Frau Müller, welches Auto fährt die Chefin des Automobilverbandes eigentlich?
Hildegard Müller: Ich nutze privat und dienstlich ein Hybrid-Modell. Für mich ist der Hybrid mit seinem Elektro- und Verbrennungsmotor das Beste aus beiden Welten. Kurze Strecken fahre ich elektrisch, längere Distanzen lege ich mit einem effizienten, sauberen Verbrenner zurück – die ideale Mischung. Ein reines Elektroauto wäre angesichts des aktuellen Ladesäulennetzes und der oft langen Wege, die ich zurücklegen muss, schwierig.
In Deutschland macht der langsame Abschied von Benziner und Diesel vielen Angst. Die Risiken stehen im Vordergrund, aber besteht nicht jetzt auch die Chance, den Stier bei den Hörnern zu packen?
Müller: Das passiert bereits, die Unternehmen tun alles, um gegenzusteuern. Aber: Wir stecken in einer existenziellen Wirtschaftskrise. Und nach den Wirtschaftsdaten und Rückmeldungen aus der Branche haben wir es mit längerfristigen Verwerfungen zu tun. Das schwächt kleine Mittelständler ebenso wie Konzerne. Es fehlt an Liquidität, gefährdet Arbeitsplätze, und es wird immer schwieriger, die Investitionspläne umzusetzen.
Hat die Automobilindustrie im Shutdown alles Mögliche getan?
Jetzt sind wir doch wieder nur beim Negativen…
Müller: Mir scheint, dass noch nicht alle das Ausmaß dieser Krise sehen. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung setzt sinnvolle Impulse, keine Frage. Der Ausbau der Ladenetze wird stärker gefördert, die Kaufprämie für Elektroautos aufgestockt, und es gibt direkte Unterstützung für Investitionen in Innovationen, von denen wir hoffen, dass davon insbesondere Zulieferer profitieren können. Das alles stützt die Branche in ihrer Transformation – die sie im Übrigen ja engagiert vorantreibt: Bis 2023 werden unsere Unternehmen ihr E-Angebot etwa von heute etwa 60 auf über 150 Modelle in etwa verdreifachen. Bis 2024 investieren sie 50 Milliarden Euro in neue Antriebe und 25 Milliarden Euro sollen zusätzlich in die Digitalisierung gehen. Von den hierzulande zehn meistverkauften Elektroautos kamen im ersten Quartal sieben von deutschen Herstellern. Die Branche redet nicht, sie handelt.
Werden denn diese Investitionspläne überhaupt zu halten sein? Die Aussichten der Unternehmen sind angesichts der Schwere des Abschwungs düster.
Müller: Genau deshalb ist es so wichtig, dass die Konjunktur so schnell wie möglich wieder anspringt. Wer keinen Gewinn macht, kann keine Steuern zahlen. Und er kann nicht investieren. Die Automobilindustrie hat in der Zeit des Shutdowns alles getan, um die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung auf hohem Niveau zu halten, und sie tut das weiterhin. Schließlich haben wir herausfordernde Ziele im Klimaschutz zu erfüllen. Das Erreichen der Flottengrenzwerte beim Ausstoß von CO2 bleibt unser Ziel, auch wenn sich eine Pandemie über den Globus ausbreitet. Eine lang anhaltende Rezession macht aber natürlich nicht vor den Entwicklungsetats halt. Ich sehe das mit Sorge, vor allem mit Blick auf die mittelständischen Zulieferer. Die müssen massiv in neue Technologien investieren, fallen aber aus vielen der derzeit aufgelegten Programme raus. Mal weil sie zu klein, mal zu groß dafür sind. Das muss die Politik in Berlin und Brüssel stärker in den Fokus nehmen. Die Länderministerpräsidenten waren da näher am Puls.
Auto-Lobbyistin: "Eine Prämie für Verbrenner würde die Konjunktur anschieben"
Die Politik hat sich gegen eine Neuauflage der Abwrackprämie entschieden. Hätte diese die Autokonjunktur anschieben können?
Müller: Es gilt der Primat der Politik. Dennoch bin ich sicher, dass eine Prämie für saubere Verbrenner die Konjunktur umfassender anschieben würde. Es ist richtig, dass Elektro- und Hybridfahrzeuge gefördert werden und engagiert in die Ladesäuleninfrastruktur investiert wird. Aber derzeit haben Elektrofahrzeuge einen Marktanteil von etwa zehn Prozent. Wenn man eine breite Wirkung zur Konjunkturerholung erzielen will, müsste man auch den großen Rest der modernen, sauberen Diesel und Benziner fördern. Damit würde man auch schnell mehr für den Klimaschutz erreichen.
