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Analyse: "Liebig 34"-Räumung: Linksradikale Gewalt, die unterschätzte Gefahr

Analyse

"Liebig 34"-Räumung: Linksradikale Gewalt, die unterschätzte Gefahr

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    Brenzlige Stimmung: Bei der Demonstration gegen die Räumung des besetzten Hauses „Liebig 34“ in Berlin flogen Flaschen, Feuerwerkskörper und Steine.
    Brenzlige Stimmung: Bei der Demonstration gegen die Räumung des besetzten Hauses „Liebig 34“ in Berlin flogen Flaschen, Feuerwerkskörper und Steine. Foto: Christophe Gateau, dpa

    Der Linksextremismus hat mal wieder seine hässliche Fratze gezeigt: Ein Mob schwarz vermummter Randalierer griff in Berlin Polizisten an, 18 Beamte trugen Verletzungen davon. Autos wurden angezündet, Geschäfte und Restaurants verwüstet. Auslöser der Gewaltorgie: Ein Hausbesitzer hat sein rechtmäßiges Eigentum von Hausbesetzerinnen zurückgefordert, die darin wohnten, ohne Miete zu bezahlen. Weil zahlreiche Kompromiss- und Vermittlungsangebote gescheitert waren, musste ein Großaufgebot der Polizei aus acht Bundesländern dem Gerichtsvollzieher Amtshilfe leisten.

    Der Einsatz selbst ging noch relativ glimpflich ab, obwohl das Haus verbarrikadiert war, wie in einem Krieg. Doch aus Rache zog die linksextremistische Szene eine Schneise der Verwüstung durch die Bundeshauptstadt und kündigte für die kommende Woche weitere Gewalttaten an.

    Jede Form von Extremismus bedroht den Rechtsstaat

    Wenn nun Thomas Haldenwang, der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, warnt, die Gewalt im Linksextremismus werde zunehmend brutaler und personenbezogener – im Sinne geplanter Anschläge und Hinterhalte etwa –, sollte die Politik genau hinhören. Bundesregierung und Verfassungsschützer sehen im Moment den Staat am stärksten durch den Rechtsextremismus bedroht. Eine Einschätzung, die absolut richtig ist angesichts der Morde und Anschläge, die Neonazis, Ausländerhasser und Antisemiten in den vergangenen Jahren begangen haben. Es gab eine Zeit, da wurde die Gefahr von rechts verharmlost und kleingeredet. Die NSU-Mordserie blieb wohl auch deshalb viel zu lange unaufgeklärt, weil nicht aufmerksam genug nach rechts geschaut wurde. Das hat sich zum Glück geändert.

    Es hat noch nie zu irgendetwas Gutem geführt, verschiedene Formen von Extremismus mit unterschiedlicher Härte zu bekämpfen. Spätestens seit den Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg 2017 muss jedem klar sein, dass es diesen angeblichen Unterschied, dass rechter Terrorismus sich gegen Menschen, linker Extremismus aber allenfalls gegen Sachen richte, nicht gibt. Seit dem Ende der RAF-Mordserie soll dieser Konsens in der linken Szene gegolten haben. Wenn es je so war, so ist es längst nicht mehr so.

    Die Brutalität, mit der Linksextremisten regelmäßig gegen Polizisten vorgehen, sie mit Pflastersteinen, Latten und Flaschen angreifen, in gefährliche Hinterhalte locken, zeigt, dass ein Menschenleben in dieser Szene nichts gilt. Auch Anwohner besetzter Häuser oder linker Hochburgen berichten von Schikanen und Angriffen durch die Extremisten. Wer sich ihnen in den Weg stellt oder auch nur am falschen Fleck wohnt, wird zusammengeschlagen. Oder es wird mit der Stahlkugelschleuder durchs Kinderzimmerfenster geschossen, wie nahe besetzter Häuserblocks in Berlin-Friedrichshain.

