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Analyse: Es gibt mehr offene Fragen als Corona-Impfstoff-Dosen

Analyse

Es gibt mehr offene Fragen als Corona-Impfstoff-Dosen

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    Die 101-jährige Edith Kwoizalla ist die erste, die am Samstag vor dem offiziellen Impfstart in Deutschland gegen Corona geimpft wurde.
    Die 101-jährige Edith Kwoizalla ist die erste, die am Samstag vor dem offiziellen Impfstart in Deutschland gegen Corona geimpft wurde. Foto: Matthias Bein, dpa

    Manchmal kommt die Hoffnung in ganz kleinen Dosen daher. Gerade einmal 0,3 Milliliter des Corona-Impfstoffes sind in den Fläschchen enthalten, die seit Sonntag einer ersten Gruppe verabreicht werden. BNT162b2 ist so etwas wie das Versprechen auf einen Anfang vom Ende. Monatelang fieberte Deutschland auf den Start der Impfaktion zu. Doch der Wunsch, dass dieses Virus so schnell verschwinden möge wie es sich auf der ganzen Welt verbreitet hat, dürfte kaum in Erfüllung gehen. Schon der erste Tag hat gezeigt, dass der weitere Weg mehr als holprig ist.

    Corona in Deutschland: Es darf keinen weiteren Lockdown-Herbst geben

    Die Zahl der mit oder an dem Coronavirus gestorbenen Menschen hat in Deutschland inzwischen die Grenze von 30.000 überschritten. Die Trendwende muss also dringend gelingen. Und dazu gehört auch, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Viel zu lange hat sich die Politik von den niedrigen Infektionszahlen des Sommers blenden lassen, die Wucht des Winters hat die Krisenmanager kalt erwischt. Nicht anders ist es zu erklären, warum erst jetzt über die viel zu geringen Impfvorräte diskutiert wird. Dass sich Deutschland ausgerechnet in diesem Fall auf eine Sammelbestellung der EU verlassen hat, wirkt im Rückblick fast wie ein schlechter Witz mit einer ganz traurigen Pointe.

    Solidarität ist wichtig – gerade in Ausnahmesituationen. Doch wenn die Folge ist, dass alle mit angezogener Handbremse fahren, ist niemandem geholfen. Fakt ist: Wenn wir es nicht schaffen, bis zum Spätsommer zumindest so viele Menschen gegen das Virus zu immunisieren, dass sich weitere Corona-Ausbrüche leicht lokal eingrenzen lassen, steht uns der nächste Lockdown-Herbst bevor. Die Folgen davon will sich kaum jemand auch nur im Ansatz ausmalen.

    Corona-Impfstoff: Die Impf-Motivation wird nicht steigen

    Je länger sich die Corona-Impfaktion hinzieht, umso schwieriger wird es werden. Schon heute haben wir uns an immer neue Rekordzahlen gewöhnt, der einstige Inzidenz-Schreckwert von 50 wirkt fast wie ein niedliches Relikt aus einer anderen Zeit. Die Motivation, sich impfen zu lassen, dürfte daher eher sinken als steigen. Zumal mit der Aussicht auf eine Besserung in den warmen Monaten. Abwarten und hoffen aber wird kaum eine Alternative sein. Vieles wird jetzt davon abhängen, wie schnell andere Unternehmen wie Astra Zeneca ihren Impfstoff auf den Markt bringen könnten.

    In dieser Reihenfolge wird in Deutschland gegen Corona geimpft

    Die Reihenfolge der Impfungen ist in einer Verordnung des Gesundheitsministeriums festgelegt.

    Zunächst sollen Menschen an die Reihe kommen, die unter "höchste Priorität" eingestuft sind. Dazu gehören Bürgerinnen und Bürger, die älter als 80 Jahre sind, ...

    ...genauso wie Menschen, die in Pflegeheimen betreut werden oder dort arbeiten.

    Auch Pflegekräfte in ambulanten Diensten und Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen mit erhöhtem Expositionsrisiko gehören dazu. Darunter fallen: Mitarbeiter in Corona-Impfzentren, Notaufnahmen oder Intensivstationen.

