Herr Laschet, Sie waren gerade in Bayern zur Ministerpräsidentenkonferenz. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat seine Kolleginnen und Kollegen dabei auch auf die Zugspitze eingeladen, damit alle auf sein Bayern blicken konnten. Wie war das da oben für Sie?
Armin Laschet: Na ja, höher als Zugspitze geht nicht. Das war schon sehr beeindruckend. Die Tagung war in Schloss Elmau und alle Länder, die die Ministerpräsidenten-Konferenz in den nächsten Jahren zu veranstalten haben, müssen überlegen, wie kann man das jetzt noch toppen. Also, er hat schon alles aufgefahren, was Bayern zu bieten hat. Wir sind in Nordrhein-Westfalen in zwei Jahren dran und ich komme aus Aachen, da fällt mir schon etwas bedeutendes Historisches ein.
Wenn die Ministerpräsidenten so gemeinsam zusammenkommen, schaut man hin: Die Regierungschefs waren immer auch eine Ersatzbank für Kanzlerkandidaturen und Ähnliches. Sie sagen immer, Ihr Platz sei in NRW. Aber im Moment denken dabei viele in der Union auch an Sie, oder?
Laschet: Ich finde, dass wir uns als CDU und CSU nicht bis zur Wahl im September 2021 eine Personaldebatte antun sollten. Auch die Bürger erwarten erst noch ein paar Ergebnisse von der Großen Koalition. Und wenn dann der Tag kommt, dass diese Frage entschieden werden muss, dann werden wir das – ich hoffe im Konsens – entscheiden.
Was hieße es für die Große Koalition, wenn Olaf Scholz bei der SPD-Vorsitzendenurwahl scheitern würde?
Laschet: Auch sein Gegenkandidat Norbert Walter-Borjans sagt inzwischen, das wäre nicht das Ende der Großen Koalition. De facto hätte es natürlich Auswirkungen, wenn der Vizekanzler keine Mehrheit hätte. Aber das können wir nicht steuern, das muss die SPD entscheiden. Und dann muss sie selbst sagen, will sie noch an der Großen Koalition festhalten oder nicht. In der Union kenne ich keinen, der sagt, dass er die Große Koalition verlassen will.
Wenn man die Halbzeitbilanz nüchtern betrachtet, ist die GroKo effektiver, als viele denken. Schreckt die Große Koalition die Menschen vor allem in ihrer Wahrnehmung ab?
Laschet: Das kann man in allen Umfragen lesen. Wenn man ständig darüber debattiert, dass man eigentlich nur gezwungen wurde, gemeinsam zu regieren, dann strahlt das nicht aus, dass dies eine Regierung ist, die über 2021 hinaus wirklich etwas für das Land bewegen will. Ich merke das bei uns anders: Wir sind jetzt seit zwei Jahren in Nordrhein-Westfalen als einzige schwarz-gelbe Koalition in Deutschland im Amt. Da hat jeder den Willen, wir wollen etwas verbessern. Wir wollen bei der Bildung vorankommen. Wir wollen wirtschaftlich wieder stärker werden und einen Kurswechsel bei der inneren Sicherheit. Da diskutiert keiner, 2022 wollen wir das alles nicht mehr. In Berlin ist das aber ständig die Diskussion. Für die Aufgaben, die vor Deutschland liegen, ist das keine gute Herangehensweise.
Als sich Annegret Kramp-Karrenbauer im Rennen um den CDU-Vorsitz durchgesetzt hatte, war ihr erklärter Anspruch, sich wirklich um die CDU zu kümmern und die Partei zu reformieren. Jetzt hat sie ein Ministeramt und viele fragen sich, was ist denn jetzt mit der Parteireform?
Laschet: Wir sind in einem Prozess für ein neues Grundsatzprogramm. Das haben wir uns auf demselben Wahlparteitag vorgenommen. So etwas ist nur im Team leistbar. Da werden wir alle daran mitwirken, auch ich als Stellvertreter. Wir müssen dabei auch über Themen diskutieren, die in die Zukunft gehen und über 2021 hinaus weisen. Diese Debatte muss jetzt stattfinden.
Annegret Kramp-Karrenbauer ist ja nicht als Teamplayer gewählt worden, sondern als Vorsitzende der CDU…
Laschet: Dass ein CDU-Vorsitzender theoretisch den Anspruch haben kann, in ein Bundeskabinett einzutreten, das ist auch klar.
