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Asylstreit: Darf Deutschland Flüchtlinge einfach zurückweisen?

Asylstreit

Darf Deutschland Flüchtlinge einfach zurückweisen?

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    Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze bei Passau: Nach Italien zurückbringen, aber nicht nach Österreich?
    Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze bei Passau: Nach Italien zurückbringen, aber nicht nach Österreich? Foto: Ulrich Wagner (Archiv)

    Die Frage, ob Deutschland in bestimmten Fällen Asylbewerber an der Grenze zurückweisen soll, hat nicht nur eine der schwersten Regierungskrisen der Ära von Kanzlerin Angela Merkel ausgelöst. Sie rührt auch an den Grundfesten der europäischen Flüchtlingspolitik. Warum ist diese Frage so umstritten und birgt so viel politischen Sprengstoff? Nicht nur in der deutschen Politik, auch unter Juristen löst das Thema heiße Diskussionen aus.

    Wann kann Deutschland Asylbewerber in andere europäische Länder zurückschicken?

    Eigentlich müssen laut EU-Recht Flüchtlinge dort Asyl beantragen, wo sie als Erstes europäischen Boden betreten, sagt der Bielefelder Staatsrechtler Christopher Gusy. „Das Problem ist, dass viele Flüchtlinge in den Ankunftsstaaten weder einen

    „Wenn ein Flüchtling bereits Asyl in einem anderen Staat beantragt hat, kann man den Betroffenen in diesen Staat zurückbringen“, sagt Gusy. „Hat ein Flüchtling beispielsweise in Italien erstmals einen Asylantrag gestellt, kann man ihn nach Italien zurückbringen, aber nicht nach Österreich.“

    Kommt es im Asylstreit zum großen Knall zwischen CDU und CSU? In unserem Podcast "Bayern-Versteher" sprechen wir über die Hintergründe.

    Kann Deutschland Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, an der Grenze zurückweisen?

    „Die herrschende Meinung unter den deutschen Europarechtlern lautet, dass es im Regelfall rechtlich nicht zulässig ist, in einem anderen Land bereits registrierte Asylbewerber einfach an der Grenze zurückzuschicken“, sagt der Staatsrechtler Walther Michl von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. „Es ist aber umstritten, ob sich Deutschland auf eine Ausnahmeklausel der europäischen Verträge berufen kann, wenn es die innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung bedroht sieht“, sagt der Europarechts-Experte.

    Allerdings sei diese Rechtsfrage kompliziert, da die Voraussetzungen umstritten seien und zudem die EU-Grundrechte-Charta gelte. Minderjährige Flüchtlinge oder solche mit engen Verwandten in Deutschland könnten in kaum einem Fall zurückgewiesen werden.

    Die Unions-Fraktion

    Seit Gründung des Deutschen Bundestags 1949 sind die Abgeordneten der Schwesterparteien CDU und CSU in einer einzigen Fraktion mit einem gemeinsamen Vorsitzenden vereint.

    Zu solchen Fraktionsgemeinschaften können sich laut Geschäftsordnung des Bundestags solche Parteien zusammenschließen, "die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen". Bei Wahlen tritt die CDU nicht in Bayern an, die CSU nur dort.

    Im Jahr 1976 hatte der damalige CSU-Chef Franz-Josef Strauß im Streit mit der CDU schon einmal die Fraktionsgemeinschaft aufgekündigt. Umgesetzt wurde der "Kreuther Trennungsbeschluss" aber nie.

    Was würde passieren, wenn Deutschland einfach Fakten schafft?

    In diesem Fall könnte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten. Die Bundesrepublik könnte dabei versuchen, sich mit ihrer Rechtsauffassung durchzusetzen. Der Münchner Staatsrechtler Michl verweist auf Schweden, wo die grüne Vize-Regierungschefin Asa Romson unter Tränen die Schließung der Grenzen für Flüchtlinge bekannt gegeben hatte. „Das ist jetzt zweieinhalb Jahre her und es hat kein EU-Verfahren oder Klagen gegeben“, sagt Michl.

     Selbst wenn Brüssel bei einer Änderung der deutschen Politik ein EU-Verfahren gegen die Bundesrepublik einleiten würde, dauere es voraussichtlich zwei Jahre, bis der Europäische Gerichtshof ein Urteil fällen werde. Allerdings, so betont der Bielefelder Staatsrechtler Gusy, bliebe

    Kann der Bundesinnenminister Grenzkontrollen einfach durchsetzen oder greift die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin?

    Hier gehen die Meinungen der Juristen etwas auseinander: „Ich halte das für eine Fachfrage, die ins Ressortprinzip fällt“, sagt der Münchner Staatsrechtler Michl. „Wenn die Kanzlerin allerdings argumentiert, damit stehe Europas Zusammenhalt und das Prinzip des Schengen-Raums auf dem Spiel, könnte sie vielleicht von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und eine Aufhebung der Anweisungen, die ihr nicht gefallen, verlangen“, fügt er hinzu.

    „Was dann passieren würde, ist völlig offen.“ Verfassungsrechtler Gusy sieht die Sache klar: „Die Kanzlerin kann praktisch jede Regierungsangelegenheit zur Richtlinie machen – oder wie es heute heißt: zur Chefsache“, betont er. „Ich sag’s mal auf gut Bairisch: Der Ober sticht den Unter“, sagt der Professor. Allerdings würde in diesem Falle die andere Seite wohl den Koalitionsvertrag aufkündigen.

    Um wie viele Menschen geht es derzeit in der Praxis?

    Im vergangenen Jahr kamen 65.000 bereits registrierte Flüchtlinge über die deutschen Grenzen. Knapp 23.000 hätten bereits nach heutigen Regelungen in die Erstaufnahmestaaten zurückgeschickt werden können. Allerdings verhindern oft Gerichtsurteile Rückführungen – etwa in überfüllte griechische Erstaufnahmelager.

    Tatsächlich wies Deutschland 7102 Migranten in Erstaufnahmeländer zurück. Von anderen EU-Ländern nahm die Bundesrepublik 8554 Flüchtlinge zurück, die hier als Erstes registriert wurden. An den deutschen Grenzen wurden 12.370 Zuwanderer zurückgewiesen – sie kamen ohne Papiere und stellten keinen Asylantrag.

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