Frau Münch, vor dem Wahltag schien das Ergebnis völlig offen. Wie sehr überrascht Sie der Ausgang der Abstimmung zum neuen CDU-Parteivorsitzenden?
Ursula Münch: Dass Armin Laschet diese Wahl gewinnt, davon bin ich ausgegangen. Er hatte die besten Chancen, auch wenn die Umfrageergebnisse schlechter wurden. Seine integrierende Wirkung dürfte den meisten Parteitagsdelegierten wichtig gewesen sein. Überrascht war ich eher davon, dass Friedrich Merz doch noch so gut abgeschnitten hat. Gerade wegen der Ablehnung durch die Frauen-Union und seiner Rede, in der er versucht hat zu erklären, warum er auch für Frauen wählbar ist, hätte ich mir vorstellen können, dass er deutlich weniger Stimmen bekommen würde. Am Ende war es doch relativ eng.
Ist das die Schwierigkeit, vor der Armin Laschet nun steht: Das große Merz-Lager einzubinden?
Münch: Das ist eine Riesen-Herausforderung. Vor der Aufgabe, das Lager der Unterlegenen einzubinden, wären aber alle drei Kandidaten gestanden. Diese doch sehr heterogene CDU mit ihren unterschiedlichen Landesverbänden, Ost und West, und den unterschiedlichen Strömungen von sehr konservativ bis zu fortschrittlicher Gesellschaftspolitik muss zusammenstehen. Friedrich Merz hat im zweiten Wahlgang 466 Stimmen bekommen, Armin Laschet 521 – das ist nah beieinander. Und wir wissen noch von der Wahl Friedrich Merz gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, dass Merz es ihr schwer gemacht hat. Das hat er vorher beim Parteitag auch selbst gesagt. Es gibt viele in der CDU, denen Laschet zu „sowohl-als-auch“, zu uneindeutig ist, denen er zu wenig Führungsstärke ausstrahlt. Andererseits haben sich nun eben doch diejenigen durchgesetzt, die das Integrierende und Verbindende stärker sehen wollen. Nun wird die Frage sein, wie Armin Laschet die nächsten Tage und Wochen gestaltet.
Ursula Münch: "Glaube nicht, dass Söder eine Kanzlerkandidatur erwägt"
Was genau könnte da passieren?
Münch: Es wird eine ganz große Rolle spielen, inwieweit eine Diskussion einsetzt – in den Medien, in der Öffentlichkeit, in der Partei selbst -, dass Armin Laschet zwar Parteivorsitzender ist, aber die Union einen anderen Kanzlerkandidaten braucht.
Die Debatte wird sicher geführt werden – auch mit Blick auf Markus Söder. Was heißt das Wahlergebnis jetzt also für die CSU?
Münch: Ich glaube nicht, dass Markus Söder ernsthaft eine Kanzlerkandidatur erwägt. Und auch die CSU würde nur dann nach einer Alternative rufen, wenn der Kandidat der CDU zu schwach wäre. Das sehe ich nicht. Natürlich will die CSU mitreden und sie will auch mitentscheiden, ob Armin Laschet wirklich Kanzlerkandidat der Union wird. Aber ich gehe davon aus, dass die CSU ihm das zutraut. Der Mann hat immerhin schon die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewonnen. Andere potenzielle Mitbewerber – außer Söder selbst – können das nicht für sich reklamieren. Ein Kanzlerkandidat bzw. Kanzler Armin Laschet hätte aus Sicht der CSU außerdem den Vorteil, dass die CSU ihr eigenes Markenzeichen stärker wahren kann. Mit Friedrich Merz wäre das schwieriger geworden, sich auch als konservative Kraft an der CDU zu reiben. Welche Lücke hätte sich da überhaupt noch für die CSU aufgetan, wenn Friedrich Merz sich als wirtschaftsliberaler und konservativer Kopf präsentiert hätte? Das ist immer die Rolle der CSU gewesen. Deshalb glaube ich, dass Markus Söder mit dem Ergebnis recht zufrieden ist.