Woher kommt dann die starke Debatte auch in der Union, das wird nichts mehr mit ihr als Kanzlerkandidatin?
Laschet: Das weiß ich nicht. Ich will das jetzt hier nicht benoten. Jeder muss jetzt seinen Job machen. Und am Ende entscheiden wir, wer die größten Chancen hat.
Wir müssen über den Vorstoß der Verteidigungsministerin reden, der von Inhalt und Form umstritten ist, in Nordsyrien eine Schutzzone einzurichten. Horst Seehofer hat gesagt, er hält das für einen guten und richtigen Vorschlag. Sehen Sie das auch so?
Laschet: Die einen sagen, endlich beteiligt sich Deutschland mal an einer internationalen Mission. Das trifft ja nur die Hälfte der Wahrheit. Deutschland beteiligt sich seit Jahren mit vielen tausend Soldaten an der Stabilisierung Afghanistans. Deutschland ist in Mali vertreten. In einem Kampf gegen islamistische Terroristen. Deutschland ist vertreten vor der Küste Somalias, wo es Piraterie und vieles andere gibt. Also, wir sind ja international aktiv. Insofern ist das gar nicht das Neue an ihrem Vorschlag. Manche sagen, neu ist, dass Deutschland mal proaktiv sagt, wir würden uns da beteiligen. Da ist es in der Tat etwas Neues. Ich glaube, wir müssen wieder stärker außenpolitische Akzente setzen. Wir haben über Jahre diskutiert, was ist unsere Antwort auf Emmanuel Macron? Aber wir haben nie einen Vorschlag gemacht, immer nur über die Antwort diskutiert. Bei der europäischen Politik würde ich mir häufiger wünschen, dass aus Deutschland wieder auch Impulse kommen. Wenn dieser Teil gemeint ist, dann finde ich, war das gut, dass sie den Vorschlag gemacht hat.
Aber das ist ein dramatischer Gezeitenwechsel. Wir haben uns in der jüngeren Zeit bei allen Konflikten aus der Sicht unserer Bündnispartner sehr zurückhaltend verhalten. Kramp-Karrenbauers Vorstoß wird nun als echte Neupositionierung der deutschen Außenpolitik wahrgenommen…
Laschet: Ja, so wird es wahrgenommen. Aber ich frage dann trotzdem: Was meint sie? Meint sie eine Blauhelm-Mission in einem Bereich als Puffermacht zwischen der Türkei und Assad und Russland? Meint sie einen Kampfeinsatz? Eine Sicherheitszone muss man ja notfalls dann auch im Kampf vertreten. Soll das Ganze auf der Basis eines Mandats des UN-Sicherheitsrats stattfinden, wo ja dann auch China und Russland zustimmen müssten? Soll das eine Nato-Mission sein? Also da sind viele Fragen offen, sodass man es endgültig erst bewerten kann, wenn die Fragen alle beantwortet sind.
Wenn Sie da alles nicht wissen, ist das dann für die Bürger nicht erst recht verwirrend?
Laschet: Mag sein. Aber der Vorschlag ist gemacht worden. Die Verteidigungsministerin – das ist noch keine Position der Großen Koalition – ist bereit, dass wir uns wieder stärker engagieren. Und über die Details muss jetzt gesprochen werden. Und dann braucht man eine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Da braucht man eigentlich auch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Und das sehe ich als hohe Hürden an, die noch vor uns liegen.
Aber dass die CDU-Chefin die Debatte angestoßen hat, unterstützen Sie?
Laschet: Ja. Man kann sagen, wir haben in Syrien über Jahre nichts gemacht. Die Lage in Syrien ist aber auch immer schon extrem kompliziert. Da hat der Westen eigentlich in all den Jahren sowohl unter Barack Obama als auch bei Donald Trump keine richtige Antwort gefunden. Jetzt ist der Krieg mit hunderttausenden Toten ein Dauerkonflikt. Nun gehen wir in die Phase, wie kann man die Kurden beschützen, die vonseiten der Türkei in Bedrängnis geraten könnten. Deshalb hat sie jetzt diesen Vorschlag gemacht. Aber den ganzen Konflikt von sieben, acht Jahren wird man auch nicht mit einem solchen Einsatz auffangen können.
