Der Corona-Winter ist eine harte Zeit. Für viele Menschen hat er die schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Schon am Dienstag will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten treffen, um über ein noch härteres Vorgehen zu beraten.
Warum wird schon wieder über strengere Maßnahmen diskutiert?
Da ist der Druck der bloßen Zahl: Um die Situation einigermaßen unter Kontrolle zu haben, muss der Inzidenzwert nach Meinung von Wissenschaftlern auf unter 50 sinken - und zwar mindestens. Manche Mediziner halten einen Inzidenzwert von 25 für sinnvoller. Erst dann könne sichergestellt werden, dass die Zahlen nicht innerhalb kürzester Zeit nach oben gehen. Als mahnendes Beispiel gilt der Regierung Irland: Das Land hat sich innerhalb kürzester Zeit vom Musterschüler zum Corona-Sorgenkind entwickelt – der Inzidenzwert stieg zwischenzeitlich auf über 900 (Deutschland: knapp 150). Unter anderem liegt das an der Virus-Mutation, die die Ausbreitung deutlich beschleunigt.
Kaum etwas wird derzeit mit größerer Sorge beobachtet als die Mutation. Verbreite die sich erst einmal massenhaft in Deutschland, komme es zum Kollaps in den Kliniken und die Reaktion auf die Pandemie werde noch schwieriger. Denn je höher die Zahl der Infizierten ist, umso wahrscheinlicher sind weitere Mutationen. Aber noch etwas schreckt die Politik beim Blick nach Irland auf: Offenbar wurde zu schnell gelockert, der Regierung in Dublin ging die Puste aus. Der zweite Lockdown sei zu früh beendet worden, außerdem habe es über die Weihnachtsfeiertage zu viele Kontakte gegeben, sagt etwa Tomás Ryan vom Trinity College Dublin. „Die Regierung ist vor kurzfristigen Interessen von Unternehmen eingeknickt.“ Regierungschef Micheal Martin hatte kurz vor Weihnachten die Schließung von Pubs und Restaurants ab dem 24. Dezember angeordnet. Das sei zu spät gewesen, zumal Reisen innerhalb des Landes noch bis zum 27. Dezember erlaubt waren, kritisiert Ryan.
Seit dem 1. Januar sind landesweit schärfere Maßnahmen in Kraft, so sind nicht lebensnotwendige Geschäfte und Einrichtungen geschlossen und private Besuche verboten, nicht einmal im eigenen Garten dürfen Bekannte empfangen werden. Seither sinken die Zahlen wieder leicht. Ryan fordert: „Wir brauchen eine aggressive Unterdrückung des Virus mit strikten Restriktionen.“ Damit kennt sich Irland aus. Denn lange galt das Land als Vorzeige-Corona-Kämpfer. Geöffnet waren zwar Schulen, Kitas und lebensnotwendige Geschäfte. Doch fast alles andere war verboten: Es gab keine Treffen mit Angehörigen anderer Haushalte, Menschen durften sich nur in einem Radius von fünf Kilometern bewegen, für den Weg zum Arbeitsplatz brauchten sie eine Genehmigung. Mitte Dezember lockerte die Regierung ihre Vorgaben – die Kombination aus der wiedergewonnen Freiheit und der Virus-Mutation wurde zum Brandbeschleuniger.
Wird das Homeoffice zur Pflicht?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft fast schon flehentlich dazu auf, stärker auf das Homeoffice zu setzen. „Ermöglichen Sie das Arbeiten von zuhause aus“, sagte er an Unternehmen, Personalverantwortliche und Führungskräfte gerichtet. Die Frage ist, ob der Appell reicht. Ungewöhnlich scharf kritisiert DGB-Chef Reiner Hoffmann die Arbeitgeber: „Fakt ist, dass viele Unternehmen und Verwaltungen auch dort, wo es gut möglich wäre, kein Homeoffice anbieten. Offenbar liegt dies an einem antiquierten Führungs- und Kontrollverhalten“, sagte Hoffmann der Rheinischen Post und forderte einen Rechtsanspruch der Beschäftigen auf Homeoffice.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi stimmt in die Arbeitgeberschelte des DGB-Chefs nicht ein. „Wir haben keine Rückmeldungen von Mitgliedern, die sich darüber beschweren, dass Arbeitgeber sich gegen Homeoffice sperren“, sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk unserer Redaktion. Viel eher gebe es ein anderes Problem, das ehrgeizige Homeoffice-Konzepte bei Behörden, aber auch in der Privatwirtschaft ausbremst: Es sei oft schwierig von heute auf morgen zu Hause die Standards für Datenschutz und IT-Sicherheit zu erfüllen.
