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Asylstreit: Horst Seehofer und Angela Merkel: Bauchmensch gegen Kopfmensch

Asylstreit

Horst Seehofer und Angela Merkel: Bauchmensch gegen Kopfmensch

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    Bundesinnenminister Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel: Ein Rauswurf des Chefs der Schwesterpartei aus dem Kabinett wäre ein Novum, etwas noch nie Dagewesenes.
    Bundesinnenminister Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel: Ein Rauswurf des Chefs der Schwesterpartei aus dem Kabinett wäre ein Novum, etwas noch nie Dagewesenes. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Er gegen sie. Sie gegen ihn. Nicht zum ersten, aber vielleicht zum letzten Mal stehen sich Horst Seehofer, CSU-Chef und Innenminister, und Angela Merkel, CDU-Chefin und Bundeskanzlerin, unversöhnlich gegenüber. Er pocht auf das Ressortprinzip und damit auf das Recht, in seinem Ministerium in eigener Verantwortung handeln zu dürfen.

    Daher will er notfalls im Alleingang seinen Masterplan zur Flüchtlingspolitik vorstellen und unverzüglich Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutschen Grenze anordnen. Sie dagegen bestimmt nach dem Kanzlerprinzip die Richtlinien der Politik, alle Ministerinnen und Minister sind an ihre Weisungen gebunden, bei Differenzen im Bundeskabinett gibt ihr Votum den Ausschlag.

    Ein Rauswurf Seehofers würde das Ende der Koalition bedeuten

    Wird es zum Äußersten kommen? Wagt es Horst Seehofer, sich gegen Merkel zu stellen und am Montag die Zurückweisungen anzuordnen? Und wie reagiert die Kanzlerin darauf? Entlässt sie den Minister – ein Recht, das ihr nach Artikel 64 des Grundgesetzes ausdrücklich zusteht und von dem sie im Jahr 2012 schon einmal Gebrauch machte, als sie ihren damaligen Umweltminister Norbert Röttgen entließ? Doch das war ein Parteifreund. Ein Rauswurf des Chefs der Schwesterpartei aus dem Kabinett wäre ein Novum, etwas noch nie Dagewesenes. Das Ende der Koalition.

    Vor allem wäre es der definitive Schlusspunkt einer schwierigen Beziehung, die seit bald zwei Jahrzehnten die deutsche Politik prägt. Horst Seehofer und Angela Merkel verbindet nicht nur eine lange, sondern auch eine komplizierte wechselseitige Geschichte mit zahlreichen Höhen und Tiefen sowie Verletzungen und Verwundungen. Vielleicht erklärt auch das die Schwere des Konflikts um die Asylpolitik. „Horst Seehofer hat ein Elefantengedächtnis. Er vergisst nichts – und vergibt nichts“, sagt einer, der ihn seit Jahrzehnten kennt.

    Um den Streit zwischen CDU und CSU geht es auch in unserem aktuellen Podcast. Hier reinhören:

    Dabei fing in den neunziger Jahren alles ganz harmonisch an. Gemeinsam saßen Merkel und Seehofer einst unter Helmut Kohl am Kabinettstisch in Bonn, er als Gesundheitsminister, sie erst als Ministerin für Frauen und Jugend, dann für Umwelt. Doch nach der Abwahl Kohls 1998 trennten sich ihre Wege. Merkel machte Karriere, wurde 2000 CDU-Chefin und 2002 auch noch Fraktionsvorsitzende, Seehofer dagegen musste sich mit dem Posten eines stellvertretenden Fraktionschefs begnügen.

    Zu einem ersten schweren Zerwürfnis kam es, als Merkel die Union modernisieren und in der Gesundheitspolitik einen radikalen Kurswechsel mit der Einführung einer Kopfpauschale wollte. Seehofer lehnte dies kategorisch ab. Doch er konnte sich gegen Merkel nicht durchsetzen – im November 2004 trat er als Vize-Fraktionschef zurück. „Diese Demütigung hat er nie vergessen“, sagt ein Vertrauter. „Denn in der Sache hat er ja recht behalten – die Kopfpauschale wurde nie eingeführt.“ Ein Jahr später wurde Merkel Kanzlerin – und Seehofer ihr Landwirtschaftsminister.

    Die Unions-Fraktion

    Seit Gründung des Deutschen Bundestags 1949 sind die Abgeordneten der Schwesterparteien CDU und CSU in einer einzigen Fraktion mit einem gemeinsamen Vorsitzenden vereint.

