Renommierte Virologen, motivierte Ärzte und Pflegekräfte, ein gut ausgebautes Gesundheitssystem, Krisenstäbe, Ministerrunden, eine unterstützende Bundeswehr, versierte Behörden und vieles mehr. Eigentlich ist alles da, um auch eine Plage der Dimension der Covid-19-Pandemie trotz aller Unwägbarkeiten in den Griff zu bekommen. Und doch wirkte das Krisenmanagement zuletzt bisweilen so, als würde ein Hungernder versuchen, einen Teller Suppe mit der Gabel zu essen – es gelang streckenweise einfach nicht, Können und Wissen effizient einzusetzen. Kaum jemand bezweifelt noch, dass es in Deutschland strukturelle Mängel gibt, die einer schnellen und effektiven Reaktion auf die massenhafte Infektion im Wege standen.
Nichts weniger als eine „Staatsreform“ forderte zum Beispiel Thomas de Maizière vor kurzem im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das sollte die letzte Krise sein, die uns so unvorbereitet erwischt hat“, sagte der Ex-Innen- und Verteidigungsminister. Auch wenn er den Begriff „Nationaler Sicherheitsrat“ – kurz NSR – nicht verwendete, erinnerte sein Plädoyer für mehr Befugnisse des Bundes gegenüber den Ländern im Katastrophenfall an die wiederkehrenden Debatten um ein solches Instrument, das nicht nur in den USA, sondern in vielen europäischen Ländern längst Standard ist.
Politiker fordern Koordination der Sicherheitspolitik
Zuletzt war es Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die im November 2019 in einer sicherheitspolitischen Grundsatzrede forderte, die Befugnisse des bereits existierenden Kontroll- und Koordinationsgremiums für die Sicherheitspolitik deutlich auszuweiten. Der Bundessicherheitsrat tagt nicht regelmäßig und verfügt nur über eingeschränkte Kompetenzen, etwa wenn es um Rüstungsexporte geht. Ein Nationaler Sicherheitsrat (NSR) hingegen wäre fest installiert und generell für Krisen und Katastrophen zuständig. Kramp-Karrenbauer setzte die Akzente auf außenpolitische und militärische Szenarien. Ihr ging es in erster Linie um Auslandseinsätze der Bundeswehr oder die Bedrohung durch Cyber-Angriffe.
Dafür gab es viel Kritik. Nicht nur der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel witterte, dass die Ministerin so versuchen wolle, den Einfluss ihres Hauses auszuweiten. Nach einer kurzen, aufgeregten Diskussion landete der Vorstoß von „AKK“ im politischen Nichts. Schon der Begriff „National“ provozierte Abwehr. Auch wurden Ende 2019 potenzielle Bedrohungen für das Gemeinwesen nicht so hoch eingeschätzt, dass es opportun schien, für solch einen Sicherheitsrat Gesetze zu schaffen oder zu ändern. Die Ministerin verzichtete in der Folge darauf, ihre Initiative energisch voranzutreiben. Ihre Aktion verpuffte.
Politikwissenschaftlerin Christina Moritz, die zu dieser Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin der CDU im Bundestag tätig war, gilt seit Jahren als Expertin und engagierte Befürworterin eines Nationalen Sicherheitsrats. Die Berlinerin hat detaillierte Modelle erarbeitet, Gastbeiträge für Zeitungen verfasst und Vorträge gehalten – gerade eben referierte Moritz digital für die Gemeinschaft Katholischer Soldaten zu diesem Thema. Präsenz-Auftritte sind angesichts der Infektionslage kaum möglich. Gleichzeitig aber befeuert die Corona-Krise Überlegungen zu einer neuen Sicherheitsarchitektur für Deutschland.
Corona-Pandemie legt lückenhafte Vernetzung auf
Befürworter eines NSR melden sich zu Wort – so wie der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, oder der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner. Christina Moritz verweist auf die Defizite, die sich in der Pandemie zeigen. Sie bemängelt die lückenhafte Vernetzung der relevanten Akteure, ein oft unvollständiges Lagebild und zersplitterte Entscheidungsstrukturen. Das Ergebnis sei eine eingeschränkte Analysefähigkeit der Behörden und Politiker. So entstünden häufig blinde Flecken, die die Bekämpfung des Virus, schnelle Tests oder effektive Impfungen in den letzten Monaten unnötig erschwert hätten.
Das Modell der Wissenschaftlerin Moritz sieht einen regelmäßig tagenden NSR im Range eines Kabinettsausschusses und einen nationalen Sicherheitsberater im Bundeskanzleramt vor – über Referenten werden dann die Ministerien beteiligt. Vorbereitet würden die NSR-Sitzungen durch eine Analyseeinheit im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums. Dort könnten alle verfügbaren zivilen und – je nach Bedrohungslage – militärischen Quellen ausgewertet werden. Kurz gesagt: Schnelle Informationswege sollen die Analyse erleichtern und die Basis für fundierte und strategische Reaktionen bilden.
In Ausnahmesituationen hätte der Bund, letztlich also Kanzler und Kabinett, gegenüber den Ländern erweiterte Kompetenzen – allerdings zeitlich begrenzt. Moritz’ Credo ist, dass der Bund die Möglichkeit haben müsse, bei Katastrophen oder schweren Krisen zentral zu entscheiden und durchzugreifen. Zumindest so lange, bis die gefährliche Lage im Griff ist.
Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten in der Kritik
Ein weiterer heikler Punkt in dieser Konstruktion ist die Aufhebung des Trennungsgebots zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten. Moritz hält diesen Schritt für unerlässlich, um das Teilen relevanter Informationen in klar definierten Fällen „barrierefrei“ möglich zu machen. Dieser Punkt ist umstritten und dürfte es bleiben, zumal eine Grundgesetz-Änderung notwendig wäre. Für Moritz sind die Pannen bei der Fahndung nach den rechtsextremen NSU-Terroristen ein Beispiel dafür, dass ein blockierter Fluss von Informationen katastrophale Auswirkungen haben kann.
Aktuell ist die Politik vollauf mit dem Kampf gegen die Pandemie beschäftigt. Die Bundesregierung hat eine Novelle des Infektionsgesetzes auf den Weg gebracht, um zumindest für einheitliche Regeln zu sorgen – und damit deutlichen Widerstand ausgelöst. Zu erwarten ist, dass die Diskussion über die Folgen, die aus der Corona-Krise gezogen werden müssen, mit Wucht starten wird, wenn die Pandemie nachhaltig eingedämmt ist. Der Aufbau eines Sicherheitsrats mit strategischen Kompetenzen dürfte eine interessante Option werden.
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