Doch es geht längst nicht nur um Unternehmen und private Firmen. Auch Bund und Länder müssen sich fragen lassen, ob nicht mehr Mitarbeiter von zu Hause arbeiten könnten. „Wir haben schon lange vor Corona darauf hingewiesen, dass sich Teile des Öffentlichen Dienstes noch in der Kreidezeit befinden, was die Digitalisierung anbelangt“, sagt der Sprecher des Deutschen Beamtenbundes (dbb), Frank Zitka, unserer Redaktion. Je näher die Behörde am Bürger ist, desto schlechter sei oft die digitale Ausstattung, die für das Arbeiten von zu Hause unerlässlich ist: „Bundes- und Landesverwaltungen sind meistens besser ausgerüstet als kommunale Behörden.“
Die Stadt Augsburg sieht sich auf einem guten Weg: So sei es gelungen, die Gefahr von Virusübertragungen am Arbeitsplatz deutlich zu verringern, heißt es auf Anfrage. 2200 Mitarbeiter müssen derzeit nur wenige Meter bis zu ihrem Arbeitsplatz zurücklegen: Über die Hälfte der Personen mit PC-Arbeitsplatz sind im Homeoffice – und das völlig freiwillig, vermeldet das Rathaus. Eine noch höhere Quote würde aktuell jedoch die Leitungen der Verwaltung einschränken.
Trotzdem betont Regierungssprecher Steffen Seibert, dass beim ersten Lockdown im Frühjahr der Homeoffice-Anteil höher gewesen sei: „Es ist also möglich.“ Tatsächlich arbeiteten im April 2020 immerhin 27 Prozent der Beschäftigten überwiegend im Homeoffice. Im November 2020 lag der Anteil bei lediglich 14 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Böckler-Stiftung.
Könnten jetzt die Grenzen wieder geschlossen werden?
Es war in der ersten Corona-Welle eines der ersten Instrumente, das von der Politik aus dem Besteckkasten der Pandemiebekämpfung geholt wurde: Grenzschließungen. Im Sommer dann das Mantra: So etwas soll es nicht wieder geben. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte noch im Oktober: „Ich denke, wir haben alle unsere Lehren aus dem Frühling gezogen.“ Zu Beginn der Krise hätten viele Länder nach innen geschaut. Aber es habe nur wenig Zeit gebraucht, um zu verstehen, dass dies den Binnenmarkt beschädige. Zudem habe es die Ausbreitung des Coronavirus nicht gestoppt.
Auch der CDU-Abgeordnete Andreas Jung mahnt gegenüber unserer Redaktion: "Um Corona effektiv zu bekämpfen, müssen wir dabei aber auf gemeinsame Strategien setzen, nicht auf harte Grenzschließungen: Grenzüberschreitende Konsequenz statt Gitterzäune." Doch inzwischen werden die Rufe lauter, die Grenzen zu den Nachbarn erneut dicht zu machen. Schon nach der Entdeckung der Virus-Mutation in Großbritannien wurde der Flugverkehr mit der Insel weitgehend eingestellt. Nun könnten auch innerhalb Europas die Schlagbäume fallen. In den Grenzregionen hat man bereits jetzt reagiert und setzt auf Abschreckung. Harte Quarantäne-Regeln sollen etwa den Einkaufstourismus unterbinden, Tagesausflüge über die Grenze sind unerwünscht. Das System hat Lücken: Bei Kontrollen der Bundespolizei sind zahlreiche Verstöße gegen die Pflicht zur Einreiseanmeldung nach Aufenthalten in Corona-Risikogebieten aufgefallen.
