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CDU: Was der wahre Auslöser für Merkels Rückzug sein könnte

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Was der wahre Auslöser für Merkels Rückzug sein könnte

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    Kneift sie vor der Kandidatur von Friedrich Merz? Angela Merkel sagt: Ich trete aus freien Stücken nicht mehr für den CDU-Vorsitz an.
    Kneift sie vor der Kandidatur von Friedrich Merz? Angela Merkel sagt: Ich trete aus freien Stücken nicht mehr für den CDU-Vorsitz an. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Die Miene von Angela Merkel verrät: nichts. Scheinbar ungerührt und völlig ruhig tritt sie ans Rednerpult im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. Sie trägt einen fuchsiafarbenen Blazer und eine dezente Silberkette. Alles sieht exakt so aus wie bei unzähligen Presseerklärungen in ihren 18 Jahren als Parteivorsitzende und 13 Jahren als Bundeskanzlerin. Doch es ist kein normaler Termin für die 64-Jährige an diesem Montagmittag in der Parteizentrale, in der es noch ganz leicht nach Bier, Parfüm, Schweiß und Enttäuschung riecht. Am Abend zuvor haben hier die Gäste einer traurigen Wahlparty die Nachrichten vom bitteren Abschneiden der CDU in Hessen verfolgt. Jetzt will die Parteivorsitzende über die Folgen reden, die für die Christdemokraten einen tiefen Einschnitt bedeuten – und das schrittweise Ende der Ära Merkel.

    „Überaus enttäuschend und bitter“ nennt Merkel die Zahlen aus Hessen. Die zweistelligen Verluste der dortigen CDU hätten nicht an der Arbeit von Ministerpräsident Volker Bouffier, der neben ihr steht, und der schwarz-grünen Landesregierung gelegen, sagt sie. Und auch den Wählern wolle sie keine Schuld geben. Das CDU-Wahlergebnis von Hessen habe, ebenso wie das schlechte Abschneiden der CSU in Bayern zwei Wochen zuvor, seine Ursachen in Berlin. „Das Bild, das die Bundesregierung abgibt, ist inakzeptabel“, sagt sie. Jetzt sei die Zeit, innezuhalten, es verbiete sich, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Sie als Kanzlerin trage die Verantwortung für das Gelungene ebenso wie für das Misslungene.

    Und dann erläutert Merkel, was sie zuvor bereits der CDU-Parteispitze verkündet hat. Auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg tritt sie nicht mehr als Parteivorsitzende an. Für den Rest der Legislaturperiode, die bis 2021 dauert, stehe sie als Kanzlerin weiter zur Verfügung. Danach werde sie nicht mehr antreten, auch nicht im Falle möglicher Neuwahlen. Für ein Bundestagsmandat werde sie ebenfalls nicht mehr kandidieren. Und auch weitere politische Ämter strebe sie nicht an, sagt sie, und erteilt damit Spekulationen über jedwede Spitzenämter, etwa in der Europäischen Union, eine Absage.

    Für einen Moment wird Merkel persönlich

    Merkel wird dann doch persönlich. Ihre Ämter in Würde zu tragen und ebenso zu beenden, das habe sie sich immer gewünscht, sagt sie. Ihr Verständnis der Aufgabe von Staatsdienern sei es, „so zu arbeiten, dass es die Menschen nicht abstößt“. Dieser Satz und die Aussage, sie habe bereits vor dem Beginn der parlamentarischen Sommerpause ihre Entscheidung getroffen, kann durchaus als Schuldzuweisung an Horst Seehofer verstanden werden.

    Angela Merkel und Volker Bouffier bei der Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus.
    Angela Merkel und Volker Bouffier bei der Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Denn im Sommer hatte sich der Innenminister und CSU-Chef mit Merkel einen erbitterten Streit geliefert, der sich mal wieder um die Flüchtlingspolitik drehte. Tagelang stand die Union aus CDU und CSU auf Messers Schneide. Als Merkel gefragt wird, ob sie wegen des Streits mit der CSU aufhört, gerät ihr Nein zwar auffällig laut. Doch ihr sei es um etwas anderes gegangen, darum, Freiräume für die CDU zu schaffen. „Natürlich habe ich mir gedacht, dass es ohne Streit geht“, sagt sie. Doch Horst Seehofer auch noch den Triumph zu gönnen, für Merkels Abgang auf Raten verantwortlich zu sein, das will sie ganz offensichtlich nicht. Und in der CDU heißt es später, dass mit ihrer Ankündigung, den Parteivorsitz abzugeben, auch der Druck auf Horst Seehofer steigen dürfte, sich seinerseits von der CSU-Spitze zurückzuziehen.

    Jens Spahn verfolgt im ersten Stock des Konrad-Adenauer-Hauses die Pressekonferenz.
    Jens Spahn verfolgt im ersten Stock des Konrad-Adenauer-Hauses die Pressekonferenz. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Einer, der bereits angekündigt hat, für die Nachfolge Merkels an der Parteispitze zu kandidieren, lehnt über dem Geländer im ersten Stock der Parteizentrale und verfolgt den Auftritt Merkels vor der Presse. Jens Spahn, der Bundesgesundheitsminister, Hoffnung der Konservativen in der Partei, zeigt keine Gefühlsregung. Einige junge Männer, die neben Spahn stehen, wirken dagegen, als hätten sie gerade von einem Lottogewinn erfahren.

