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Archiv: Unser letztes Interview mit Klaus Kinkel: "Trump ist wie ein Kind"

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Unser letztes Interview mit Klaus Kinkel: "Trump ist wie ein Kind"

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    Klaus Kinkel ist tot. Hier können Sie unser letztes großes Interview mit ihm nachlesen.
    Klaus Kinkel ist tot. Hier können Sie unser letztes großes Interview mit ihm nachlesen. Foto: Matthias Balk, dpa (Archivfoto)

    Ein Wohngebiet im Grünen, nicht weit weg von Bonn. Die „Kinkel-Siedlung“, sagt der Taxifahrer, als er die Adresse hört. Klaus Kinkel öffnet die Tür und entschuldigt sich, dass er noch nicht umgezogen ist. Er kommt gerade von der morgendlichen Runde mit dem Hund. Im Wohnzimmer eine helle Ledercouch. Und Bücher. Bücher bis zur Decke. Insgesamt 255 Regalmeter, sagt der Hausherr. Kinkel wird bald 82 – der Baden-Württemberger ist auch nach dem Ende seiner Karriere vor 20 Jahren im Rheinland geblieben. Wir gehen mit ihm auf eine Zeitreise in die Bonner Republik.

    Herr Kinkel, Außenpolitik ist so aufregend wie lange nicht. Juckt es Sie noch manchmal, selbst mitzumischen?

    Klaus Kinkel: Überhaupt nicht. Und ich sage Ihnen auch gleich, warum: 1990 haben wir gedacht, dass sich die Welt mit dem Ende des Ost-West-Konflikts positiv verändern würde. Es ist leider Gottes anders gekommen. Wir erleben eine Welt in Unordnung. Wer heute politische Verantwortung trägt, hat es schwerer, als wir es damals hatten.

    Aber auch der Kalte Krieg war doch von der ständigen Angst vor einer Eskalation geprägt?

    Kinkel: Aber die Welt war damals irgendwie ausbalancierter, trotz der atomaren Bedrohung. Es gab nicht so viele Brandherde – und nicht so viele unberechenbare Akteure.

    Klaus Kinkel: Erdogan schafft Demokratie quasi ab

    Sie meinen Donald Trump?

    Kinkel: Wir haben einen amerikanischen Präsidenten, der twitternd durch die Welt irrlichtert und die USA als führende Macht abgemeldet hat. Seine Aufgabe wäre es, Ordnung in die weltweite Unordnung zu bringen. Er tut das Gegenteil.

    Und er ist nicht der Einzige.

    Kinkel: Eben. Dazu kommt Erdogan, der die Demokratie in der Türkei quasi abschafft. Dazu kommt der bislang zumindest völlig unberechenbare Zampano in Nordkorea. Und ein Kreml-Chef, der Russland wieder zur Weltmacht machen will. Wobei Putin noch der Berechenbarste unter den Komplizierten ist.

    Haben Sie das auch während der Krim-Krise so gesehen?

    Kinkel: Ich hatte schon damals eine etwas andere Meinung. Anfang der neunziger Jahre mussten die Russen viele Demütigungen hinnehmen: Zum Wegfall der Sowjetunion, der Weltmachtposition und des Warschauer Paktes kam die Ausdehnung der Nato Richtung Osten. Dass sich die Ukraine dem Westen zuwendet, konnte Putin nicht auch noch akzeptieren. Das hätte der Westen wissen müssen.

    Sie halten es für einen Fehler, dass die EU die Ukraine umworben hat?

    Kinkel: Die Europäer haben das Sicherheitsbedürfnis Moskaus unterschätzt. Putin lebt heute davon, dass er den Russen ihre Ehre und ihren Stolz zurückgegeben hat. So sehen es zumindest die meisten seiner Landsleute. Es war falsch, die Ukraine vor die Wahl Europa oder Russland zu stellen.

    Gerade ist Putin zum vierten Mal als Präsident vereidigt worden. In der ersten Reihe applaudierte Gerhard Schröder. Wie fanden Sie das?

    Kinkel: Nicht gut.

    "Trump ist wie ein Kind"

    Auch Trump spricht gerne von Stolz und lebt einen neuen Nationalismus. Warum ist er so erfolgreich?

    Kinkel: Er hat ein paar Dinge gemacht, die in seinem Land durchaus populär sind. Dass die USA zum Beispiel Ungerechtigkeiten bei Zöllen anprangern, kann man ja durchaus nachvollziehen. Das Problem ist nur: Trump ist wie ein Kind. Ihm geht es nur um sich selbst. Offensichtlich ist er nicht besonders interessiert an der Welt. Er lügt notorisch. Eigentlich müsste man über den Mann eher lachen – kann es aber nicht. Denn es ist eher zum Fürchten. Schließlich ist er der mächtigste Mann der Welt.