    Große Prozesse gegen Rechtsextremisten in Deutschland

    Dem Prozess im Mordfall Walter Lübcke gingen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Rechtsextremisten in Deutschland voraus. Wichtige Urteile im Überblick: 

    Der "Bückeburger Prozess": 1979 werden erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Rechtsextremisten wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Vier Angeklagte aus dem Umfeld des Hamburger Neonazis Michael Kühnen erhalten wegen Überfällen und Anschlagsplänen zwischen acht und elf Jahre Haft. 

    "Wehrsportgruppe Hoffmann": Karl-Heinz Hoffmann, der Gründer der 1980 verbotenen Wehrsportgruppe, wird 1986 wegen verschiedener Delikte zu über neun Jahren Haft verurteilt. Vom Doppelmord an einem jüdischen Verlegerpaar wird er vor dem Nürnberger Schwurgericht jedoch freigesprochen. 

    Kay Diesner: 1997 wird der Neonazi wegen Mordes an einem Polizisten und versuchten Mordes an einem weiteren Polizisten sowie einem linken Buchhändler zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Lübecker Landgericht wirft ihm «menschenverachtende Verblendung» vor.

    "Gruppe Freital": Das Oberlandesgericht Dresden verhängt 2018 gegen die rechtsextreme «Gruppe Freital» Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Die acht Angeklagten werden unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und versuchten Mordes verurteilt.

    NSU-Prozess: Die Rechtsterroristin Beate Zschäpe wird 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Über fünf Jahre wurden am Oberlandesgericht München die rassistischen Morde des sogenannten «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zwischen 2000 und 2006 sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt. 

    Anschlag von Halle: Voraussichtlich ab Juli 2020 muss sich Stephan B. nach dem versuchten Anschlag auf eine Synagoge und dem Mord an zwei Menschen vor dem Oberlandesgericht Naumburg verantworten. B. hatte im Oktober 2019 versucht, in der Synagoge ein Blutbad unter den dort versammelten Gläubigen anzurichten. (dpa)

    Linksmotivierte Gewalt: Grüne, Linke und SPD müssen klare Haltung finden

    Die Menschenverachtung nimmt nicht wunder. In den sozialistischen oder kommunistischen Systemen von gestern und heute, die dieser Szene als Vorbilder gelten, werden politische Gegner in Arbeitslager gesteckt oder umgebracht. Doch während es im Kampf gegen rechte Gewalt zum Glück einen sehr breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, fehlt diese Entschlossenheit im Vorgehen gegen den Linksextremismus. Neonazis, die jahrzehntelang Häuser besetzt halten, Straftaten in Serie begehen, Polizisten angreifen und die Anwohner terrorisieren, von der örtlichen Politik aber mehr oder weniger in Ruhe gelassen werden? Unvorstellbar, aus gutem Grund.

    In den Reihen von SPD, Grünen und Linkspartei, die in Berlin zusammen regieren, gibt es viele, die Sympathien für die militante linke Szene erkennen lassen. Das zeigt sich schon bei der Sprache. Verharmlosend heißt es dann oft, Polizisten seien im „Gerangel“ mit „Aktivisten“ verletzt worden. Doch wer sich in ein solches „Gerangel“ begibt, leistet Widerstand gegen die Staatsgewalt, wer zuschlägt, Flaschen oder Pflastersteine wirft, begeht zumindest ein Körperverletzungsdelikt. Staats- und menschenfeindliche Straftaten müssen klar benannt und konsequent verfolgt werden, ob sie nun von extremistischen Rechten, Linken oder Islamisten begangen werden. Ein Auto anzuzünden, für das der Besitzer lange gespart hat, die Existenz eines Ladenbesitzers zu zerstören, hat ebenso wenig Heldenhaftes.

    Grüne, Linke und SPD müssen endlich eine klare Haltung finden zu jenen in ihren Reihen, die Straftaten für Polit-Folklore halten, solange das Motiv passt. Auch linksmotivierte Gewalt darf nicht das kleinste Bisschen salonfähig sein.

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