Wer von den Nachgeborenen vielleicht meint, Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel sei das eigentlich nicht wegzudenkende Gesicht der Union, vergisst – möglicherweise – Wolfgang Schäuble. Der Noch-Bundestagspräsident hat gerade, zum 14. Mal in Folge, seinen baden-württembergischen Wahlkreis Offenburg gewonnen. Seit 1972 geht das so. Angela Merkel war da noch auf der Polytechnischen Oberschule (POS) in Templin und glänzte in Mathe und Russisch.
Was wird nun aus Schäuble? Die Legislaturperiode ist vorbei und damit endet auch seine Amtszeit an der Spitze des deutschen Parlaments. Es ist schon seit der Weimarer Republik Tradition, dass die stärkste Parlamentsfraktion üblicherweise – allerdings nicht gesetzlich vorgeschrieben – den Bundestagspräsidenten stellt. Nach Lage der Dinge werden diese im sich neu zu konstituierenden Bundestag nicht CDU/CSU haben sondern die SPD. Die hat das Vorschlagsrecht und es ist eher schwer vorstellbar, dass sie darauf verzichten wird.
Der 79-jährige Wolfgang Schäuble ist Rekord-Abgeordneter
Der 79-jährige Schäuble ist nicht nur Rekord-Abgeordneter, der bald dann den sechsten Kanzler im Bundestag den Amtseid ablegen sieht, er ist in der Union eines der einflussreichsten Schwergewichte, die graue Eminenz überhaupt.
Weil er so lange dabei ist, aber vor allem wegen seiner Erfahrung. Schäuble, der bis zur Spendenaffäre als Nachfolger Helmut Kohls galt, war unter anderem CDU-Chef, Fraktionsvorsitzender, Innenminister und Finanzminister. Er ist mit allen politischen Wassern gewaschen und sein Wort gilt in der Union etwas. Die Frage ist, wie schwer es künftig noch wiegt.
Denn es wird dem hessischen Ministerpräsident Volker Bouffier und eben Schäuble zugeschrieben, entscheidenden Einfluss darauf genommen zu haben, dass der Machtkampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Laschet und Markus Söder zugunsten des Nordrhein-Westfalen ausging. Nun ist die Wahl für die Union gelaufen, wie sie gelaufen ist. Und zwar historisch schlecht. Und auch wenn das Kanzleramt für Laschet noch drin ist, werden sich die Söder-Fans in der Union bestärkt fühlen. Der „Kanzlerkandidat der Herzen“ hatte nach der Nominierung Laschets im Frühjahr davon gesprochen, dass niemand die „alte Union der 90er-Jahre“ mehr wolle. Das ging gegen Laschet. Aber in der „Old-School“-Zuschreibung klang auch Kritik an den Altvorderen der Union mit.
Am 26. Oktober wird Schäuble als Alterspräsident die konstituierende Bundestagssitzung eröffnen
Wenn man diese Haltung teilt – und das dürften in der 24-Prozent-Laschet-Union – nicht weniger geworden sein, müsste man die Zukunft der Union dann nicht ohne Schäuble - in einer wie auch immer herausgehobenen Position – denken?
Am 26. Oktober wird der neue Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Schäuble wird dann – weil er auch am längsten im Parlament ist – als Alterspräsident die Sitzung eröffnen. Aber dass er sich danach als einfacher Abgeordneter in eine der hinteren Reihen zurückzieht?
Seine Motivation 2021 nochmals für den Bundestag zu kandidieren, beschreibt Schäuble so: „Meine Arbeit macht mir Spaß, ich fühle mich fit und bin mir sicher, dass ich noch einiges für unser Land bewegen kann.“ Bundestagsvizepräsident wäre noch denkbar. Und auch als Bundespräsident war Schäuble immer wieder im Gespräch, auch wenn dieses Amt mit den neuen politischen Verhältnisse nicht wahrscheinlicher geworden ist.
Mit Blick auf die junge Generation hat Schäuble neulich in einem Fernsehinterview im ZDF-Format Am Puls Deutschlands gesagt: „Die Jungen brauchen auch ein Stück weit Widerstand“. Nach letzter Reihe klingt das jedenfalls nicht.