    Zu solchen Fraktionsgemeinschaften können sich laut Geschäftsordnung des Bundestags solche Parteien zusammenschließen, "die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen". Bei Wahlen tritt die CDU nicht in Bayern an, die CSU nur dort.

    Im Jahr 1976 hatte der damalige CSU-Chef Franz-Josef Strauß im Streit mit der CDU schon einmal die Fraktionsgemeinschaft aufgekündigt. Umgesetzt wurde der "Kreuther Trennungsbeschluss" aber nie.

    2008 später wechselte der Ingolstädter als CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident nach München. Auf der Berliner Bühne blieb er gleichwohl präsent: Als Chef der Schwesterpartei gehörte er dem Koalitionsausschuss an und bestimmte maßgeblich die Politik der Bundesregierung. An Konflikten herrschte kein Mangel. Mal sorgten das Erziehungsgeld, mal die Maut, mal die Mütterrente für einen Dissens zwischen Berlin und

    „Das Problem ist, dass sie von ihrer Persönlichkeit unterschiedlicher nicht sein könnten“, sagt ein führender Christdemokrat, der beide aus vielen Sitzungen und Verhandlungsrunden bestens kennt. „Seehofer ist ein Bauchpolitiker, der sich auf sein Gefühl verlässt und ein gutes Gespür für Stimmungen hat.“ Merkel hingegen sei eine „Kopfpolitikerin“, die kühl und rational abwäge, ehe sie sich entscheide.

    „Ihr macht seine Sprunghaftigkeit und Ungeduld zu schaffen, ihm ihre Emotionslosigkeit.“ Er trage Konflikte offen aus, sie lasse hingegen scheinbar ungerührt alles an sich abperlen. „Wenn es gut läuft, können sie sich perfekt ergänzen“, sagt ein Vertrauter der Kanzlerin. „Aber wenn es schlecht läuft, wird es verheerend. Denn beide sind felsenfest davon überzeugt, recht zu haben.“ Und beide lassen das auch den jeweils anderen spüren.

    Seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 gilt das Verhältnis der beiden als zerrüttet: Nur notdürftig wurden die Gegensätze im Wahlkampf überdeckt. Unvergessen die Szene auf dem CSU-Parteitag im November 2015, als Seehofer Merkel nach deren Rede eine Viertelstunde lang auf offener Bühne abkanzelte. Er sei „enttäuscht“ von der Rede der Kanzlerin gewesen, weil sie „keinen einzigen Satz“ zum Anliegen der CSU gesagt habe, die Zahl der Flüchtlinge mit einer Obergrenze zu reduzieren, sagte er hinterher zur Begründung. „Kein Zeichen der Verständigung, obwohl sie meine Position kennt.“

    Chronologie: Der Asyl-Streit zwischen CSU und CDU

    31. August 2015: "Wir schaffen das", sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf schließt sie nicht die Grenzen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Nach einer Aussprache mit der CDU legt er das Vorhaben kurz darauf ad acta.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München kritisiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer fordert erstmals eine konkrete Obergrenze: maximal 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    9. Februar 2016: Seehofer nennt die offenen Grenzen für Flüchtlinge im Herbst 2015 "eine Herrschaft des Unrechts".

    4./5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung.

    6. Februar 2017: Seehofer erklärt offiziell, die CSU unterstütze Merkel bei der Bundestagswahl. Zuvor war lange ein eigener Kanzlerkandidat nicht ausgeschlossen.

    1. April 2017: In einem Interview bezeichnet Seehofer Merkel als "unser größter Trumpf". Nur mit ihr sei die Wahl zu gewinnen.

    3. Juli 2017: Eine Obergrenze für Flüchtlinge kommt im Wahlprogramm der Union nicht vor. Im gesonderten CSU-Programm "Bayernplan" wird sie aber festgehalten. Seehofer macht sie erneut zur Koalitionsbedingung.

    20. August 2017: In einem Interview nennt Seehofer eine Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition nach der Wahl.

    24. September 2017: Trotz Verlusten gewinnt die Union die Bundestagswahl, doch die CSU stürzt auf für ihre Verhältnisse katastrophale 38,8 Prozent ab. Fehler der Union im Wahlkampf sieht Merkel nicht.

    8. Oktober 2017: Vor anstehenden Gesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen verständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Ausnahmen sind möglich. Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf.

