In Großbritannien hat sie die Corona-Zahlen wieder steigen lassen, von der WHO wird sie als „besorgniserregend“ eingestuft. Die zuerst in Indien aufgetretene Delta-Variante des Virus sorgt trotz sinkender Infektionszahlen auch in Deutschland für Unsicherheit im weiteren Vorgehen in der Pandemie. „Diese Virus-Variante lauert derzeit auf Stand-by, sie wartet praktisch darauf anzugreifen“, sagt der Virologe Martin Stürmer. „Ich schätze sie mindestens auf dem Level von Alpha, wenn nicht sogar darüber, was die Ansteckungsgefahr und die Intensität der Krankheit angeht.“ Als Alpha wird die sogenannte britische Variante bezeichnet. Diese Alpha-Mutation dominiert derzeit in Deutschland, der Anteil der Delta-Variante wächst allerdings – wenn auch bislang auf niedrigem Niveau.
In Bayern sind 132 Fälle der Delta-Variante bekanntgeworden. Ihr Anteil sei innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit aber bereits von zwei auf zehn Prozent gestiegen, sagt der Leiter der Corona-Taskforce, Florian Herrmann. Selbst wenn alle Maßnahmen so blieben wie bisher, dann würden nach Einschätzung von Virologen die Infektionszahlen allein wegen der Delta-Variante nach oben gehen, fürchtet er. Die Mutation sei noch einmal ansteckender als die britische Variante und verursache schwerere Krankheitsverläufe.
Inzidenzwert in Deutschland bleibt niedrig
Auf den deutschen Inzidenzwert schlägt sich die Ausbreitung bislang nicht nieder. Der liegt bei nur noch 15, auch auf den Intensivstationen hat sich die Lage deutlich entspannt. 1.210 Menschen werden aktuell dort behandelt. 48,7 Prozent der Bevölkerung haben mindestens eine Impfung gegen Covid-19 bekommen. Aktuelle Studien zeigen, dass diejenigen, die geimpft sind, auch gut gegen die Mutation geschützt sind. Ein vollständiger Impfschutz mit zwei Dosen der Mittel von Biontech/Pfizer oder Astrazeneca verhindert britischen Forschern zufolge sehr gut schwere Krankheitsverläufe bei der Delta-Variante. Das Risiko für eine Krankenhauseinweisung wurde bei den vollständig Geimpften jeweils um mehr als 90 Prozent verglichen mit dem von Ungeimpften verringert. Die Untersuchung bestätigt allerdings, wie wichtig es ist, die zweite Impfung zu erhalten.
Das betont auch Virologe Martin Stürmer. „Diese Schutzwirkung entsteht erst nach der zweiten Impfung. Bei uns sind derzeit etwa 25 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft“, sagt er. „Das ist aber nicht das Gros, das zu Massenveranstaltungen geht, wo die Infektionsgefahr entsprechend höher liegt.“ Hinzu kommt, dass der Impfstoffmangel den Impffortschritt weiter bremst. Seit Tagen finden kaum noch Erstimpfungen statt in den Impfzentren. Nachdem Biontech im Juni sogar mehr Impfstoff als vereinbart liefert, wird im Juli wieder die vereinbarte Menge Impfstoff zur Verfügung stehen. Zunächst hieß es sogar, dass die Menge an Impfstoff weiter reduziert werden müsse. Am Mittwoch bestätigte der Impfstoffherstellers, dass im dritten Quartal und damit auch im Juli die Dosenanzahl wie vertraglich vereinbart geliefert werde. Das Bundesministerium geht für das dritte Quartal von durchschnittlich rund 3,3 Millionen Biontech-Impfdosen pro Woche aus.
Virologe Stürmer mahnt deshalb zur Vorsicht – auch mit Blick auf die Erfahrungen aus Winter und Frühjahr. „ Anfang März, als es darum ging, weiter zu lockern, baute sich eine neue Welle auf. Innerhalb weniger Wochen stieg der Anteil der Variante von zunächst weniger als zehn Prozent auf bis zu 90 Prozent bei den Neuinfektionen“, sagt Stürmer. „Delta ist mindestens auf dem Niveau. Es ist leider zu befürchten, dass sie sich deutlich effektiver und schneller verbreiten wird als die bisherigen Varianten.“
Das sind die Symptome der Delta-Variante
Unterschiede gibt es bei den Symptomen. Anders als bei anderen Varianten macht sich die Delta-Variante mit Kopfschmerzen, einer laufenden Nase und einer rauen Kehle bemerkbar. Der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, der bislang als typisches Corona-Symptom galt, kommt weniger häufig vor. Für einige jüngere Menschen könne sich Covid-19 somit stärker wie eine einfache Erkältung anfühlen, sagen britische Wissenschaftler. Betroffene sollten sich testen lassen, da das Risiko, andere anzustecken, hoch ist.
In Großbritannien macht sie bereits mehr als 90 Prozent aller Fälle aus. Dort liegt der Inzidenzwert inzwischen wieder bei 77,5. In Deutschland gilt das Königreich daher als Virusvariantengebiet, es gelten strenge Einreise-Regeln. Doch aufhalten lässt sich die Mutation davon wohl nicht. „Wenn die Eindämmung schon bei den früheren, weniger ansteckenden Linien von SARS-CoV-2 nicht funktioniert hat, wird dies erst recht nicht bei den ansteckenderen Varianten klappen“, sagt Isabella Eckerle, Leiterin einer Forschungsgruppe in der Abteilung für Infektionskrankheiten an der Universität Genf. Global sei die wichtigste Maßnahme die möglichst schnelle und breite Durchimpfung, sodass dem Virus weniger Gelegenheit gegeben wird, neue Varianten entstehen zu lassen. „Erfreulicherweise allerdings scheinen es bei vielen Varianten unabhängig voneinander die gleichen Mutationen zu sein, die entstehen“, sagt Eckerle. Es erscheine so, als habe das Virus nur ein begrenztes Repertoire an Mutationen vorzuweisen, um sich besser anzupassen. „Wenn es zeitnah auch Impfstoffe gegen Varianten geben wird, die diese Mutationen abdecken, könnte sich ebenso eine recht stabile Situation einstellen, in der das Auftreten von immer weiteren, neuen Varianten ausbremst wird.“
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