    Im Atrium muss Merkel erklären, wie ihre Entscheidung mit ihrer oft geäußerten Überzeugung zusammengeht, dass die Ämter als Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende untrennbar zusammengehörten. „Ja, das ist richtig, damit weiche ich von meiner Überzeugung ab.“ Eine Volte, die typisch ist für Merkel: Was gestern noch in Stein gemeißelt schien, gilt heute eben nicht mehr.

    Angela Merkel verweist auf ihren Auftritt in Augsburg

    Noch vor kurzem hatte sie sich bei einer Veranstaltung unserer Zeitung in Augsburg so geäußert: „Ich habe gesagt, ich stehe für diese Legislaturperiode zur Verfügung und ich habe meine Meinung bezüglich der Verbindung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft nicht geändert.“ Ein kleiner Spielraum sei bei dieser Aussage schon noch enthalten gewesen, sagt sie nun.

    Mehrfach bekräftigt Merkel, dass sie ihre Entscheidung, nicht mehr für den Parteivorsitz anzutreten, bereits zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause getroffen habe, die in diesem Jahr auf den 6. Juli fiel. Nur den Zeitpunkt, diese Entscheidung zu verkünden, habe sie vorgezogen – um eine Woche.

    Will heißen: Eigentlich wollte sie die Bombe erst am kommenden Sonntag platzen lassen, wenn sich der CDU-Vorstand zu einer bereits seit längerem geplanten Klausurtagung trifft. Fast vier Monate lang stand für Merkel demnach bereits fest, dass sie aufhört. Und sie betont, dass nicht einmal ihre enge Vertraute, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, in die Entscheidung eingeweiht war. Merkel: „Es gibt Entscheidungen, von denen glaube ich, hilft man niemandem, wenn man es zu vielen Menschen vorher sagt. Das gehört dazu.“ Kramp-Karrenbauer hat ebenfalls ihren Hut in den Ring geworfen für die Merkel-Nachfolge an der Parteispitze.

    Dass die Partei ihrer Chefin Angela Merkel nicht mehr bedingungslos folgt, hatte sich schon bei der Abwahl ihres engen Vertrauten Volker Kauder als Unions-Fraktionschef gezeigt. Trotzdem wählte die Fraktion Ralph Brinkhaus. Und dass in den konservativen und wirtschaftsliberalen Kreisen der Partei der Unmut über Merkel seit dem Flüchtlingsherbst 2015 immer weiter wächst, mit jeder Wahlniederlage neu befeuert wird, ist kein Geheimnis. Schon seit Wochen war im Merkel-Lager erwartet worden, dass diese Ecke der Partei einen Gegenkandidaten für den Parteivorsitz präsentieren würde. Einen, der weit mehr politisches Gewicht auf die Waage bringen würde, als die drei Kandidaten, die bislang bekannt sind.

    Seit Tagen verdichten sich bereits die Hinweise, dass Friedrich Merz dieser Kandidat sein würde. Ausgerechnet der Mann, den Merkel 2002 als Fraktionschef verdrängt hatte. Ein Strippenzieher aus dem konservativen Parteiflügel sagt, dass

    Was wusste Angela Merkel über die Pläne von Friedrich Merz?

    Die Bundeskanzlerin, der für gewöhnlich nichts in der Partei entgeht, dürfte längst gewusst haben, dass Merz eine Kandidatur in Erwägung zieht – und dass dies wohl am Tag nach der Hessen-Wahl geschehen würde, lag nahe. Doch hat dieser Umstand dann ihre Entscheidung beeinflusst, selbst nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren? Dass Merkel ausgerechnet vor Merz „kneift“, glauben nicht einmal jene, die hinter Merz stehen.

    Dass sie nicht zum Rücktritt gedrängt wurde, weder von ihren parteiinternen Gegnern, noch von wohlmeinenden Weggefährten, das ist die Botschaft, die Angela Merkel an diesem Montag vermitteln will. Nicht als Eingeständnis irgendwelcher Fehler, nicht aus Verdruss über Horst Seehofer oder wen auch immer leitet sie ihren Abschied von der politischen Bühne ein – das ist ihr sichtlich wichtig. Auch nicht wegen der desaströsen Wahlergebnisse der Union in Bayern und Hessen oder wegen der unterirdischen Umfragewerte der Union im Bund, die aktuell nur noch bei 24 Prozent liegen. All das mag allenfalls dazu beigetragen haben, sich früher als geplant zu erklären. Doch getroffen habe sie ihre Entscheidung selbstbestimmt, aus freien Stücken, nach reiflicher Überlegung.

    Dann wird Merkel noch nach ihrem Wunschkandidaten für die Nachfolge als Parteichefin gefragt. Natürlich wissen alle, dass sie am liebsten Annegret Kramp-Karrenbauer als ihre Nachfolgerin sähe. Aus Merkels Antwort spricht die Einsicht, dass sie längst nicht mehr als Garant für Wahlerfolge gilt, dass ihre Unterstützung sogar schaden könnte, so wie zuletzt ihrem Vertrauten Volker Bouffier in Hessen. Merkel sagt: „Es ist in der Vergangenheit nie gut gegangen, wenn ein scheidender Politiker versucht, seinen Nachfolger selbst zu bestimmen.“

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