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Bundespräsident: Joachim Gauck sorgt sich um Europa - und sieht Chancen in der Krise

Bundespräsident

Joachim Gauck sorgt sich um Europa - und sieht Chancen in der Krise

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    Joachim Gauck sieht große Chancen für Europa.
    Joachim Gauck sieht große Chancen für Europa. Foto: Rainer Jensen (dpa)

    Er weiß, wovon er spricht. Der freie Teil der eigenen Nation, Europa, die ganze westliche Welt waren für Joachim Gauck nach dem Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961 ferne Sehnsuchtsziele. Ganz nah und doch unerreichbar für einen protestantischen Pastor in Rostock-Evershagen. Als Jugendlicher war er einmal in Paris gewesen und durch Schleswig-Holstein geradelt, doch mit 21 war Schluss mit dem Reisen in den Westen. „Meine Heimat liebte ich seriös, meinen Westen wie eine Geliebte“, schrieb er später. „Trauer und Schmerz, Wut und Zorn waren die Kehrseite meiner Sehnsucht nach einem geeinten

    Gaucks Zuneigung zur „Geliebten“ erkaltete nicht, auch wenn sie für viele seiner Mitbürger längst an Attraktion und Faszination verloren hat. Europa war – und ist – für den Bundespräsidenten, dessen fünfjährige Amtszeit am 18. März endet und dessen Nachfolger an diesem Sonntag gewählt wird, noch immer mehr als die EU und die Brüsseler Bürokratie. Europa ist für ihn vielmehr das Versprechen, dass die universellen Menschen- und Freiheitsrechte geachtet werden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie herrschen und Frieden, Freiheit und Wohlstand den Bürgern Sicherheit verleihen.

    Joachim Gauck klagt Populismus in Europa an

    Nicht zufällig führt die letzte größere Auslandsreise seiner Amtszeit Joachim Gauck an diesem Dienstag nach Maastricht in den Niederlanden. Es ist die Stadt, deren Namen untrennbar mit dem „Vertrag von

    In einer Grundsatzrede im „Theater aan het Vrijthof“, wo ihm die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen wird, verteidigt der Bundespräsident vor Professoren und Studenten das Projekt des europäischen Einigungsprozesses. Gleichzeitig plädiert er aber auch für eine neue nationale Identität und eine Stärkung des Heimatgefühls, um Europa neu zu begründen. „Der Vertrag von Maastricht ist für mich eine Chiffre für ein Projekt, das nicht vollendet ist und das auch Rückschläge verkraften muss.“

    Gaucks Appell an den mündigen Bürger, sich einzumischen, Politik selbst zu gestalten und das Erreichte nicht aufs Spiel zu setzen, hat sich durch seine gesamte Amtszeit gezogen. Auch wenn der erste Bürger des Staates weiß, dass sich der Zeitgeist gedreht hat, die Briten aus der Union austreten wollen und Rechtspopulisten in Frankreich und Holland, Österreich und Italien, Ungarn, Polen und sogar in Deutschland gegen dieses Projekt mobil machen.

    Mit großer Sorge sieht er, dass sein Sehnsuchtsort von Krisen und Zweifeln erschüttert wird. „Interessengegensätze treten deutlicher hervor, Grenzen der Solidarität werden sichtbar, nationalistische und populistische Kräfte haben Zulauf, anti-rationalistisches Denken hat Konjunktur“, klagt er.

    Gauck will kein Zurück zum abgeschotteten Nationalstaat

    Doch Resignation kommt für den 77-jährigen früheren DDR-Bürgerrechtler und ersten Chef der Stasi-Unterlagenbehörde nicht infrage. Der erste Mann im Staate, der ein überaus politischer Präsident gewesen ist und sich immer wieder mit klaren Positionen in die Innen- wie Außenpolitik eingemischt hat, bleibt sich als Ermunterer und Ermutiger, als Mutmacher und Optimist bis zuletzt treu. „Wir dürfen die Europäische Union nicht überfrachten“, sagt er in Maastricht und wirbt für eine Stärkung Europas durch eine Rückbesinnung auf die Heimat und die Nation, in der sich die verunsicherten Menschen stärker geborgen fühlen.

    „Menschen brauchen Heimat.“ Darum könne ein vereintes Europa nicht gegen die Nationalstaaten wachsen, der engere Zusammenschluss der Völker ziele nicht auf die Auslöschung nationaler Identitäten. „Wir können Limburger und Niederländer, Bayern und Deutsche sein und uns gleichzeitig alle zusammen als Europäer fühlen.“

    Und doch will Joachim Gauck kein Zurück zu einem Nationalstaat, der sich abschottet, seine Grenzen dichtmacht und seine nationalen Interessen gegen die Nachbarn durchsetzt. Im Zeitalter von Digitalisierung und rasantem technologischen Wandel könne sich nur ein kontinentaler Player auf dem Weltmarkt behaupten. Erst recht müsse man zusammenrücken wegen des Migrationsdrucks, eines international agierenden Terrorismus und einer instabilen Weltordnung mit Kriegen in der nächsten Nachbarschaft.

    Der Bundespräsident setzt auf die Jugend

    Die Wahl des neuen US-Präsidenten nennt Gauck, ohne Trump beim Namen zu nennen, einen „Schock“, der allerdings heilsam sein könne. Der Druck von außen könne Europa aktivieren, denn man wisse, „was wir als Bürger in Europa zu verteidigen haben“, um Demokratie und Frieden zu bewahren: „Keine Macht steht über dem Recht. Auch die Macht ist an das Recht gebunden.“

    Vor allem aber setzt Gauck am Ende seiner Amtszeit ganz auf die Jugend, die die Geschichte von Mauer und Teilung, Grenzpfählen und Geldwechselautomaten in Europa nicht mehr kennt. Er nennt sie die „Generation Maastricht“. Sie sei im Europa des Vertrages von Maastricht groß geworden, studiere in einem Europa ohne Grenzen und pflege Freundschaften über Nationalitäten hinweg. Geradezu leidenschaftlich fleht er sie an: „Mischen Sie sich ein in die Politik. Geben Sie Ihre Zukunft nicht aus der Hand. Engagieren Sie sich gerade jetzt für die Idee eines geeinten Europas.“

    Am Sonntag wird der neue Bundespräsident gewählt. Alle Informationen dazu gibt es in unserem News-Blog: Bundespräsidentenwahl 2017: Wie viel Macht hat der Bundespräsident?

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