Gleich zu Beginn geht die gemeinsame Vorstellung der drei Kandidaten um den CDU-Parteivorsitz ein bisschen in die Hose. Armin Laschet, bei dieser Veranstaltung der Jungen Union per Los als erster Redner ermittelt, spricht zu lange. Fünf Minuten haben er sowie seine beiden Mitbewerber, Friedrich Merz und Norbert Röttgen, für die erste Runde bei diesem „JU-Pitch“ am Samstagabend in Berlin zur Verfügung. Laschet braucht zwei Minuten mehr.
Merz beobachtet es grimmig, Röttgen diplomatisch gelassen. Ein Sinnbild? Nein, ein erster Eindruck nur; er wird sich in den folgenden zwei Stunden, die per Videokonferenz und Livestream digital übertragen werden, nicht verfestigen.
Denn – auch wenn so manch einer anderes erwartet haben mag – bei ihrem ersten direkten Aufeinandertreffen präsentieren sich die drei Kandidaten in guter Form. Dieser Auftakt zu einer Reihe weiterer Vorstellungstermine gerät zum spannenden Schauspiel, vom irgendwie cool englisch tönenden Namen der Veranstaltung „Der Pitch“ darf man sich da nicht irritieren lassen.
"Der Pitch": So nennt die Junge Union die Vorstellungsrunde
Die JU, also die Junge Union, ist die Nachwuchsorganisation der CDU. Und damit jene Generation der Mitglieder, die „Insta-Partys“ feiert und Vorstellungsrunden eben „Pitch“ nennt, was sich mit „Überredung zum Kauf“ wörtlich übersetzen ließe. In der Werbebranche bewerben sich Agenturen mit einem Pitch um einen Etat.
Es gibt eine bestimmte Dramaturgie, insofern ist der Begriff für den Abend ganz passend gewählt. Durch eine gelungene Regie und dank der engagierten Moderation fällt es nicht schwer, dem Rededuell zu folgen. Vor allem steigen die drei Kandidaten um den CDU-Parteivorsitz nach einer kurzen Warmlaufphase engagiert ein und schenken sich wenig. Man wünscht sich, die SPD wäre bei ihrer Vorsitzenden-Suche auf diese Idee gekommen und hätte auf ihre teils gähnend langweiligen Regionalkonferenzen verzichtet.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Laschet hat die undankbare Aufgabe als erster Redner. Wegen der Corona-Bestimmungen sind kaum Menschen in dem großen Saal unweit des Brandenburger Tors. Die drei Politiker haben je ein Stehpult für sich, zum Eingangsstatement müssen sie auf einen blauen runden Teppich vortreten, ihre Kontrahenten im Rücken. Laschet hat einen Frosch im Hals und wirkt zunächst ein wenig hilflos.
Die Räusper-Phase ist jedoch schnell überwunden, Laschet handelt routiniert die aktuellen Themen ab. Der Landesvater vom Rhein präsentiert sich als erfolgreicher Corona-Krisenmanager. „Wir müssen denen helfen, die jetzt leiden“, sagt der 59-Jährige, der zum dunklen Anzug eine rote Krawatte trägt. Er spricht die junge Generation direkt an, verspricht einen kontrollierten Abbau der Corona-Schulden und vergisst auch Zukunftsthemen nicht. Den Klimaschutz etwa, den müsse man jetzt anpacken, sagt er. „Das mache ich“, verspricht er und reckt die Faust. Mit jedem Satz wird deutlich, dass der Ministerpräsident sich für die Rolle eines Bewahrers der Merkel-Politik entschieden hat: Weiter-so, Mitte-Kurs.
Armin Laschet macht deutlich, dass er Merkels Politik fortführen will
„Wir brauchen die Breite der Partei auch in der Bundespolitik“, sagt Laschet zum Beispiel. Später, da ist man schon bei den Abschlussstatements angekommen, betont er, er wolle „dafür kämpfen, dass wir die Partei der Mitte bleiben“. Zur Mitte-Partei wurde die CDU vor sieben Jahren von ihrer damaligen Vorsitzenden Angela Merkel gemacht. Laschet vergisst in diesem Zusammenhang nicht zu erwähnen, dass er von Jens Spahn unterstützt wird. Das kann ihm Punkte bringen bei der JU, für die der Bundesgesundheitsminister ein Star ist.