    15. Dezember 2017: Merkel ist wieder auf dem CSU-Parteitag zu Gast. Die Schwesterparteien demonstrieren Geschlossenheit.

    12. März 2018: Union und SPD unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Seehofer wird als Innenminister in Merkels viertem Kabinett zuständig für Migration und Flüchtlinge. Er kündigt einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" an.

    15. März 2018: Seehofer sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Die Kanzlerin grenzt sich von ihm ab.

    10. Juni 2018: In der ARD-Sendung "Anne Will" spricht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die CSU-Forderung nach einer Zurückweisung bestimmter Asylbewerber an der deutschen Grenze aus. Sie wolle, dass Deutschland "nicht einseitig national" handle.

    11. Juni 2018: Seehofer verschiebt überraschend die für den Folgetag geplante Vorstellung seines Masterplans. Hintergrund sind Differenzen mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlinge an der Grenze, einem wichtigen Punkt des Masterplans.

    12. Juni 2018: Die CSU beharrt auf ihrer Forderung – und setzt auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin: "Wir setzen den Punkt durch", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterstützung bekommt Seehofer derweil auch aus den Reihen der CDU. Das wird auch in einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU deutlich.

    13. Juni 2018: Ein abendliches Krisentreffen zwischen Merkel und Seehofer endet ohne Annäherung. Merkel will zwei Wochen Zeit gewinnen und bis zum EU-Gipfel Ende Juni bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen. Die CSU lehnt das ab: Sie will umgehend auf nationaler Ebene handeln, bevor es mögliche europäische Schritte gibt.

    14. Juni 2018: Der Konflikt eskaliert: Eine laufende Bundestagsdebatte muss unterbrochen werden, die Abgeordneten von CDU und CSU beraten in getrennten Sitzungen mehr als vier Stunden lang über den Asylstreit. Seehofer droht Merkel mit einem "Alleingang". Eine Entlassung des Innenministers, ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU oder gar der Regierungskoalition – zwischenzeitlich erscheinen viele Szenarien möglich.

    15. Juni 2018: Der Bundestag befasst sich in einer aktuellen Stunde mit der Flüchtlingspolitik. Die Opposition kritisiert die Union dabei wegen des Asylstreits scharf. Derweil beharren CDU und CSU auf ihren Positionen.

    16. Juni 2018: CDU-Politiker warnen die CSU eindringlich vor einem Bruch der Union und fordern Kompromissbereitschaft.

    17. Juni 2018: Eine Annäherung zeichnet sich über das Wochenende nicht ab – die Fronten bleiben verhärtet.

    18. Juni 2018: Der Streit wird vertagt. CDU und CSU einigen sich darauf, dass Merkel zwei Wochen Zeit bekommt, um in der Flüchtlingsfrage bilaterale Abmachungen mit anderen EU-Staaten zu erreichen. Erst dann soll über mögliche Zurückweisungen an der Grenze entschieden werden, es gebe keinen "Automatismus", hob Merkel hervor. Umgehend zurückgewiesen werden sollen aber Flüchtlinge mit Einreise- oder Aufenthaltsverbot. Zugleich droht Merkel Seehofer am Montag mit ihrer "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin. (dpa/AFP)

    Um den Konflikt zwischen den Schwesterparteien nicht weiter anzuheizen, verzichtete der CSU-Chef auf seinen traditionellen Auftritt auf dem CDU-Parteitag kurze Zeit später. Und da sich Merkel im vergangenen Jahr weigerte, die CSU-Forderung nach einer Obergrenze ins Wahlprogramm der CDU aufzunehmen, verfasste die CSU ihren eigenen „Bayernplan“ – und setzte in den Koalitionsverhandlungen eine Art Obergrenze zwischen 180.000 und 220.000 Flüchtlingen pro Jahr durch.

    Und nun? Während die CSU geschlossen hinter Horst Seehofer steht, herrscht in der CDU eine gewisse Ratlosigkeit. „Angela Merkel weiß, dass eine Mehrheit in der Fraktion wie eine Mehrheit der Bevölkerung hinter Horst Seehofer steht und sich für Zurückweisungen an der Grenze ausspricht“, heißt es in der CDU. „Darum scheut sie auch eine Abstimmung in der Gesamtfraktion.“ Doch eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Fürs Wochenende ist erst einmal hektische Krisendiplomatie angesagt.

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