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Bundespräsident: Gauck und Merkel finden zueinander

Bundespräsident

Gauck und Merkel finden zueinander

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    Der designierte Bundespräsident Joachim Gauck stellt sich den Bundestagsfraktionen vor.
    Der designierte Bundespräsident Joachim Gauck stellt sich den Bundestagsfraktionen vor. Foto: Caroline Seidel dpa

    Joachim Gauck verneigt beim Handschlag kurz den Kopf vor Angela Merkel. Es folgt ein kleines Wortgeplänkel. Die Bundeskanzlerin und der Bundespräsidentenkandidat, den sie erst nicht wollte, lachen, bevor Unionsfraktionschef Volker Kauder die Glocke läutet. Die Vorstellungsrunde bei der Unionsabgeordneten ist eröffnet.

    Gauck: Kein "Gefühl von Fremdheit" im Bundestag

    45 Minuten erlebt Gauck am Dienstag im Bundestag bei seinem Besuch in der CDU/CSU-Fraktion ein "sehr waches Zuhören", wie er hinterher sagt. "Wir haben auch ein wenig über Wertvorstellungen gesprochen, die mich mit diesem Teil des politischen Spektrums verbinden." Angesprochen darauf, dass die Union ihn erst strikt ablehnte und nur zur Vermeidung des Koalitionsbruchs mit der FDP billigte, sagt Gauck: "Ein Gefühl von Fremdheit ist gar nicht erst aufgekommen." Künftig wird er mit Merkel die erste protestantische, ostdeutsche Doppelspitze in der Geschichte der Bundesrepublik bilden.

    Göppel konfrontiert Gauck mit früheren Aussagen

    Der CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel, der schon gegen längere Atomlaufzeiten stimmte und schärfere Regeln für die Finanzmärkte wollte, konfrontiert Gauck mit Aussagen, die ihm nach seiner Nominierung oft vorgehalten worden sind. Er will wissen, ob die Demonstrationen der Occupy-Bewegung gegen zügellose Finanzmärkte wirklich "albern" seien? Viele Menschen sorge es schließlich, dass die Märkte die Politik vor sich hertreiben.

    Zitate von Joachim Gauck

    "Unsäglich albern" (16.10. 2011, zur Finanzmarkt-Debatte)

    "Das wird schnell verebben." (16.10.2011, zur internationalen Protestbewegung "Occupy")

    "Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen." (24.06.2010, über die Ernüchterung vieler Ostdeutscher über das Leben im wiedervereinigten Deutschland)

    "Ich würde in der Tradition all derjenigen Bundespräsidenten stehen, die sich gehütet haben, die Politik der Bundesregierungen zu zensieren. Mancher wünscht sich ja einen Bundespräsidenten wie einen Kaiser, als letzte Instanz über allem - das darf er nicht sein." (25.6.2010, bei seinem ersten Anlauf zur Präsidentschaft im Fernsehsender n-tv über sein Amtsverständnis.)

    "Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten." (3.10.2010 bei einer Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus zum Einheits-Jubiläum)

    "Denn als Bürger der DDR haben ich und viele andere Menschen im ganzen Osten Europas Ohnmacht erlebt und trotz Ohnmacht Ähnliches geschafft: Es gibt ein wahres Leben im falschen.". (10.10.2010 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den israelischen Schriftsteller David Grossmann)

    «Verantwortung ist dem Untertan meistens fremd. Was er am besten kann, ist Angst haben.» (1999 über Furcht vor der Freiheit bei Menschen in Ostdeutschland)

    "Wir sind nicht dazu da, vor dem Verbrechen zu kapitulieren und vor dem Unheil zu flüchten." (29.11.2010, vor der Entgegennahme des Geschwister-Scholl-Preises)

    „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ (2011 über Thilo Sarrazin und sein Buch über Migrationspolitik.

    «Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.» (3.10.2010 bei einer Feierstunde zum Einheits-Jubiläum)

    "Wir dürfen uns von den Fanatikern und Mördern nicht unser Lebensprinzip diktieren lassen." (27.7.2011, bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten aus Sicherheitsaspekten als Reaktion auf Terror)

    "Geben Sie mir einfach noch ein wenig Zeit." (17.2.2012, auf die Frage eines Reporters, ob er bereit für eine Kandidatur als Bundespräsident sei)

    Gauck ist überrascht. Es wundere ihn, dass er in dieser Fraktion diese Frage höre. Das hätte er wohl eher schräg gegenüber bei der Linksfraktion erwartet. Gauck habe berichtet, er kenne auch Banker, die ehrbare Kaufleute seien, heißt es hinterher. Seine Aussage habe sich auf einen Slogan "Besetzt die EZB" (Europäische Zentralbank) bezogen. Gauck sagt zudem, bei dem Protest gebe es eine gewisse Beliebigkeit der Zielvorstellungen - mit dieser Kritik steht der Präsident in spe nicht alleine.