Frankreich geht deshalb bereits einen Schritt weiter und verlangt bei der Einreise aus Ländern außerhalb der Europäischen Union einen negativen Corona-Test. Die dänische Regierung hat beschlossen, dass Menschen aus Deutschland nicht mehr ohne triftigen Grund einreisen dürfen. Ungarn hat seine Grenzen schon wieder fast ganz für Ausländer dicht gemacht. Auch nach Tschechien sind Einreisen aus Deutschland nur noch mit negativem Corona-Test möglich.
Falls das Tragen von FFP2-Masken bundesweit Pflicht wird: Gibt es überhaupt genug Masken für alle?
Der Vorteil ist unumstritten: FFP2-Masken schützen sowohl die Träger als auch die Umstehenden vor Partikeln, Tröpfchen und Aerosolen. Anders als Stoffmasken. Diese sollen in erster Linie verhindern, dass Umstehende mit dem Virus infiziert werden. In Bayern wurde deshalb die Pflicht, FFP2-Masken zu tagen, bereits beschlossen. Noch scheint es nach Aussage der Hersteller keine Engpässe zu geben. „Die im Bundesverband Medizintechnologie organisierten Hersteller und Vertreiber von hochwertigen FFP2-Masken, FFP3-Masken sowie OP-Masken können die Versorgung ihrer Kunden aktuell sicherstellen“, sagt Manfred Beeres, Sprecher des Bundesverbands Medizintechnologie. Gegenüber der ersten Welle habe sich die Lieferfähigkeit von Schutzausrüstung deutlich verbessert. „Das liegt vor allem daran, dass neue Produktionskapazitäten aufgebaut wurden und China als größter Produzent weltweit weiter produziert, ohne dass es bislang – wie in der ersten Welle – zur Schließung von Produktionsanlagen oder zu einer Unterbrechung der Lieferketten gekommen ist.“
Auch eine Firma in Bayern stellt FFP2-Masken her: die „Zettl Group“ aus Weng im Landkreis Landshut. „Wir werden bis zur achten Kalenderwoche unsere Produktion verdreifachen“, sagt Geschäftsführer Reinhard Zettl. Erhältlich sind die Masken unter anderem in Apotheken oder Drogeriemärkten. „Aufgrund der aktuellen Anforderungen in Bayern und der dort abrupt gestiegenen Nachfrage ist es aber möglich, dass an vielen Standorten und auch im Onlineshop FFP2-Masken temporär ausverkauft sind“, sagt Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung des Drogeriemarkts „dm“, gegenüber unserer Redaktion. „Wir haben jedoch sofort reagiert, unsere Beschaffung an FFP2-Masken ausgeweitet und die logistischen Prozesse entsprechend angepasst, damit wir die Menschen in den dm-Märkten und online mit den gewünschten Produkten versorgen können.“
Soll der Bus- und Bahnverkehr eingeschränkt werden?
In Berlin sorgte das Gerücht für Aufregung, dass Bundesverkehrsministerium zur Verschärfung des Lockdowns eine Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs und des Bahnbetriebs prüfe. Regierungssprecher Steffen Seibert stellte klar, dass dies nicht geplant sei, sondern dass es darum gehe, wie Kontakte unter Fahrgästen minimiert werden könnten. Auch die Kommunen lehnen eine Einstellung ihrer Verkehrsbetriebe ab: Viele Busse und Bahnen seien bereits nur sehr gering besetzt, da viele Menschen im Homeoffice arbeiteten und Schulen und Kitas weitgehend geschlossen seien, sagt der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg. „Es gibt auch keine belegbaren Erkenntnisse, dass gerade die Nutzung von Bussen und Bahnen unter Beachtung der Hygienevorschriften zum Infektionstreiber geworden ist.“ Denkbar sei jedoch die Einführung einer FFP2-Maskenpflicht in Nahverkehrsmitteln – wie bereits in Bayern. „Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme kann es sinnvoll sein, dass die Nutzerinnen und Nutzer eine FFP2-Maske tragen, die einen höheren Schutz bietet“, sagt Landsberg.