    Wie empfinden Sie diese Entfremdung von den USA?

    Kinkel: Wenn man erlebt hat, was die Amerikaner nach dem Krieg für uns getan haben, was der Marshall-Plan für Deutschland bedeutet hat, wie sie uns in der Zeit der Teilung geholfen haben und wie Präsident Bush Senior die Wiedervereinigung ermöglicht hat – dann bleibt einem die Luft weg und man ist traurig, wie dilettantisch Trump heute in der Weltpolitik herumfuhrwerkt.

    Verfolgen Sie soziale Netzwerke?

    Kinkel: Nein, das geht mir auf den Wecker. Aber ich lese Zeitungen und sehe fern – und das reicht mir schon. Nehmen Sie nur den Besuch von Macron bei Trump. Diese dauernde Küsserei war doch unmöglich.

    Politik wird heute in Echtzeit dokumentiert. Macht es das schwieriger?

    Kinkel: Natürlich. Auch die Boulevardisierung hat stark zugenommen. Ich habe in meiner aktiven Zeit viele Dinge erlebt, die heute Riesenschlagzeilen machen würden, damals aber vertraulich blieben.

    Zum Beispiel?

    Kinkel: Das erzähle ich Ihnen vielleicht nach unserem Interview.

    Politik ist laut Kinkel oberflächlicher geworden

    Und was macht die Dauerbeobachtung mit den Politikern?

    Kinkel: Die einen trauen sich gar nichts mehr zu sagen, andere schwätzen in jede Kamera. Politik ist dadurch flachwurzeliger und oberflächlicher geworden.

    Sie wollten mal Bürgermeister Ihrer Heimatstadt Hechingen werden. Hätten Sie die Wahl gewonnen, wäre Ihr Leben wohl beschaulicher verlaufen.

    Kinkel: Ich sage immer scherzhaft: Als Bürgermeister wollten sie mich nicht, dann bin ich halt aus lauter Verzweiflung Chef des Bundesnachrichtendienstes, Minister und Vizekanzler geworden. Im Ernst: Später war ich natürlich nicht unfroh, wie die Dinge gelaufen sind.

    Was ist der Preis für die Karriere?

    Kinkel: Den Preis bezahlt die Familie. Mit meinen Kindern habe ich viel versäumt. Das versuche ich jetzt bei meinen Enkeln nachzuholen. Und ich habe es wohl nur meiner klugen Frau zu verdanken, dass unsere Ehe nicht gescheitert ist. Sie hat den Laden zusammengehalten.

    Dann wurden Sie 1993 auch noch FDP-Chef.

    Kinkel: Ich musste es werden, obwohl mir das überhaupt nicht lag. Irgendwann kam ich mir vor wie ein Zirkuspferd, das jeden Tag in einer neuen Arena auftreten muss.

    Ihre Frau hatte Ihnen abgeraten…

    Kinkel: Nicht nur sie. Ich habe mir ja sogar selber abgeraten. Aber die FDP hatte damals keinen anderen.

    Wie der Tod seiner Tochter Klaus Kinkel geprägt hat

    1982 ist Ihre älteste Tochter bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Haben Sie damals überlegt, alles hinzuwerfen?

    Kinkel: Das war eine sehr schwierige Zeit. Sie war 20 Jahre alt, hat in Münster studiert, hatte gerade ein Stipendium für Amerika. Ich hatte sie noch am Vortag besucht, wir sind zusammen mit dem Fahrrad durch die Stadt gefahren. Am nächsten Tag ist sie auf dem Rad von einem Bus erfasst worden. Als ich nach Münster geeilt bin, sagte mir der Arzt, dass sie nur noch künstlich am Leben erhalten wurde.

    Wie haben Sie das verarbeitet?

    Klaus Kinkel heute in seiner privaten Bibliothek.
    Klaus Kinkel heute in seiner privaten Bibliothek. Foto: Michael Stifter

    Kinkel: Ich konnte Arbeit und Privatleben trennen. Aber eine solche Erfahrung bleibt für immer. Der Tod meiner Tochter hat auch eine große Rolle gespielt, als es später für mich als Justizminister um das Thema Organspende ging. Denn ich konnte ja nachempfinden, wie einen das zerreißt. Rational weiß man, wie wichtig es ist, Organe zu spenden. Emotional war ich nicht in der Lage, das bei meinem eigenen Kind zuzulassen.

    Hans-Dietrich Genscher war auch wie Familie für Sie. War er Ihr Vorbild?

