Jeder dritte Mensch in Deutschland hat bisher zumindest eine Erstimpfung gegen das Coronavirus erhalten. Die Mehrheit wartet jedoch auf einen Impftermin, darunter viele Menschen aus Risikogruppen. Einen Tag nach der Ankündigung von Gesundheitsminister Jens Spahn, die Impf-Priorisierung ab 7. Juni aufzuheben, gibt es deshalb auch kritische Stimmen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter etwa ärgerte sich, dass die Ankündigung falsche Erwartungen wecke. Es gebe einfach noch nicht genügend Impfstoff, betonte der SPD-Politiker.
Das Münchner Gesundheitsamt beispielsweise sei erst am Montag vom bayerischen Gesundheitsministerium darüber informiert worden, dass das Impfzentrum in den kommenden Wochen kaum noch Erst-Impfungen durchführen könne, damit genug Impfstoff für die Zweitimpfungen zur Verfügung stehe. „Das ist nicht die Strategie, die ich mir vorstelle und erfüllt auch nicht das, was uns Kommunen von Monat zu Monat immer wieder aufs Neue zugesagt wurde: Im März, nein im April, nein im Mai, nein jetzt aber wirklich: im Juni soll es endlich ausreichend Impfstoff für alle geben, die sich gegen Corona impfen lassen wollen“, empörte sich Reiter.
In den kommenden Wochen stehen viele Zweitimpfungen an
Immunologen halten die Aufhebung dagegen für vertretbar. Der von Bund und Ländern gewählte Zeitpunkt sei durchaus richtig, sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, unserer Redaktion. „Wir werden natürlich noch nicht jeden aus den Risikogruppen geimpft haben, aber der Übergang muss fließend sein, damit die Impfkampagne nicht ins Stocken gerät“, betonte der Immunologie-Professor. „In den nächsten drei Wochen werden wir etwas mehr als 15 Millionen Impfungen durchführen“, sagte Watzl. „Das sind zwar viele Zweitimpfungen, aber wir werden auch einen großen Teil der Risikogruppe drei geimpft haben.“
Bayern plant deshalb mit dem Wegfall der Priorisierung auch eine Änderung in der Impf-Strategie. Der Freistaat will die neuen Möglichkeiten unter anderem nutzen, um mithilfe der Impfzentren Menschen zu erreichen, die gar keinen Hausarzt haben oder aufgrund von Sprachbarrieren zu wenig über die Impfungen wissen. „Auf der langen Zielgeraden der Pandemie werden die Impfzentren noch wichtig, um strategisch zu impfen“, sagte Ministerpräsident Markus Söder in unserem Interview. Er will mobile Teams nicht nur in die Schulen schicken, sobald die Impfstoffe für Kinder zugelassen sind. Auch Obdachlose oder Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, sollen bessere Chancen auf Impfschutz bekommen, indem man etwa Kontakt über die Tafeln aufnimmt, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgen.
Mobile Impfteams sollen in die Schulen gehen
Zudem plant Söder gezielt Angebote in Stadtteilen, in denen viele Menschen mit ausländischen Wurzeln wohnen und es vielleicht noch größere Vorbehalte gibt. Er nannte Augsburg als Beispiel dafür. Dort sind die Ansteckungszahlen in Vierteln, in denen viele Bürger mit Migrationshintergrund und sozial Schwächere leben, überdurchschnittlich hoch. Die Staatsregierung will deshalb Überzeugungsarbeit leisten und dafür Identifikationsfiguren vor Ort gewinnen. „Wir müssen auch unkonventionelle Wege gehen“, sagte der CSU-Vorsitzende und fügte hinzu: „Warum bieten wir nicht auch mal einen Impftag im Umfeld einer Moschee oder eines Kulturvereins an?“
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