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Bundesregierung: Mit letzter Kraft ins Kanzleramt

Bundesregierung

Mit letzter Kraft ins Kanzleramt

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    Minister applaudieren und gratulieren ANgela Merkel nach ihrer Wiederwahl zur Bundeskanzlerin.
    Minister applaudieren und gratulieren ANgela Merkel nach ihrer Wiederwahl zur Bundeskanzlerin. Foto: John Macdougall, AFP

    Für einen kurzen Augenblick ist es gespenstisch still: Auf einen Schlag herrscht eisiges Schweigen im weiten Rund des Plenarsaals, keine Regung ist zu erkennen, die Gesichter wirken wie eingefroren. Erst mit einiger Verzögerung löst sich die Anspannung, die ersten Abgeordneten der Unionsfraktion beginnen zu klatschen. Schließlich erheben sich alle von ihren Sitzen und applaudieren. Unionsfraktionschef Volker Kauder ist der Erste, der seiner Sitznachbarin Angela Merkel zur Wiederwahl gratuliert. Es folgt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Doch der Beifall fällt sparsam aus und verebbt schnell, von Begeisterung keine Spur. Zu knapp ist das Ergebnis für

    Es ist 9.53 Uhr, als CDU-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Ergebnis der Wahl verkündet: 692 Stimmen wurden abgegeben, 688 waren gültig. Für Merkel stimmten 364 Abgeordnete, mit Nein votierten 315, zudem gab es neun Enthaltungen. „Damit hat Angela Merkel die erforderliche Mehrheit erhalten“, sagt Schäuble. Doch es ist ein denkbar knappes Ergebnis.

    CDU, CSU und SPD haben 399 Sitze, ihr fehlen also 35 Stimmen aus den eigenen Reihen. Und es sind gerade einmal neun Stimmen über der notwendigen Kanzlermehrheit von 355. Knapper geht es kaum, mit letzter Kraft rettet sich die 63-jährige promovierte Physikerin, die seit dem 22. November 2005 an der Spitze der Bundesregierung steht, ein viertes Mal ins Kanzleramt.

    Angela Merkel: Opposition spricht von einem "Fehlstart"

    Auf den Fluren des Reichstagsgebäudes ist das schlechte Abschneiden der Kanzlerin das beherrschende Thema, die Opposition spricht gar von einem „Fehlstart“ der neuen Regierung, die am Tag 171 nach der Bundestagswahl ihre Arbeit aufnimmt. Das Gerücht macht die Runde, nur einige Stimmen aus den Reihen der Grünen hätten Merkel gerettet, was allerdings der neue Grünen-Chef Robert Habeck ausdrücklich dementiert. Nachprüfen kann das aber niemand.

    „Das ist kein gutes Zeichen, ein Menetekel“, sagt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki von der FDP, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt spricht von einer „Klatsche“ und einem „wackeligen Beginn“ der dritten Großen Koalition seit 2005. Union und SPD schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu.

    Die beiden Fraktionschefs Volker Kauder wie Andrea Nahles pochen darauf, dass sie „sehr geschlossen“ für Merkel gestimmt hätten. Sie könne sich über die vielen Gegenstimmen für die alte und neue Kanzlerin „nur wundern“, sagt Nahles. Von einem „ehrlichen Wahlergebnis“ spricht der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Georg Nüßlein, gegenüber unserer Redaktion. „Nach so langer Amtszeit und in einer schwierigen Koalition bröckelt das Ergebnis naturgemäß“, sagt der CSU-Politiker. Gleichzeitig verbindet er das mit einem klaren Auftrag an die Kanzlerin: „Viele, die Angela Merkel ihr Vertrauen ausgesprochen haben, erwarten eine Politikwende in der Flüchtlingsfrage, wie zwischen CDU und CSU mühsam vereinbart.“ Die CSU werde dafür sorgen, „dass das so kommt“.

