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Baden-Württemberg: Warum die CDU in Baden-Württemberg ein ernsthaftes Problem hat

Baden-Württemberg

Warum die CDU in Baden-Württemberg ein ernsthaftes Problem hat

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    Bleibt Winfried Kretschmann als grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg an der Macht? Oder geht die Staatskanzlei zurück an die CDU? Susanne Eisenmann will das Unmögliche möglich machen.
    Bleibt Winfried Kretschmann als grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg an der Macht? Oder geht die Staatskanzlei zurück an die CDU? Susanne Eisenmann will das Unmögliche möglich machen. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Das Problem mit einer Bildungsministerin als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl zeigt sich am Dienstag in Waiblingen nach wenigen Minuten. Susanne Eisenmann, die Mitte März für die CDU in Baden-Württemberg Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) ablösen möchte, steht da mit dem örtlichen Landtagskandidaten vor der Kamera und „will’s wissen“. Es ist eines dieser Formate, bei denen das Publikum Fragen per Chat stellt. Die Fragen sprudeln auch rege. Wann dürfen Kinder wieder in die Schule? Warum sind die Schulen so schlecht ausgestattet? Wer denkt an die Belastung der Lehrer? Und warum hat Eisenmann absurd wenige Mittel aus dem Digitalisierungspakt Schule der Bundesregierung abgerufen? Irgendwann motzt Eisenmann: „Sonst schauen Sie einfach auf die Homepage des Ministeriums, da finden Sie sehr viele Informationen.“

    Nur noch 50 Tage sind es zur Landtagswahl. Und die Probleme der CDU sind gigantisch. Als Ende vergangenen Jahres eine Umfrage ergab, dass selbst unter den eigenen Parteianhängern 70 Prozent einen Ministerpräsidenten Kretschmann gegenüber einer Ministerpräsidentin Eisenmann bevorzugen, wirkte das wie der Tiefpunkt. Nach den vergangenen zwei Wochen nun sind sich viele CDU-Wahlkämpfer da nicht mehr so sicher: Zunächst setzte Eisenmann bei der Wahl zum CDU-Chef auf Friedrich Merz statt auf Armin Laschet. Dann begehrte die CDU-Frau nicht nur gegen die CDU-Bundeskanzlerin (und Umfragekönigin) auf, indem sie eine Öffnung der Schulen forderte. Sie setzte sich damit dann auch in der Landesregierung nicht durch, obwohl sie dort ja Ministerin für Schulen ist.

    Spott für Susanne Eisenmanns Plakatkampagne

    Danach enthüllte sie ihre Plakatkampagne. Auf einem dieser Plakate bittet sie wegen einer unglücklichen Anordnung von Text und Bild darum, beschützt zu werden. Ein zweites ist nicht viel besser. „CDU wählen, weil wir Verbrecher von heute mit der Ausrüstung von morgen jagen“, heißt es dort. Daraus wurde bei Twitter schnell: „Wir Verbrecher von heute“, weil Autofahrer ja oft beim Vorbeifahren nur die erste Zeile lesen können. Der grüne OB-Rentner Fritz Kuhn fragte denn auf Twitter: „Liebe Frau Eisenmann, hat Eure Werbekampagne etwas gekostet?“ Ein CDU-Stratege kann der ganzen Diskussion noch etwas Gutes abgewinnen: Immerhin spreche man nun nicht mehr ausschließlich über „Eisenmanns miese Schulpolitik“, sagt er sarkastisch.

    Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der baden-württembergischen CDU für die kommende Landtagswahl, zog sich mit ihrer Plakatkampagne Spott zu.
    Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der baden-württembergischen CDU für die kommende Landtagswahl, zog sich mit ihrer Plakatkampagne Spott zu. Foto: Marijan Murat, dpa

    All das könnte man nun als Wirren eines Landesverbandes abtun, wenn es nicht über Jahrzehnte der mächtigste und heute mit immer noch 64000 Mitgliedern der größte der CDU wäre. Und so zeigt sich in Baden-Württemberg nicht nur, was mit einer „Staatspartei“ passiert, die die Macht verliert. Sondern auch die Spannung, unter der die CDU leidet. Zwar bemüht sich Bundesparteichef Armin Laschet, auf maximale Distanz zum Wahlkampf seiner südlichsten Parteifreunde zu gehen. Und auch CSU-Chef Markus Söder übt sich in Spott und bändelt lieber mit Eisenmanns Konkurrent Kretschmann an. Doch sowohl ein Kanzlerkandidat Laschet als auch ein Kanzlerkandidat Söder hätten mit einem katastrophalen Ergebnis der Baden-Württemberger CDU bei den Landtagswahlen und später bei der Bundestagswahl Probleme bei den eigenen Aussichten auf das Kanzleramt.