Die Junge Union ist eine große Nachwuchsorganisation. Etwa 115.000 junge Leute sind Mitglieder. Die meisten davon, rund 30.000, kommen aus Nordrhein-Westfalen. Zweitgrößter Landesverband mit rund 24.500 Mitgliedern ist der in Bayern. Insofern ist die Veranstaltung ein Heimspiel für die drei Kandidaten, denn die bayerische CSU hat beim CDU-Vorsitz nichts mitzureden.
An Selbstbewusstsein mangelt es den JU-Mitgliedern nicht, dabei wirkt die Organisation manchmal ein wenig aus der Zeit gefallen. Frauen etwa stehen bei ihr meist in der zweiten Reihe. Nur eine, Hildegard Müller, wurde jemals Vorsitzende. Im aktuellen Vorstand hat JU-Chef Tilman Kuban drei Stellvertreter und mit Heike Wermer nur eine Stellvertreterin. Wenn auf einem CDU-Bundesparteitag über eine Frauenquote diskutiert wird, dann bekommen von der JU diejenigen am meisten Beifall, die dagegen sprechen. Beim „JU-Pitch“ fragen die Frauen nicht nach, warum keine der ihren dabei ist.
Als zweiter Redner ist Friedrich Merz dran. Der 64-Jährige hat sich ebenfalls für einen klassischen Anzug mit Krawatte entschieden. Er weiß, dass er in der JU viele Fans hat. Als es im Dezember 2018 darum ging, die Nachfolge von Angela Merkel zu bestimmen, standen viele Jungunionisten zunächst hinter ihm und machten gegen Annegret Kramp-Karrenbauer Stimmung. Im Gegensatz zu seiner verschwitzten und leicht verschwurbelten Bewerbungsrede auf dem Hamburger Bundesparteitag präsentiert sich Merz am diesem Abend in deutlich besserer Form.
Friedrich Merz hat viele Fans bei der Jungen Union
Merz, wie seine beiden Mitbewerber politisch in Nordrhein-Westfalen beheimatet, lenkt den Blick auf das Superwahljahr 2021 mit mehreren Landtagswahlen und einer Bundestagswahl. Letztere sei deshalb eine Herausforderung, weil „wir ohne Angela Merkel in diese Wahl gehen“. Er will, dass Deutschland wirtschafts- und finanzpolitisch gut aus der Corona-Krise herauskommt. „Wir müssen das nicht gegen die Ökologie und gegen die Umwelt machen, sondern mit der Umwelt.“ Der Wirtschaftsjurist fordert eine „Technologie- und Gründungsoffensive“, mahnt, die CDU müsse „die große Europapartei bleiben“. Und er bekräftigt seine Forderung nach einem „neuen Generationenvertrag“, damit Gesetze zu Lasten der Jüngeren und ihrer Nachkommen in Zukunft verhindert werden.
Am Ende seiner Vorstellung hat Friedrich Merz die Sätze so schnell herausgefeuert, dass er unter fünf Minuten bleibt. Eine Haltungsnote, die ihm beim jungen Publikum ein paar Pluspunkte bringen dürfte.
Alle drei Kandidaten nehmen für sich in Anspruch, im Falle eines Sieges nach dem Anfang Dezember in Stuttgart geplanten Bundesparteitag auch Kanzlerkandidat werden zu können. Die K-Frage, einschließlich der Debatte um CSU-Chef Markus Söder, dominiert in der Öffentlichkeit. Den CDU-Mitgliedern ist die Führung der Partei ein mindestens ebenso wichtiges Anliegen.