    Gauck betont die Freiheit der Wirtschaft, er weiß aber auch, dass von ihm hierzu wegweisende Aussagen erwartet werden, nachdem der zurückgetretene Christian Wulff zur Macht der Märkte wenig gesagt hat. Nur wenige Meter sind es von der Unions- zur SPD-Fraktion. Dort wird Gauck mit langem Beifall begrüßt. Er ist bewegt von dem warmen Empfang, Abgeordnete machen mit dem Handy Fotos von ihm. Quer durch die Fraktionen freut man sich auf den Querdenker.

    Steinmeier: Gauck ist ein "Lehrer der Demokratie"

    SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bezeichnet Gauck als "Lehrer der Demokratie", der nicht nur eine Lebensgeschichte aus den Aufbruchzeiten zum Ende der DDR habe. "Wir stehen zu diesem Kandidaten, vor zwei Jahren genauso wie heute."

    Die Linke will Gauck nach seinen Stippvisiten bei Union, SPD, Grünen und FDP in der kommenden Woche auch noch besuchen, um möglichst einige der Vorbehalte gegen ihn auszuräumen. Parteichefin Gesine Lötzsch sieht ihn als einen "Kandidaten der kalten Herzen", der nichts zu sagen habe zum Thema soziale Gerechtigkeit. Dem einstigen Stasi-Gegner stellt die Linke in der Bundesversammlung daher die frühere Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld entgegen.

    Gauck landet Besteller mit "Freiheit. Ein Plädoyer" und seiner Autobiografie

    Das ist Joachim Gauck

    Bundespräsident Joachim Gauck hat ein bewegtes Leben hinter sich. Seine wichtigsten Stationen.

    Gauck kommt 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater ist Kapitän, seine Mutter gelernte Bürofachfrau. Sein Vater wird von den Russen wegen angeblicher Sabotage in einem Lager in Sibirien verschleppt, als Gauck sechs Jahre alt ist. Er kommt erst viele Jahre später wieder frei.

    Nach dem Abitur studiert Joachim Gauck Theologie in Rostock und arbeitet dann ab 1967 als Pastor in Lüssow. Sein eigentlicher Berufswunsch Journalist zu werden, lässt sich in der DDR nicht erfüllen.

    Ab 1974 wird Joachim Gauck wegen seiner kritischen Predigten von der Stasi beobachtet.

    Als sich in der DDR Ende der achtziger Jahre Widerstandsgruppen formieren, wird Gauck Mitbegründer und Sprecher des „Neuen Forums“. Er leitet unter anderem Gottesdienste und führt Großdemonstrationen an.

    Das Ende des DDR-Regimes und die Wendezeit nennt Gauck die "prägende Zeit meines Lebens".

    1990 leitet er als Abgeordneter der frei gewählten DDR-Volkskammer den Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit.

    Am Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernimmt Joachim Gauck die nach ihm benannte Stasi-Unterlagen-Behörde. Bis zum Jahr 2000, als er die Leitung an Marianne Birthler abgiebt, avanciert Gauck zum bekanntesten Gesicht der DDR-Demokratiebewegung.

    Nach dem Mauerfall trennt sich der Theologe von seiner Frau und findet eine neue Lebenspartnerin aus dem Westen - eine Journalistin aus Nürnberg. Bis heute sind beide nicht miteinander verheiratet.

    2003 wird Joachim Gauck aus den Reihen der FDP erstmals als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel gebracht.

    2005 wird Joachim Gauck, damals 65 Jahre alt, Ehrendoktor der Universität Augsburg.

    Der Vater von vier Kindern und mehrfache Großvater engagiert sich auch im Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“. Als Vorsitzender kümmert er sich zusammen mit vielen Mitstreitern um die Aufarbeitung der Geschichte der Diktaturen in Deutschland.

    Im Sommer 2010 wird er von SPD und Grünen zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Dass er bei der durch Horst Köhlers Rücktritt nötig gewordenen Wahl knapp an Wulff scheitert, ändert nichts an seiner Beliebtheit.

    2011 sorgt Gauck für Schlagzeilen, als er Thilo Sarrazin für sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ Mut attestiert. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik“, sagte Gauck, wobei er sich den den Inhalten des Buches distanzierte.

    Nach dem Rücktritt von Christian Wulff wird Gauck von Union, FDP, Grünen und SPD zum gemeinsamen Kandidaten für die Wahl eines neuen Bundespräsidenten nominiert.

    Am 18. März 2012 wählt ihn die Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten, am 23. März wird er vereidigt.

    Hier, ganz oben im Bundestag kann Gauck am Dienstag durch die verglaste Kuppel schon mal den Platz sehen, wo er unten im Plenum in knapp drei Wochen seinen Amtseid leisten soll. Es gibt kaum einen Zweifel, dass er hier am 18. März folgenden Satz sprechen wird: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."

    Die Kür zum (Fast)-All-Parteien-Kandidaten hat für Gauck auch einen netten Nebeneffekt. Sein vor einer Woche erschienenes Werk "Freiheit. Ein Plädoyer" schaffte es laut media-control aus dem Stand an die Spitze der Sachbuch-Charts. Beim Internethändler Amazon liegt das Buch auf Platz 6. Auch seine Autobiografie "Winter im Sommer - Frühling im Herbst: Erinnerungen" liegt bei den meisten Händlern unter den zehn bestverkauften Titeln. dpa

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