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Analyse: Nun muss Spahn zeigen, ob er's kann

Analyse

Nun muss Spahn zeigen, ob er's kann

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    CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn bittet um Geduld: "Ich möchte als Minister so ehrlich sein zu sagen, das ist nicht mal eben so gemacht."
    CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn bittet um Geduld: "Ich möchte als Minister so ehrlich sein zu sagen, das ist nicht mal eben so gemacht." Foto: Soeren Stache, dpa

    Das Ende kam abrupt. 50 Pflegebedürftige in Münster, die auf die täglichen Hausbesuche durch die Fachkräfte eines Pflegedienstes angewiesen waren, erhielten Ende des Jahres die Kündigung für den Service. Grund: Gravierender Personalmangel. Doch die Suche nach Ersatz gestaltete sich schwierig: Im gesamten

    Ein Einzelfall? Wohl kaum. "Bald knallt’s", schrieb die Caritas in Nordrhein-Westfalen im Januar über die Situation in der ambulanten Pflege. Dem Wunsch vieler Menschen, möglichst lange im eigenen Heim zu bleiben und ambulant versorgt zu werden, stehe längst ein erheblicher Fachkräftemangel und eine dramatische Unterversorgung auf dem flachen Land entgegen. Die Folge: Pflegedienste sind nicht mehr in der Lage, Patienten mit hohem Pflegeaufwand oder mit weiter Anfahrtsstrecke zu versorgen. Bleibt nur der Umzug ins deutlich teurere Pflegeheim. Aber auch im Bereich der stationären Pflege sind deutschlandweit rund 17.000 Stellen unbesetzt, Tendenz steigend.

    Jens Spahn muss sich schon jetzt mit großen Problemen befassen

    Was Pflegekräften vor allem die Arbeit erschwert

    Pflegekräftemangel: Dass die Schere von ärztlichem und pflegerischem Personal in den Kliniken weiter auseinanderdriftet wurde häufig kritisiert. So sei die Zahl der Ärzte in Bayern seit 2006 um über 40 Prozent gestiegen, die Zahl der Pflegekräfte hingegen nur um 17 Prozent. Nach Berechnungen der Gewerkschaft Verdi fehlen allein in Schwabens Krankenhäusern knapp 3000 Stellen in der Pflege.

    Fallpauschalen: Sie werden immer wieder als Ursache für den gestiegenen Druck in der Pflege genannt. Seit der Abrechnung von Behandlungen im Krankenhaus nach Fallpauschalen, den Diagnosis Related Groups (DRG), steigen die Kosten einer Klinik mit der Länge der Verweildauer eines Patienten. Es besteht also ein Anreiz, Patienten so früh wie möglich zu entlassen. Die durchschnittliche Verweildauer hat sich laut AOK-Bundesverband seit 1992 fast halbiert: von 13,3 Tagen auf im Schnitt 7,5 Tage – Tendenz fallend. (dpa)

    Der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) übernimmt eine Großbaustelle. Der konservative Hoffnungsträger der Union aus dem Münsterland, der in der Vergangenheit mit seiner Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin oder zuletzt mit seinen Äußerungen zu Hartz IV sich in Szene zu setzen und als Mann klarer Worte zu profilieren wusste, wurde gleich an seinem ersten regulären Arbeitstag auf dem Deutschen Pflegetag mit den gewaltigen Problemen konfrontiert. Zumal fast gleichzeitig noch bekannt wurde, dass die Pflegekasse trotz einer Erhöhung der Beiträge zum 1. Januar 2017 und boomender Konjunktur ein Defizit von 2,4 Milliarden erwirtschaftete.

    Gänzlich unbekannt sind Spahn die Probleme nicht. Vor seiner Zeit als Staatssekretär im Finanzministerium lieferte er sich von 2009 bis 2013 als Gesundheitsexperte der Union manches Scharmützel mit den damaligen FDP-Gesundheitsministern Philipp Rösler und Daniel Bahr. Nun aber ist es mit bloßen Worten nicht getan, nun steht er selber in der Pflicht.

    Auf dem Pflegetag bittet der Jungminister um Geduld

    Gleich mit seiner ersten Personalentscheidung setzte Spahn ein Signal – mit der Berufung des früheren Pflegerats-Präsidenten Andreas Westerfellhaus zum neuen Pflegebevollmächtigen demonstrierte Spahn, dass er einem ausgewiesenen Experten mit Sachverstand diese schwierige Aufgabe an der Schnittstelle zwischen Praxis und Politik anvertraut. Westerfellhaus sei einer, "der sich auskennt, der aus der Szene kommt, der sie kennt und weiß, was sie beschäftigt", lobte ihn der Minister.

    Neue Jobs dagegen kann Spahn nicht schaffen, auch wenn Union und SPD ein Sofortprogramm zur Schaffung von 8000 zusätzlichen Stellen angekündigt haben. Woher aber die qualifizierten Fachkräfte kommen sollen, da die Pflegedienste wie Heime nicht einmal ihre regulären Stellen besetzen können, bleibt ein Geheimnis der Bundesregierung. Auch Spahn wird das Personal nicht herbeizaubern können. Auf dem Pflegetag kündigte er zwar Verbesserungen an, warb aber auch um Geduld. "Ich möchte als Minister so ehrlich sein zu sagen, das ist nicht mal eben so gemacht."

    Das Gesundheitsministerium ist das wohl schwerste Ressort

    Zudem reichen selbst die 8000 vorne und hinten nicht aus, das sind statistisch gesehen nur 0,6 Vollzeitstellen pro Einrichtung. Nach Berechnungen des Sozialverbandes VdK sind vier bis fünf zusätzliche Stellen pro Heim nötig, das wären 60.000 neue Kräfte. Das aber würde den Beitragssatz für die Pflegeversicherung massiv in die Höhe treiben.

    Bislang hatte Jens Spahn leichtes Spiel. Der 37-Jährige konnte sich als aufmüpfiger, unangepasster und Tabus brechender Rebell profilieren. Für die Konservativen in der Union war seine Berufung ins Kabinett eine Bedingung, um dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Doch Angela Merkel hat den Spieß umgedreht. Indem sie dem Jung-Star das konfliktträchtige Gesundheitsressort übertrug. Wo es wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren gibt. Wo vor allem aber die Interessen hart aufeinander prallen und den Bedürfnissen der Menschen die Belange der mit harten Bandagen kämpfenden Lobbyisten entgegenstehen. Hier zieht sie ihn zur Verantwortung. Nun muss Spahn zeigen, ob er’s wirklich kann. Reden ist etwas anderes als Regieren.

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