    Die CDU in Baden-Württemberg hat ein Problem

    Was ist also los bei der CDU im Südwesten, die nach fünf Jahrzehnten ununterbrochener Herrschaft 2011 zunächst in der Opposition und 2016 dann als Juniorpartner in Deutschlands erster grün-schwarzer Landesregierung landete?

    Konservativ, aber kein CDU-Wähler mehr: Wolfgang Grupp.
    Konservativ, aber kein CDU-Wähler mehr: Wolfgang Grupp. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Neulich bekam Wolfgang Grupp einen Anruf von Armin Laschet. Der war gerade Bundeschef der CDU geworden und wollte von dem Textilunternehmer von der Schwäbischen Alb wissen, ob er denn wieder CDU wählen würde. Grupp ist nicht nur ein bekannter Mittelständler, sondern auch konservativ – und seit der letzten Landtagswahl Kretschmann-Wähler. Weil er das auch offen kundtut, ist er ein Problem für die CDU. Und auch nach dem Telefonat mit Laschet bleibt Grupp hart. „Dass wir 2011 als führendes Wirtschaftsland in Baden-Württemberg die erste rot-grüne Regierung bekamen, fand ich schlimm! Nun ist es aber so, dass Herr Kretschmann das Land sehr gut führt und vor allem den realpolitischen, gemäßigten Kurs der Partei vertritt“, sagt Grupp unserer Redaktion. „Deshalb bekommt Herr Kretschmann meine Stimme.“ Die CDU hätte er nur mit Friedrich Merz gewählt, bei der Partei fehlen ihm Maß und Mitte. Kretschmann sei dagegen realpolitisch und gemäßigt.

    Brettschneider: CDU verliert Wähler an Grüne, AfD und FDP

    Frank Brettschneider, Politik- und Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim, sagt: „Es gibt eine relativ starke Verunsicherung in der Partei. Und damit die fehlende Klarheit: Wofür steht die CDU in Baden-Württemberg?“ Allein wenn man sich die Wählerwanderung der letzten Wahl anschaut: „Die CDU hat an die Grünen verloren, an die AfD und an die FDP. Wenn man sich das anguckt, sind das drei Richtungen, in die es keine Schnittmengen gibt“, sagt Brettschneider.

    Und tatsächlich sind das die drei Richtungen, in die es die CDU seitdem zerreißt. Denn eigentlich zog die Landesspitze nach der letzten Landtagswahl los, jene Wähler einzufangen, die an die Grünen gegangen waren. Der sehr konservativ aufgetretene Spitzenkandidat Guido Wolf wurde als Tourismusminister geparkt und durch den liberaleren Thomas Strobl ersetzt. Der wurde nicht nur Parteichef und Innenminister, sein Schwiegervater Wolfgang Schäuble schickte auch Personal, um Strobl in Szene zu setzen. Das Ergebnis war, dass die Landtagsfraktion Strobl als zu liberal befand, ihn mehrfach im Regen stehen ließ und ihn auf der Hälfte der Legislaturperiode zwang, Eisenmann zur Spitzenkandidatin auszurufen.

    Thomas Strobl wollte, dass seine Partei liberaler wird.
    Thomas Strobl wollte, dass seine Partei liberaler wird. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Seitdem belauern sich die Flügel gegenseitig. Es gibt liberale Köpfe aus dem Merkel-Lager wie Ex-Bildungsministerin Annette Schavan oder Annette Wiedmann-Mauz, die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung. Beide sind in der Öffentlichkeit sehr stark bemüht, möglichst wenig mit dem Landesverband in Verbindung gebracht zu werden. Dann gibt es die fünf Landesminister: Neben Strobl, Eisenmann und Wolf sind das noch Landwirtschaftsminister Peter Hauk und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Doch auch die strahlen nicht heller als die anderen drei: Hauk musste während eines nur mühsam abgewendeten Bienen-Volksbegehrens gegenüber Umweltschützern und Ökobauern Verständnis zeigen, ohne die Klientel auf dem Land zu vergraulen. Und Hoffmeister-Kraut schlägt sich seit Monaten mit einem Skandal um einen Expo-Pavillon herum.

