese verkündet.
Immer wieder habe Spahn von einer „Neuen Lage“ gesprochen, „obwohl sich alles genau entwickelt wie zum jeweiligen Zeitpunkt von den meisten Experten prognostiziert“. Das mache den Eindruck, als ob die Bundesregierung entweder noch immer keinen Plan für die wahrscheinlichsten Szenarien habe, „oder die Bevölkerung gezielt anlügt, um sie mit Beschlüssen zu überrumpeln“. Den Vorwurf der Lüge erhebt Theurer auch in einem weiteren brisanten Punkt: „Die Bevölkerung wurde offenbar lange über die Wirksamkeit von einfachen Textil-Schutzmasken angelogen, statt sie darüber aufzuklären.“
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