    Kinkel: Ich habe ihn 46 Jahre begleitet, bis zu seinem Tod. Genscher hatte immer alle Antennen ausgefahren, hat zig Dinge gleichzeitig durchdacht. Er hatte ein ungeheures Feeling für das politisch Mögliche. Ich habe viel von ihm gelernt. Unser Verhältnis war sehr eng, auch wenn wir verschieden waren.

    Was hat Sie unterschieden?

    Kinkel: Wir haben uns nie geduzt, uns aber gegenseitig hoch geachtet. Ich war viel weniger Diplomat als er, sondern eher eckig, auch in der Sprache manchmal ein bisschen derb. Einmal war ich bei den Vereinten Nationen in New York. Dort gab es nicht genug Räume. Um sich zu Gesprächen zurückziehen zu können, wurden Kabinen aus Sperrholz aufgestellt. Und da klemmte eine Tür. Meine Mitarbeiter erzählen sich heute noch, wie der Kinkel damals diese Tür eingetreten hat.

    Wie haben sich Genscher und Kanzler Helmut Kohl verstanden?

    Kinkel: Beide waren im Umgang mit anderen außerordentlich geschickt. Genscher war der Meister des Gesprächs im kleinen Kreis. Solche Persönlichkeiten fehlen uns heute in Europa, das sich ja leider in Turbulenzen befindet. Genscher und Kohl hatten ein sehr gutes Verhältnis, aber es gab schon auch immer eine Konkurrenz zwischen den beiden.

    "Selbstvermarktung ist manchmal wichtiger als Substanz"

    Wären sie auch in der heutigen Zeit noch ein gutes Regierungsteam?

    Kinkel: Politiker brauchen heute mehr zirzensisches Talent als früher. Selbstvermarktung ist manchmal wichtiger als Substanz. Das lag den beiden eher nicht. Ich konnte das auch nicht besonders gut, war eher der Typ schwäbischer Raubauz. Dafür galt ich wohl immer als solide und vertrauenswürdig.

    Sie haben nach der Wende die gewachsene Verantwortung Deutschlands in der Welt betont. Werden wir dieser Verantwortung gerecht?

    Kinkel: Nein, zumindest nicht ganz. Wir stehen zu oft am Spielfeldrand, beobachten, kritisieren, geben Geld. Die Zurückhaltung war in der Nachkriegszeit richtig. Aber diese Zeit ist vorbei. Jüngstes Beispiel war der von den USA geführte Einsatz in Syrien. Der war zwar nicht ganz ohne Showeffekt, die Bundesrepublik Deutschland als größte Wirtschaftskraft in Europa und Mittelmacht kann sich da trotzdem nicht hinstellen und sagen: Finden wir richtig, wir sind aber nicht dabei.

    Wäre Deutschland mit der maroden Bundeswehr überhaupt eine Hilfe?

    Kinkel: Das ist das nächste Problem. Die Bundeswehr ist mit ihrer Ausrüstung in einem saumäßigen Zustand. Was das anbelangt, haben wir schon zu meiner Zeit versagt. Vielleicht war das damalige Denken falsch, die großen Konflikte seien ja vorbei. Die Bundeswehr hat einfach zu wenig Geld bekommen, sie wurde kaputt gespart.

    Als Ausgleich zur Politik haben Sie leidenschaftlich Tennis gespielt, waren Sie ein guter Verlierer?

    Kinkel: Ja, ich glaube schon. Ich habe vor dem Attentat auf Wolfgang Schäuble öfter gegen ihn gespielt. An meinem 80. Geburtstag hat er lachend erzählt, dass er meistens verloren hat. Sport war immer ein Lebenselixier für mich. Heute geht zwar so manches nicht mehr, aber mit meinem Labrador bin ich immer noch dreimal am Tag unterwegs.

    Sie sind farbenblind. Als Minister unterschreibt man traditionell mit grüner Tinte. Wie haben Sie das hingekriegt?

    Kinkel: Ja, ich ziehe schon mal die falschen Socken an. Und bei der Wahl der Krawatte brauche ich Hilfe. Aber das mit den grünen Stiften hat schon immer funktioniert. Glaube ich zumindest (lacht).

    Sie werden bald 82 – wann schreiben Sie denn Ihre Erinnerungen auf?

    Kinkel: Gar nicht. Erstens bin ich nicht so wichtig. Zweitens bin ich zu faul und habe auch keine Lust, in der Bahnhofsbuchhandlung als Restposten verkauft zu werden. Ich erzähle die alten Geschichten lieber meinen Enkeln. Oder Ihnen.

    Hier lesen Sie unseren Artikel zum Tod des Ex-Außenministers: Klaus Kinkel ist tot.

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