Ursula Münch: "Laschet braucht Rückenwind aus Bayern"
Dennoch zeigt man in der CSU gerne Muskeln, kokettiert mit der Kanzlerkandidatur. Muss Armin Laschet den Bayern Zugeständnisse machen?
Münch: Die CSU weiß, dass sie der Schwesterpartei zwar zahlenmäßig unterlegen ist, sie will aber deutlich machen, dass an ihr keiner vorbeikommt. Auch das Wahlergebnis von Armin Laschet wird der CSU zeigen, dass er durchaus Unterstützung braucht. Das Gewicht, das die CSU einbringen kann, um Laschet zu unterstützen, könnte für den nötigen Rückenwind sorgen. Aber er wird darum werben müssen. Sicher erinnert er sich noch gut, dass er sich gerade aus Bayern immer wieder tadeln lassen musste, dass er als Ministerpräsident in seiner Corona-Politik nicht immer konsequent genug war. Er weiß also, was auf ihn zukommt. Aber neben der CSU wird sich sicher noch jemand freuen: Die FDP. Anders als Norbert Röttgen hat Armin Laschet den potenziellen Koalitionspartner nicht vergrault. Natürlich wird es für schwarz-gelb nach jetzigem Stand nicht reichen. Aber in der FDP und auch in der Union wird man froh sein, dass Laschet auch das liberale Lager bedienen kann.
Welchen Anteil haben die Frauen in der Union am Ausgang dieser Wahl des Vorsitzenden?
Münch: Die haben eine relevante Rolle eingenommen. Immerhin waren ein Drittel der Delegierten Frauen. Schon bei der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer haben die Frauen für eine Niederlage von Merz gesorgt. Ich denke, dass auch diesmal der Anteil der Frauen, die für Merz gestimmt haben, unterdurchschnittlich war. Die Delegierten wissen, dass die Wählerschaft der Bundesrepublik Deutschland über die Hälfte aus Frauen besteht. Und durch die besondere Situation, dass der Parteitag virtuell war und die Delegierten vom heimischen Wohnzimmer aus abgestimmt haben, kann ich mir durchaus vorstellen, dass im Hintergrund die Ehefrau oder die Familie saßen und mit Stirnrunzeln auf die Feststellung von Friedrich Merz über Frauen reagiert haben.
Ursula Münch: "Es kommt auch auf die Frauen selbst an"
Können sich die Frauen in der Union nun Hoffnungen machen, dass Armin Laschet ihre Rolle stärkt?
Münch: Es kommt auch auf die Frauen selbst an. Sie dürfen nicht erwarten, dass sie zum Jagen getragen werden. Aber natürlich: Die CDU ist eine Partei, die gerade einmal 22 Prozent weibliche Parteimitglieder hat. Da ist es notwendig, weibliche Mitglieder anzuwerben. In dieser Frage ist Armin Laschet durchaus glaubwürdig, ihm ist es ein Anliegen, Frauen einzubinden. Aber die Frauen müssen eben auch in diesen Wettbewerb eintreten, sie müssen sich selbstbewusst präsentieren und sie müssen verfügbar sein. Nur vom Parteivorsitzenden hängt es eben nicht ab. Allerdings wird es unter Armin Laschet sicher einfacher als es unter Friedrich Merz gewesen wäre.
Wie wird Laschet die Partei führen? Kann er einfach die Merkel’sche Politik fortsetzen?
Münch: Er wird ihm sicher ein wichtiges Anliegen sein, eigene Akzente zu setzen. Wir müssen aber auch sehen: Als Annegret Kramp-Karrenbauer zur Parteivorsitzenden wurde, war das Ansehen von Angela Merkel nicht gerade auf dem Zenit. Nun haben wir eine völlig andere Konstellation. Die öffentliche Meinung ist stark auf der Seite der Bundeskanzlerin. Insofern ist es heute leichter, den Stil von Angela Merkel fortzusetzen und auf Integration, aber auch eine klare Corona-Politik zu setzen. Armin Laschet hat es insofern einfacher als Kramp-Karrenbauer damals.
Zur Person: Ursula Münch ist Professorin für Politikwissenschaft an der Bundeswehr-Universität München sowie Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.
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