    AfD-Abgeordneter sorgt für einen Eklat

    Für einen Eklat sorgt der bayerische AfD-Abgeordnete Petr Bystron, der in der Wahlkabine seinen Wahlzettel, auf dem er „Nein“ angekreuzt hat, fotografiert und auf Twitter mit dem Kommentar „Nicht meine Kanzlerin“ veröffentlicht. Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble verhängt wegen einer „schwerwiegenden Verletzung der Ordnung und Würde des Bundestags“ ein Ordnungsgeld von 1000 Euro gegen ihn, denn Bystron hat damit das Prinzip der geheimen Wahl verletzt. Ein weiteres AfD-Mitglied, das im Büro des bayerischen Abgeordneten Martin Sichert arbeitet, wird als Störer von der Tribüne verwiesen, weil er ein Transparent mit der Aufschrift „Merkel muss weg“ entrollt hat.

    Unmittelbar nach der Wahl kommt es zudem zu einem schweren Zwischenfall: Als Merkel in ihren Dienstwagen einsteigen will, nähert sich ihr am Ausgang des Reichstagsgebäudes ein Mann bis auf wenige Meter. Zwei Personenschützer der Kanzlerin greifen sofort ein und überwältigen ihn. Auf einem Video, das den Vorfall dokumentiert, soll der Islamisten-Ruf „Allahua akbar“, Gott ist groß, zu hören sein.

    Angela Merkel lässt sich von all dem nichts anmerken. Mit ihrer vierten Wahl zur Kanzlerin hat sie endgültig mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl gleichgezogen. Vier Minuten vor neun Uhr kommt sie zusammen mit ihrem neuen SPD-Außenminister Heiko Maas in den Plenarsaal.

    Zur schwarzen Hose trägt Merkel einen weißen Blazer. Auf der Besuchertribüne haben nicht nur ihre mittlerweile 89-jährige Mutter Herlind Kasner und ihr Schwager Sven, der Mann ihrer Schwester Irene, Platz genommen. Sondern zum ersten Mal überhaupt auch ihr Ehemann, der 68-jährige Joachim Sauer. Während der Wahl tippt Sauer ständig auf seinem Laptop. Merkel winkt ihren Familienangehörigen von unten zu.

    Bundespräsident Steinmeier gibt der neuen Regierung einen Auftrag

    Auf der Ehrentribüne haben sich die aus dem Amt ausgeschiedenen Ministerinnen und Minister ohne Bundestagsmandat sowie die neuen Ministerinnen und Minister, die dem Bundestag nicht angehören, versammelt. CSU-Chef Horst Seehofer, der neue Superminister für Inneres, Bauen und Heimat, kommt mit fast halbstündiger Verspätung und nimmt neben Ex-Wissenschaftsministerin Johanna Wanka Platz.

    Mehrfach geht es an diesem Mittwoch zwischen Bundestag und Bellevue hin und her. Erst ernennt Frank-Walter Steinmeier die Kanzlerin, die danach vor dem Bundestag von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vereidigt wird, später erhalten alle Ministerinnen und Minister aus den Händen des Staatsoberhauptes ihre Ernennungsurkunden, ehe auch sie vor dem Bundestag den Amtseid ablegen.

    In einer kurzen Ansprache appelliert Steinmeier eindringlich an die neue Regierung, das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen. Dafür werde „ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen“. Vielmehr müsse sie sich „neu und anders bewähren“ – auch im Umgang mit der Öffentlichkeit. „Die Regierung ist gut beraten, genau hinzuhören und hinzuschauen, auch auf die alltäglichen Konflikte im Land – fern der Weltpolitik, wo die Gewissheiten geschwunden sind und das Leben schwieriger geworden ist.“

    Ein unmissverständlicher Auftrag, sich mehr um die Menschen im Land zu kümmern. Die mahnenden Worte kommen an. Am späten Nachmittag trifft sich die neue Regierung zur ersten Kabinettssitzung, sofort geht es mit der Arbeit los.

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