In den schon lange vor dem Ausbruch des jetzigen Coronavirus erstellten Influenza-Pandemieplänen von Bund und Ländern ist nicht die Einstellung, sondern die Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs ein Ziel. Helfen könnten etwa Bundeswehrsoldaten, falls zu viele Bus- und Straßenbahnfahrer erkranken sollten. Allerdings solle die Bevölkerung vor der Benutzung des ÖPNV gewarnt werden. Laut der Studien vor und während der Corona-Pandemie ist das Ansteckungsrisiko in den Verkehrsmitteln jedoch begrenzt. Gefährdet sind Passagiere in Bahn und Flugzeugen meist nur dann, wenn sie einer infizierten Person direkt gegenübersitzen. In Bus und Straßenbahnen findet zudem an Haltestellen ein fast kompletter Luftaustausch statt.
Was planen andere Länder?
Nicht nur in Deutschland wird um schärfere Waffen im Kampf gegen das Coronavirus gerungen. Frankreich etwa will die abendliche und nächtliche Ausgangssperre auf dem gesamten Festland um zwei Stunden auf 18 Uhr vorziehen. Die Regelung solle ab Samstag für mindestens 15 Tage gelten, kündigte Premierminister Jean Castex an. „Es ist nicht möglich, das Haus aus persönlichen Gründen zu verlassen“, sagte Castex. Auch Geschäfte sollen demnach ab 18 Uhr schließen. Zuvor war das ursprünglich von 20 Uhr bis 6 Uhr geltende Ausgehverbot bereits in einzelnen besonders betroffenen Départements vorverlegt worden. Den Menschen ist es während dieser Zeit nicht mehr gestattet, an der frischen Luft spazieren zu gehen, Sport zu machen oder einzukaufen. Sie dürfen aber zum Beispiel weiterhin zur Arbeit fahren oder wegen zwingender familiärer Gründe das Haus verlassen.
Auch Spanien verschärft die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Die nächtliche Ausgehsperre werde ab Montag um eine Stunde auf 23 Uhr vorgezogen, teilte die Regierung der Hauptstadtregion mit. Restaurants, Cafés und Bars müssen dann in der Autonomen Gemeinschaft schon um 22 Uhr - statt wie bisher um Mitternacht - schließen. Die Verschärfung der Maßnahmen gilt den Angaben zufolge vorerst für zwei Wochen. Ab Montag werden zudem weitere fünf Gemeinden und sechs kleinere Bezirke Madrids für zwei Wochen abgeriegelt. Damit erhöht sich die Zahl der abgesperrten Gebiete, die man nur mit triftigem Grund verlassen oder betreten darf, auf insgesamt 19 Gemeinden und 47 kleinere Bezirke.
In der Schweiz, wo die Menschen lange nur wenige Einschränkungen hinnehmen mussten, wurde in dieser Woche und nach wochenlangem Zögern beschlossen: Von Montag an bleiben alle Geschäfte geschlossen, die keine Güter des täglichen Bedarfs verkaufen. Zudem müssen Arbeitgeber Homeoffice anordnen, wo immer dies möglich ist. An privaten Veranstaltungen dürfen nur noch maximal fünf Personen teilnehmen. Nicht betroffen von den Schließungen sind Dienstleister wie Friseure oder Reparaturbetriebe, Blumenläden, Bau- und Gartengeschäfte. Zugleich verlängerte die Regierung die bestehenden Maßnahmen um fünf Wochen. Damit bleiben Restaurants, Kulturbetriebe, Sportanlagen und Freizeiteinrichtungen bis Ende Februar zu. Schulen und Skigebiete bleiben weitgehend geöffnet.
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