In der Regierungszeit Merkels hat das Konrad-Adenauer-Haus zunehmend an Gewicht verloren. Helmut Kohl war einst beides gleichermaßen: Kanzler und CDU-Vorsitzender. Auch Angela Merkel ist Kanzlerin und war Parteichefin. Doch Parteitagsreden erledigte sie wie eine lästige Pflicht, der Kampf um den europäischen Fiskalpakt machte ihr deutlich mehr Spaß als die Arbeit am neuen Wahlprogramm. Mit den Jahren wurde die CDU-Zentrale regelrecht entmachtet. Merkel hatte dort zwar ein Büro, nutzte es jedoch kaum. Die Mitarbeiter im Konrad-Adenauer-Haus bekamen ihre Anweisungen aus dem Kanzleramt, ihr Spielraum war klein. Mit dem Amtsantritt von Annegret Kramp-Karrenbauer deutete sich eine grundlegende Änderung an, die Saarländerin hätte dem CDU-Parteivorsitz wieder mehr Bedeutung gegeben. Wenn sie denn nicht ihren Rückzug erklärt hätte.
Alle drei Kandidaten machen demzufolge lediglich Andeutungen, dass sie nicht nur auf den Vorsitz, sondern auch aufs Kanzleramt hinarbeiten. „Ich will Kanzler werden“, sagt hier niemand und die JU-Mitglieder sind in der Fragerunde so höflich, nicht nachzubohren.
Norbert Röttgen wagt sich inhaltlich am meisten nach vorne beim JU-Pitch
Nach Friedrich Merz ist Norbert Rötten dran, mit 55 Jahren der jüngste der drei Bewerber. Der Außenpolitiker ist der einzige ohne Krawatte. Wer seine bedächtige Art kennt, ist überrascht von seiner engagierten Rede. „Es wird weiter dramatische Veränderungen geben“, warnt Röttgen und wartet mit dem wohl kritischsten Satz an diesem Abend auf: „Weder das Land noch die CDU sind auf das, was kommt, auf weitere Entscheidungen vorbereitet.“
Bei der Digitalisierung hänge Deutschland zehn bis 20 Jahre zurück, moniert Röttgen. Er fordert ein „Programm der Erneuerung“. Die Partei brauche ein „Programm der modernen Mitte“. Was er damit meint? „Die CDU muss anders werden, wenn sie das bleiben will, was sie ist.“ Die CDU müsse weiblicher, jünger und digitaler werden. „Es braucht dafür Mut.“ Bei der Zeitbegrenzung legt Röttgen eine Punktlandung hin. Ihn und Merz eint, dass ihren politischen Karrieren einst von Angela Merkel ein ordentlicher Knick verpasst wurde. Der einstige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Merz war sogar so gefrustet, dass er aus der Politik ausstieg.
Kleines Fazit: Inhaltlich wagt sich Norbert Röttgen beim JU-Pitch am meisten nach vorne, Friedrich Merz liegt zwischen ihm und Armin Laschet. Verbündete sucht keiner der drei Bewerber um den Parteivorsitz. Alle stimmen den anderen ein bisschen zu, weisen sich gegenseitig aber auch deutlich in die Schranken. Laschet etwa greift Röttgen einmal mit den Worten an: Es sei ja nicht alles so schlecht, wie sein Parteifreund es darstelle.
Nach zwei Stunden ist das Rededuell beendet. Es beginnt nun eine zweiwöchige Mitgliederbefragung der Jungen Union zum CDU-Parteivorsitz. JU-Chef Tilman Kuban hat bereits erklärt, dass er das Ergebnis dieser Befragung für seine persönliche Wahlentscheidung am Parteitag als bindend betrachtet. Für die anderen knapp 100 JU-Delegierten werde das Ergebnis eine Empfehlung sein. Bei insgesamt 1001 Delegierten ist die JU nicht die entscheidende Kraft auf dem Parteitag. Sie könnte allerdings bei knappem Ausgang zum Zünglein an der Waage werden. Mit dem ihr eigenen Selbstbewusstsein setzt die Nachwuchsorganisation denn auch darauf, dass alle Delegierten des Parteitags ihr Votum zur Kenntnis nehmen. Wie es ausfallen wird, ist nach diesem Abend völlig offen.
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