Viele Mittelständler in ganz Deutschland hängen am Verbrenner. Hätten die nicht mehr Rückendeckung seitens der Bundesregierung verdient?
Müller: Nehmen Sie Bayern: Mit 206300 Beschäftigten liegen 24 Prozent aller Arbeitsplätze der deutschen Automobilindustrie in diesem Bundesland. In Baden-Württemberg sind es 28 Prozent aller Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Viele der oft mittelständischen Automobilunternehmen sind der wirtschaftliche Kern in den jeweiligen Regionen, sie sind gute, innovative und verantwortliche Arbeitgeber, gute Steuerzahler. Und nun befinden sie sich in einer schwierigen Situation. Unsere Umfrage hat ergeben, dass 93 Prozent der Mittelständler in der Automobilindustrie derzeit das Instrument der Kurzarbeit nutzen. Insgesamt befindet sich mehr als die Hälfte der Mitarbeiter der Zulieferer in Kurzarbeit. Dieses Instrument ist eine wichtige Brücke, aber es hilft nicht aus der Bredouille. Die Bundesregierung hat fraglos Maßnahmen ergriffen, die den Mittelstand stützen sollen. Die Frage ist, ob sie entsprechend wirken. Unserer Industrie ist wie andere unverschuldet in die Krise gekommen und hat die gleiche Unterstützung wie andere betroffene Branchen verdient.
Warum die Corona-Krise die Herausforderungen für die Auto-Branche verstärkt
Müssen die Beschäftigten Angst um ihre Arbeitsplätze haben?
Müller: Niemand kann heute voraussagen, wie wir durch diese Krise kommen. Durch die Transformation ist die Branche bereits in einer sehr angespannten Lage. Und durch die Corona-Krise werden die Herausforderungen nun wie durch ein Brennglas verstärkt. Erste Ankündigungen zu Arbeitsplatzabbau sind hier auch erste Warnsignale. Die Automobilindustrie hat eine hohe Wertschöpfung in Deutschland. Wenn wir diese Arbeitsplätze verlieren, wird es für viele Regionen in Deutschland schwierig.
Ihre erste Bewährungsprobe als VDA-Chefin ist anders ausgegangen, als Sie es gehofft hatten. Wie enttäuschend war es, dass CDU und CSU sich nicht für eine Verbrennerprämie eingesetzt haben?
Müller: Es geht doch hier nicht um mich. Ich sehe das aus der Perspektive der Unternehmen und ihrer Beschäftigten, für die der Nachfrageimpuls wichtig ist. Aber man muss akzeptieren, dass der politische Wille anders war. Ich werde intensiv weiter daran arbeiten, der Automobilindustrie eine starke gemeinsame Stimme zu geben. Und ich möchte den Dialog führen über die Mobilität der Zukunft, mit vernetzten, nachhaltigen und bezahlbaren Angeboten. Es geht nicht um Autofahrer gegen Radfahrer oder Bahnfahrer. Und wir dürfen bei der Debatte die Leute nicht vergessen, die in ländlichen Räumen leben. Das Verkehrskonzept für den Prenzlauer Berg in Berlin passt nicht zu dem in den Dörfern und Kleinstädten. Wenn Sie als Pendler keine Angebote haben, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, dann empfinden Sie es als Hohn, wenn man den Individualverkehr schrittweise erschwert.
Genau diese Botschaft kommt oft dort an…
Müller: Die Vielfalt und Stärke unseres Landes ist eng daran geknüpft, dass Stadt und Land wirtschaftlich verbunden sind. Wo das wegbricht, bekommen wir ernsthafte Probleme. Dann haben Populisten leichtes Spiel. Es geht ja auch um die gesellschaftliche Verfassung und wie wir aus solchen Krisen herauskommen. Wo Menschen das Gefühl haben, dass ihre Interessen und Bedürfnisse nicht gehört werden, wird es bedenklich.
Zur Person: Hildegard Müller, 52, war von 1998 bis 2002 die erste weibliche Vorsitzende der Jungen Union. Seit Februar ist die frühere Staatsministerin Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie.
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