Es kursieren erste Gedankenspiele einer befristeten Aktion unter deutscher Führung mit 2500 Soldaten. Können Sie sich so etwas vorstellen?
Laschet: Ich würde es anders anfangen: Was ist das Ziel der Mission? Wo ist das völkerrechtliche Mandat? Und dann über die Zahl diskutieren, die Deutschland hinschicken soll.
Es wird kritisiert, dass die CDU-Chefin den SPD-Außenminister Heiko Maas nur per SMS informiert hat. Ist es dadurch schwieriger geworden, den Koalitionspartner an Bord zu holen?
Laschet: Es ist dadurch jedenfalls nicht leichter geworden. Am Ende muss auch jeder Bundestagsabgeordnete der SPD mitstimmen. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das Parlament muss entsenden und Einsätze auch beenden. Wir haben es gerade im Bundestag erlebt, die Luftüberwachung für fünf Monate zu verlängern. Da war es schon mühsam genug, dass die SPD noch mal gesagt hat, ja, wir machen mit. Ich glaube, so etwas kann man besser abstimmen in einer Koalition.
Die Junge Union fordert eine Urwahl des Kanzlerkandidaten, die Grünen und die SPD setzen auf Doppelspitzen. Sind das Gedanken, mit denen Sie sich anfreunden könnten?
Laschet: Also mit der Doppelspitze der SPD ist das etwas komisch: Wenn Sie fragen würden, wie heißt eigentlich in der Doppelspitze die weibliche Kandidatin im Duo mit Scholz oder mit Walter-Borjans, dann weiß ich nicht, ob jeder das beantworten könnte. Sie kennen immer die Männer, und die haben sich eine Frau gesucht und sagen, das ist jetzt eine Doppelspitze. Wenn man das schon macht, müsste es ein starker Mann und eine starke Frau sein, die jeder kennt. So wie bei den Grünen, da kannte man vorher beide. Aber das entscheidet jede Partei für sich. Bei der Urwahl kommt bei uns eine Besonderheit hinzu: CDU und CSU sind Schwesterparteien. Die CSU würde es nie akzeptieren können, dass 400.000 CDU-Mitglieder per Mehrheit über 140.000 CSU-Mitglieder abstimmen können. Das läuft bei uns immer partnerschaftlich auf Augenhöhe. Das finde ich auch den besseren Weg, wenn wir dann den Kanzlerkandidaten und die Kanzlerkandidatin suchen.
Eine der wesentlichen inhaltlichen Fragen über die Zukunft der Koalition ist die von der SPD geforderte Grundrente und der Streit um eine Bedürftigkeitsprüfung. Wo stehen Sie in dieser Frage?
Laschet: Die Grundrente muss stattfinden. Wer immer gearbeitet hat, muss am Ende mehr haben als die Grundsicherung. Das ist übrigens nicht nur eine SPD-, sondern auch eine CDU-Forderung. Jetzt ist die Frage, wie misst man das. Wenn jemand – als Mann oder Frau – einen reichen Ehepartner hat und vielleicht nur Teilzeit gearbeitet hat, dann hat er eine kleine Rente. Jetzt kann man nicht sagen, der wird jetzt hochgestuft, obwohl er einen reichen Partner hat. Deshalb finde ich, muss man auf die Bedürftigkeit schauen und trotzdem die, die immer gearbeitet haben, höher anerkennen, als das heute der Fall ist.
Das könnte aber ein echter Knackpunkt für die Zukunft der Großen Koalition werden…
Laschet: Ich finde, der Koalitionsvertrag gilt. Man hat lange genau über diese Formulierung und diese Frage gerungen. Jetzt nur aus Gefälligkeit der SPD nachgeben, weil die sonst einen falschen Vorsitzenden wählen oder aus der Koalition aussteigen würde, kann man in so fundamentalen Fragen nicht machen. Das kann zwei, drei Milliarden Euro kosten, die am Ende alle Rentenzahler zahlen. Deshalb darf man hier keine parteipolitischen Experimente machen.
Zur Person: Armin Laschet, der 58-jährige stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, ist seit 2017 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Der Aachener gilt als langjähriger Vertrauter Angela Merkels in der CDU.
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