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Analyse: Sind die fetten Jahre vorbei? Schäuble warnt vor Staatsdefizit

Analyse

Sind die fetten Jahre vorbei? Schäuble warnt vor Staatsdefizit

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    Allenthalben ertönt der Ruf nach mehr Geld, doch nicht nur das Auslaufen des Soli reißt bald ein großes Loch in die Bundeskasse.
    Allenthalben ertönt der Ruf nach mehr Geld, doch nicht nur das Auslaufen des Soli reißt bald ein großes Loch in die Bundeskasse. Foto: Olivier Hoslet (dpa)

    Es ist ein Warnschuss. Mehr erst einmal nicht. Doch er sitzt. Wenn Bund, Länder und Kommunen in ihrer Finanzpolitik nicht umsteuern, steigt die deutsche Staatsschuld im ungünstigsten Falle bis zum Jahr 2060 auf mehr als 220 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und somit auf das Niveau Griechenlands. Derzeit liegt sie bei knapp 69 Prozent. Die strengen Kriterien des Maastricht-Vertrags erlauben eigentlich nur maximal 60 Prozent. Im günstigsten Falle kommt es bis 2060 hingegen zu einem moderaten Anstieg auf lediglich 76 Prozent.

    Die düstere Prognose haben weder notorische Schwarzmaler noch zur Übertreibung neigende Regierungskritiker verfasst, sondern die Beamten aus dem Hause des Bundesfinanzministers. Übermorgen legt Wolfgang Schäuble den sogenannten Tragfähigkeitsbericht dem Bundeskabinett vor. Und wenn auch Prognosen über einen derart langen Zeitraum, in dem unendlich viel passieren kann, mit äußerster Vorsicht zu genießen sind, so zeigt das Schäuble-Papier doch eins in aller Deutlichkeit: Die fetten Jahre, in denen der Staat von einer prosperierenden Konjunktur, hohen Steuereinnahmen, niedrigen Zinsen für seine Kredite und Überschüssen in den Sozialkassen profitierte, gehören angesichts der demografischen Entwicklung bald schon wieder der Vergangenheit an. Bis 2040 erhöht sich die Zahl der Rentner um 40 Prozent, gleichzeitig schrumpft die Zahl der steuerzahlenden Erwerbstätigen um 25 Prozent. Um in Zukunft ausgeglichene Haushalte vorlegen zu können, müssen entweder die Steuern und Abgaben deutlich erhöht oder die Ausgaben stark gekürzt werden – die Wahl zwischen Pest und Cholera.

    Schon in diesem Jahr bringt Wolfgang Schäuble nur deshalb einen Haushalt ohne neue Schulden zustande, weil er in der Hinterhand einen Überschuss von mehr als zwölf Milliarden Euro aus dem Vorjahr zur Verfügung hat, der vollständig für die Kosten der Flüchtlingskrise zur Verfügung steht. Aber schon beim Haushalt für das Wahljahr 2017, dessen Eckdaten Schäuble in Kürze vorlegen will, wird es eng. Denn allenthalben ertönt der Ruf nach mehr Geld. Der Innenminister braucht mehr Bundespolizisten und Personal beim Flüchtlings- und Migrationsamt, die Verteidigungsministerin zusätzliche Soldaten und neue Waffen, die Arbeitsministerin hat schon mal eine halbe Milliarde zusätzlich für die Integration der Flüchtlinge angemahnt und die Bauministerin will die Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdoppeln. Gleichzeitig fordern auch die Länder und die Kommunen zur Bewältigung der

    Da das Versprechen steht, die Steuern nicht zu erhöhen, muss die Große Koalition ausgerechnet in einem Wahljahr, in dem sich die Regierenden traditionsgemäß spendabler zeigen, den Rotstift ansetzen. Dabei allerdings darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, es würden die Leistungen für die Bürger gekürzt, um die Kosten der Flüchtlingshilfe aufbringen zu können. Eine derartige Rechnung wäre Gift für den angespannten gesellschaftlichen Frieden und neue Munition für Rechtspopulisten. Die Politik steht in der Pflicht, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander auszuspielen.

    Wolfgang Schäuble mag in diesem und im kommenden Jahr noch einigermaßen über die Runden kommen, aber spätestens nach der Bundestagswahl 2017 ist eine Haushaltskonsolidierung mit massiven strukturellen Eingriffen unumgänglich, um dem düsteren Szenario des Tragfähigkeitsberichts entgegenzuwirken. Dann wird wieder ein Kanzler vor dem Bundestag stehen und wie Gerhard Schröder im Jahr 2003 verkünden müssen: Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen. Das ist lange her – doch aktueller denn je.

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