In ihrer Überraschung über die umfassende Einigung von Bundesregierung und Länderchefs über weitreichende Maßnahmen gegen die Pandemie im November dürften Skeptiker und Befürworter der Corona-Beschränkungen am Mittwochabend vereint gewesen sein. Schließlich lagen die Standpunkte mancher Ministerpräsidenten vor der letztlich erfolgreichen Videokonferenz zum Teil meilenweit auseinander. Was allerdings in den Tagen danach folgte, war weniger überraschend: Wirtschaftsverbände, Staatsrechtler und Oppositionspolitiker – darunter viele mit juristischem Hintergrund – stritten darüber, ob der „Lockdown light“ angemessen ist und ob er vor den Gerichten Bestand haben wird.
Ganz vorne im Schlachtgetümmel mischt mal wieder der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki mit. Der Rheinischen Postsagte der praktizierende Anwalt: „Ich halte die aktuellen Beschlüsse in Teilen für rechtswidrig. Ich rufe alle Betroffenen auf, rechtliche Mittel gegen diese Maßnahmen einzulegen.“ Der FDP-Politiker nennt ein Beispiel, das bereits seit einigen Tagen für Furore sorgt: „Warum müssen Nagelstudios schließen, nicht aber Friseure? Wieso werden auch dort Restaurants geschlossen, wo man noch weit entfernt ist von den selbst definierten Schwellenwerten?“ All das sei nicht mehr zu erklären.
Tatsächlich zweifelt auch der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis nicht daran, dass die Gerichte in den nächsten Wochen im Fokus stehen. „Einige Punkte werden mit Sicherheit von den Gerichten kassiert werden. Schon bei der ersten Welle hat das Bundesverfassungsgericht ja das Versammlungsverbot und die Schließung der Kirchen kassiert“, sagte Battis im Gespräch mit unserer Redaktion. Anders als Kubicki, der die ganze Stoßrichtung der Beschränkungen heftig kritisiert, ist Battis davon überzeugt, „dass das Konzept der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben“ werde.
Für Staatsrechtler Battis ist die derzeitige Situation mit der im Frühjahr nicht vergleichbar
Der Jurist nennt Punkte, mit denen er seine Ansicht untermauert, dass das aktuelle Konzept nicht mit den teils „aktionistischen und unkoordinierten“ Maßnahmen im Frühjahr vergleichbar sei. Während der ersten Welle hätte die aufsteigende Panik angesichts von Kliniken, die sich am Rande der Belastung bei der Intensivbehandlung befanden, dazu beigetragen, dass manche Beschränkungen über das Ziel hinausgeschossen seien. Alleine in Bayern seien bisher 500 Personen gegen die Corona-Einschränkungen vor Gericht gezogen. In der großen Mehrheit der Fälle gab die Justiz allerdings dem Freistaat recht.
Dem Münchner Anwalt Stephan Vielmeier ist es in einigen Fällen gelungen, Maßnahmen zu kippen – etwa gegen das damalige Alkoholverbot im ganzen Münchner Stadtgebiet. Aktuell schätzt der Arbeitsrechtler die Erfolgsaussichten einer Klage gerade bei Gastronomen aber als eher gering ein. Das liege vor allem an der Entschädigung von 75 Prozent des Umsatzes im Vorjahresmonat, die man den Wirten zugesagt hat. „Dann ist eine Schließung verhältnismäßiger als im Frühjahr“, sagt Vielmeier.
Auch Battis sieht große Unterschiede zur Situation vor einem halben Jahr: „Aktuell ist das anders. Ganz wichtig für die Zukunft der Kinder und Jugendlichen ist, dass Schulen und Kitas von Schließungen ausgenommen sind. Betriebe, die schließen, werden entschädigt. Zudem sind die Maßnahmen auf einen Monat beschränkt.“
Besonders heftig ist die Debatte über die Schließung von Restaurants und Hotels
Besonders heftig wird die Debatte um die Schließung von Hotels, Ferienwohnungen sowie Restaurants, Kneipen und Cafés geführt. Kubicki bemängelt, dass die Runde der Regierungschefs Maßnahmen verabredet habe, die bereits mehrfach von Gerichten aufgehoben wurden, wie das Beherbergungsverbot. Auf diese Weise würden die Beteiligten „bewusst die Gewaltenteilung“ ignorieren. Josef Franz Lindner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg, bewertet die Einschränkungen ebenfalls kritisch. „Pauschal an der gesamten Gastronomie ein Exempel zu statuieren und alles zu schließen, halte ich für rechtlich problematisch.“ Er hätte es sinnvoller gefunden, „nach der Größe eines Betriebs und dem Hygienekonzept“ zu differenzieren.
Battis glaubt jedoch, dass die Regelung bleibt wie sie ist. „Ich bin mir sicher, dass die der Gastronomie und der Hotels nicht gekippt wird. Ziel des schlüssigen Konzepts der Politik ist es, die Mobilität entscheidend einzuschränken. Genau dies wird damit erreicht.“ Er erkenne an, dass Restaurants und Hotels viel getan hätten, um ihre Gäste zu schützen. Aber nicht alle seien vorbildlich. Es sei völlig plausibel, dass die vorübergehenden Schließungen die Mobilität und somit das Infektionsrisiko verringern werden, zumal die völlig überlasteten Gesundheitsämter die Infektionen kaum noch nachverfolgen könnten.
Die Frage ist, ob ein Monat Teil-Lockdown für eine Trendwende ausreicht
Generell wundert sich Battis über die Argumentation derjenigen, die die beschlossenen Einschränkungen in Bausch und Bogen verdammen: „Im Frühjahr hat man gesagt, man muss jetzt scharfe Maßnahmen treffen, um die zweite Welle zu verhindern. Jetzt ist die zweite Welle da und jetzt wollen einige weniger scharfe Mittel als Wellenbrecher aufbauen. Das ist eine sehr gewagte Wette.“ Er sehe die Chancen, dass in den gut vier Wochen tatsächlich eine Trendwende bei den Infektionen erreicht werden könne, bestenfalls bei 50:50. Kritisch hingegen sieht Battis nach wie vor die Erweiterung der Kompetenzen für Gesundheitsminister Jens Spahn. „Das widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgesetzes.“ Immerhin habe Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble „in seinem Schreiben klar zum Ausdruck gebracht, dass „das Infektionsschutzgesetz auf Dauer keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für diese Ausweitung der Befugnisse des Ministers darstellen“ würden.
Die Mehrheit der Bürger unterstützt nach einer Forsa-Umfrage den Teil-Lockdown. 50 Prozent der Befragten sind für die strikten Maßnahmen. Weiteren 16 Prozent der Befragten reichen sie noch nicht aus. Einem Drittel gehen sie zu weit.
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