Die Zahl der Corona-Neuinfektionen bewegt sich auf niedrigem Niveau - doch zum Stillstand kommt sie bis auf wenige Ausnahmen bislang nicht. Vor allem der Umgang mit den sogenannten Hotspots, also lokal begrenzten starken Anstiegen, macht der Politik derzeit Sorge. Die erwägt daher ein regionales Ausreiseverbot. „Darüber diskutieren wir als eine Maßnahme, ob das nicht am Ende eine bessere Variante ist, als wenn man am Urlaubsort ankommt, um dann zurückgewiesen zu werden“, sagte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“.
Ganze Landkreise sollen stattdessen mit Ausreisebeschränkungen belegt werden. Die Frage sei, ob es im Falle einer unklaren Infektionssituation nicht sinnvoller sei zu sagen: „Es bleiben hier in dieser Region mal alle zuhause, möglichst präzise gefasst, da wo man auch wirklich Ausbruchssorgen hat, um dann dort so flächig zu testen, dass man nach wenigen Tagen sagen kann, wir haben alle Infektionsketten entdeckt“, erklärte der CDU-Politiker. Danach könne man „schnell wieder zur Normalität“ übergehen und habe „damit wirklich sehr vollständig die Infektionen erfasst“.
Gemeindetag hält Corona-Ausreiseverbot für unverhältnismäßig
Kritik an den Plänen gibt es unter anderem vom bayerischen Gemeindetag. „Ich bin überrascht“, sagt Verbandssprecher Wilfried Schober. Bayern habe den Katastrophenfall längst aufgehoben, entsprechend fehle auch eine rechtliche Grundlage für eine solch massive Maßnahme. Die Grundrechte könnten nicht so einfach eingeschränkt werden. „Mir ist nicht klar, auf welches Gesetz man einen solchen Eingriff stützen könnte“, sagt Schober unserer Redaktion. Ohnehin habe der Bund keinerlei Durchgriff auf die Landkreise und ihre Bewohner. So kann Berlin nur wie bisher auch versuchen, die Bundesländer zu einer einheitlichen Haltung zu bewegen. Ohnehin hat Schober große Zweifel, ob ein solches Vorgehen überhaupt angemessen wäre. „Ich halte das für überzogen“, sagt er. „Da würden ganz schnell die Gerichte herangezogen werden.“ Auch in Gütersloh war es letztlich ein Gericht, das die Corona-Einschränkungen innerhalb kurzer Zeit wieder kippte – die Richter hielten einen Lockdown für den ganzen Kreis nicht verhältnismäßig. „Wir müssen andere Maßnahmen finden, als gleich eine Art Kollektivstrafe für die gesamte Bevölkerung eines Landkreises“, fordert Wilfried Schober.
Unterstützung erhält das Kanzleramt vonseiten der Polizei. Der Landkreis sei die kleinste Verwaltungseinheit. „Ich halte das deshalb für angemessen“, sagt Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. „Es ist besser, als wieder flächendeckend Maßnahmen zu ergreifen - wir müssen eine Gefahrenabwehr für die Gesamtgesellschaft organisieren.“ Wichtig sei es, für eine entsprechende Akzeptanz in der Bevölkerung zu werben. Sensibel und kleinteilig müsse die Politik mit dem Thema umgehen – das heißt: So wenige Menschen wie möglich einschränken, die Gründe so gut wie möglich erklären. „Wir erleben schon jetzt, dass die Menschen die Maßnahmen gut akzeptieren, die sie verstehen – weil es ja um ihren eigenen Gesundheitsschutz geht“, sagt Radek. Problematisch sei es immer dann, wenn Maßnahmen widersprüchlich oder unlogisch sein.
Sollten tatsächlich Ausreiseverbote aus Corona-Hotspots eingeführt werden, seien zunächst die Ordnungsämter für die Kontrollen zuständig. „Wir als Polizei sind dann gefragt, wenn die Ordnungsämter merken, sie können sich nicht durchsetzen“, sagt Radek. Ist das realistisch? „Wir werden das als Polizei organisieren müssen“, stellt der Gewerkschafter klar.
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