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Corona-Kosten: Krankenkassen warnen vor Beitragsanstieg nach Bundestagswahl

Corona-Kosten

Krankenkassen warnen vor Beitragsanstieg nach Bundestagswahl

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    Finanziell gesunde Krankenkassen drohen doppelt und dreifach zu Verlierern der Pandemie-Finanzierung der Bundesregierung zu werden.
    Finanziell gesunde Krankenkassen drohen doppelt und dreifach zu Verlierern der Pandemie-Finanzierung der Bundesregierung zu werden. Foto: Kalaene, dpa

    Die Corona-Krise wirbelt das Gesundheitssystem kräftig durcheinander: Im Frühjahr fielen viele geplante Operationen aus, sowohl Ärzte als auch Patienten mieden persönlichen Kontakt in der Praxis und die Kliniken erhielten hohe Ausgleichszahlungen dafür, dass sie ihre Betten und damit auch die knappen Kapazitäten ihres Pflegepersonals für die Behandlung von Corona-Patienten freihielten.

    Seit Wochen rollt die zweite große Pandemiewelle über Deutschland hinweg: Die Zahl der Covid-Intensivpatienten ist bereits höher als im Frühjahr und steigt – mit Verzögerung – genauso stark wie die Zahl der Neuinfektionen. Immerhin bahnt sich die Zulassung eines ersten Impfstoffs in Europa an. Doch Massenimpfungen sind kostspielig.

    Wer zahlt die Corona-Massenimpfung?

    Der AOK-Bundesvorstandsvorsitzende Martin Litsch hofft, dass Bund und Länder die Kosten für Impfstoff sowie für die Finanzierung der Impfzentren übernehmen. „Aus unserer Sicht wäre das eine angemessene Lösung, denn der Infektionsschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und betrifft nicht nur gesetzlich Krankenversicherte“, sagt er unserer Redaktion. Biontech-Chef Ugur Sahin hat einen Preis von 17 Euro pro Impfdosis für Industrieländer in Aussicht gestellt, arme Länder sollen ihn billiger bekommen. Bei geplanten 100 Millionen Impfdosen für die Zweifach-Impfung wären das für Deutschland samt Logistikkosten rund zwei Milliarden Euro.

    Doch selbst wenn der Bund die Kosten übernimmt, warnt AOK-Chef Litsch vor spürbaren Beitragserhöhungen, denn die Corona-Krise trifft die Krankenkassen doppelt: „Auf der einen Seite haben die Krankenkassen zusätzliche Kosten durch die Corona-Krise“, sagt er. „Auf der anderen Seite brechen die Beitragseinnahmen weg“, betont er mit Blick auf steigende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Die Einnahmen hielten nicht mit dem Kostenanstieg Schritt.

    Pandemie geht vor allem auf Rechnung der gesetzlich Versicherten

    „So läuft die Finanzierung der zusätzlichen Intensivbetten, des Bonus für Pflegekräfte und der Covid-19-Testungen der Bevölkerung nach wie vor allein auf Rechnung der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung“, erklärt Litsch und kritisiert, „dass die private Krankenversicherung nicht ausreichend an den Kosten der Pandemie beteiligt wird“. Nach Auffassung der Kassen müsste jedoch der Staat für diese Kosten aufkommen. „Es handelt sich hierbei um gesamtgesellschaftliche Aufgaben, deren Kosten aus Steuergeldern bezahlt werden müssten, statt sie auf die Beitragszahler in der Krankenversicherung abzuwälzen.“

    Viele Pandemiemaßnahmen werden direkt aus der Reserve des Gesundheitsfonds entnommen. „Dazu gehört etwa der 50.000-Euro-Bonus je Intensivbett, der mit dem Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz beschlossen wurde“, sagt Litsch.

    Und nicht nur die Pandemie, auch weitere Gesetze von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern, die Digitalisierung im Gesundheitssystem, die Versorgung mit Heilmitteln oder zur Erweiterung der Sprechstunden treiben die Ausgaben der Kassen hoch. Zugleich steigen die Arzneimittelpreise der Pharmaindustrie ungebremst.

    Zusatzbeitrag könnte sich auf 2,5 Prozent verdoppeln

    Nächstes Jahr klafft ein Milliardenloch, das die einst im Konjunkturboom angehäuften Rücklagen der Kassen in Rekordtempo dahinschmelzen lässt: Der von Spahn in der Pandemie versprochene höhere Bundeszuschuss von fünf Milliarden Euro reicht bei weitem nicht für die für 2021 vorhergesagte Finanzlücke von über 16 Milliarden Euro. „Die Koalition will das Milliardenloch zu mehr als zwei Dritteln mit dem Geld der Beitragszahler stopfen, indem die Krankenkassen geschröpft werden und der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz erhöht wird“, kritisiert der AOK-Chef.

    „Ohne Gegensteuern droht dann ein Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitrags von 1,3 Prozent auf 2,5 Prozent“, warnt er vor einem Beitragsschock nach der Bundestagswahl. Ein so hoher Zusatzbeitrag würde für viele Kassenversicherte den Großteil möglicher Lohn- und Rentenerhöhungen auffressen und die Lohnnebenkosten für Unternehmen erhöhen. Arbeitgebervertreter befürchten, dass die Sozialabgaben-Schwelle von 40 Prozent nach der Wahl ab 2022 durchbrochen wird.

    Auch Bayerns TK-Chef kritisiert ungerechte Finanzierung

    Für die Kassen entsteht ein weiteres Problem: Die Rücklagen sind unter den Anbietern unterschiedlich hoch. „Finanziell gesunde Kassen werden dadurch doppelt und dreifach gebeutelt“, sagt Litsch. Das sehen auch andere Kassen so: „Der geplante Griff in die Rücklagen und der zu geringe Steuerzuschuss ermöglichen den Kassen nicht, solide zu kalkulieren und zu wirtschaften“, sagt der Bayern-Chef der Techniker Krankenkasse, Christian Bredl. „Kassen, die in den letzten Jahren gut und vorausschauend gewirtschaftet haben, würden so bestraft.“ Die TK zählt laut Experten ebenso wie viele AOK-Verbände zu den Verlierern von Spahns Politik.

    „Von den fehlenden fast 17 Milliarden im Jahr 2021 soll nicht mal ein Drittel vom Staat kommen“, kritisiert der TK-Bayern-Chef. „Die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung werden dadurch übermäßig belastet“, sagt Bredl. „Viele kostenintensive Pandemie-Maßnahmen, wie die Aufstockung der Intensivbetten, Schutzausrüstungen oder Rettungsschirme werden bis heute fast ausschließlich von den gesetzlich Versicherten finanziert.“

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