    Der CDU Baden-Württemberg geht die Mitte verloren

    Dieser Ministerriege gegenüber steht eine Fraktion aus erzkonservativen älteren Herren aus den ländlichen Gebieten. Es ist in Stuttgart kein Geheimnis, dass Fraktion, Kabinett und Partei eher ein mühsam zusammengehaltenes Konglomerat bilden. Zwar ist es Generalsekretär Manuel Hagel gelungen, für die Wahl eine Kandidatenliste aufzustellen, die nicht nur jünger und weiblicher ist als je zuvor. Sondern auch jünger und weiblicher als die Liste der Grünen. Nur: Das merkt niemand. Denn in der Öffentlichkeit stehen andere. Das hat auch mit den Grünen zu tun: „Je mehr Kretschmann Menschen aus der Mitte angesprochen hat, desto weniger Menschen von dort bleiben für die CDU“, sagt ein Politikbeobachter. „Am Ende engagiert sich dort nur der reaktionäre Rest.“

    CDU liegt in den Umfragen hinten

    • Koalitionsfrage: Ein weiterer wichtiger Fingerzeig: Eine Wiederauflage von Grün-Schwarz erhält die meiste Zustimmung. 44 Prozent der Befragten fänden ein solches Bündnis gut, 32 Prozent schlecht, und 21 Prozent wäre es egal. Grüne und CDU regieren seit 2016 gemeinsam.
    • CDU hinkt hinterher: Wenn am Sonntag Landtagswahl wäre, lägen die Grünen bei 34 Prozent und die CDU bei 28 Prozent. Die AfD erreicht demnach 11 Prozent, die SPD 10 Prozent und die FDP 9 Prozent. Die Linke käme nur auf 3 Prozent und würde erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Laut Forschungsgruppe Wahlen wissen 58 Prozent der Befragten noch nicht, wen oder ob sie wählen wollen.
    • So lief es 2016: Bei der Wahl 2016 hatten die Parteien so abgeschnitten: Die Grünen erreichten 30,3 Prozent, die CDU landete erstmals hinter der Ökopartei mit 27 Prozent, die AfD schaffte mit 15,1 Prozent den Sprung in den Landtag, die SPD rutschte auf historisch schlechte 12,7 Prozent ab, die FDP kam auf 8,3 Prozent, und die Linke schwächelte mit 2,9 Prozent.

    „Vieles von der Professionalität der CDU bis 2010 war von Menschen getragen, die lange Jahre in Ministerien tätig waren und da ihr Handwerkszeug erledigt haben“, sagt Politikwissenschaftler Brettschneider. Doch diese Menschen sind nun entweder in die Wirtschaft weitergezogen – oder zu den Grünen. Deswegen haut auch der Ärger mit den Wahlplakaten so stark herein. „Wenn ohnehin durch die reale Politik schon Zweifel an den Managementqualitäten und der Professionalität eines Kandidaten bestehen und dann kommt noch etwas im Wahlkampf dazu, das dieses Bild bestätigt, ist das gefährlich“, sagt Brettschneider. „Das erweckt den Eindruck: Da kann jemand Krise nicht.“

    Susanne Eisenmann hat bei Oettinger gelernt

    Gleichwohl sollte man Eisenmann nicht unterschätzen. Sie hat bei Günther Oettinger gelernt. Jenem letzten ernst zu nehmenden Ministerpräsidenten aus den eigenen Reihen, wie sie in der CDU sagen, der Zeit seines politischen Lebens immer nur eine Hand breit an der nächsten Peinlichkeit vorbeischrammte, aber sich genau deswegen eine breite Fan-Basis im Ländle herbeischlawinerte. Eisenmann versucht es mit demonstrativer Gelassenheit. Beim Parteitag appellierte sie kürzlich an die Selbstliebe. „Wir müssen uns auch selber mögen“, sagt sie. Sonst werde man nicht gewählt. „Ich rate dazu, auch mal eine gewisse Gelassenheit auszustrahlen.“ Und: Die Grünen mögen sich für die moderneren, urbaneren Menschen halten: Die gut acht Millionen Wahlberechtigten verteilen sich auf mehr als 1100 Gemeinden. Es ist ein Land mit einer entsprechend wertkonservativen Klientel. Trotzdem muss die „Eisenmannschaft“, wie sie und ihre Unterstützer sich nennen, an ihrer Siegtaktik feilen, wie kürzlich von CSU-Chef Söder empfohlen – doch derzeit wird sie arg in die Defensive gedrängt.

    Viele CDU-Aktive vor Ort hoffen schon auf die übernächste Landtagswahl. Der Grüne Winfried Kretschmann wäre dann fast 80 und würde vermutlich nicht mehr als Spitzenkandidat kandidieren. Politikwissenschaftler Brettschneider sagt: „Was passiert, wenn es irgendwann ohne Kretschmann geht, ist offen.“ Und das ist in der CDU Baden-Württemberg dieser Tage schon eine gute Nachricht.

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