    "Höchste Priorität" haben außerdem Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen, die Risikogruppen behandeln. Darunter ist zum Beispiel die Transplantationsmedizin gelistet.

    Als nächstes sollen Menschen geimpft werden, die unter "hohe Priorität" kategorisiert sind. In erster Linie sind das jene, die über 70 Jahre alt sind.

    Auch wer bestimmte Erkrankungen oder Behinderungen aufweist, fällt in diese Kategorie. Dazu gehören Trisomie 21 und Demenz. Auch wer eine Organtransplantation hatte, wird mit hoher Priorität geimpft.

    Es genügt außerdem, Kontaktperson von Menschen in Risikogruppen zu sein, um mit hoher Priorität geimpft zu werden werden. Dazu gehören enge Kontaktpersonen von Menschen über 80, von Schwangeren oder Bewohnern von Pflegeheimen. Auch Personen, die in Einrichtungen für Senioren oder für Menschen mit geistiger Behinderung leben, sollen mit hoher Priorität geimpft werden. Außerdem fallen Pflegerinnen und Pfleger, die Menschen mit Behinderung stationär oder ambulant betreuen, in diese Kategorie.

    Auch bestimmte Berufsgruppen sollen schnell an die Reihe kommen. Vor allem solche, die in der Öffentlichkeit aktiv sind und viel Kontakt zu Bürgern haben. Dazu gehören Polizisten und Ordnungskräfte, die auf Demonstrationen unterwegs sind, sowie Mitarbeiter in Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften oder Krankenhäusern.

    Als dritte Kategorie definiert das Gesundheitsministerium Menschen mit "erhöhter Priorität". Dazu gehört die Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren.

    Außerdem sollen dann Menschen geimpft werden, die zwar in medizinischen Berufen arbeiten, aber einem niedrigerem Expositionsrisko ausgesetzt sind. Dazu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Laboren.

    Erhöhte Priorität haben auch Menschen mit folgenden Krankheiten: Adipositas, chronische Nierenerkrankung, chronische Lebererkrankung, Immundefizienz oder HIV-Infektion, Diabetes mellitus, diversen Herzerkrankungen, Schlaganfall, Krebs, COPD oder Asthma, Autoimmunerkrankungen und Rheuma.

    Auch bestimmte Berufsgruppen fallen in diese Kategorie. Darunter Lehrer und Erzieher, Polizisten, Regierungsmitarbeiter, Verwaltungsangestellte, Feuerwehrmänner und -frauen, Katastrophenschutz, THW oder Justiz.

    Erhöhte Priorität haben außerdem Menschen, die in kritischer Infrastruktur arbeiten. Dazu gehören Apotheken und Pharmawirtschaft, öffentliche Versorgung und Entsorgung, Ernährungswirtschaft, Transportwesen, Informationstechnik und Telekommunikation.

    Auch Personen mit prekären Arbeits- oder Lebensbedingungen werden mit erhöhter Priorität geimpft.

    Wer nicht in eine dieser drei Kategorien fällt, wird ohne Priorität geimpft. Also erst dann, wenn Menschen aus diesen Kategorien an der Reihe waren.

    Und doch könnte der Mangel an Impfstoff noch das kleinste Problem bleiben. Die Tücken lauern in jedem noch so kleinen Detail. Wann erfahren die über 80-Jährigen, die nicht im Heim leben, wann sie geimpft werden? Wie werden alle anderen Gruppen über ihren Impftermin informiert? Wie können Pannen in der Kühlkette verhindert werden? Wirken die Impfstoffe noch, wenn das Virus weiter mutiert? Gefühlt gibt es inzwischen mehr Fragen als Impfdosen. Es wird Geduld auf allen Seiten benötigen, ehe diese schwierige Zeit überwunden ist.

    Wir müssen der Politik auch Fehler zugestehen

    Denn eines müssen wir den Verantwortlichen in der Politik bei aller Kritik zugute halten: Nie war es schwerer, Entscheidungen zu treffen. Kaum jemand hätte sich noch vor einem Jahr vorstellen können, wie weit unsere Welt innerhalb kürzester Zeit aus den Angeln gehoben werden kann. Das Prinzip „Versuch und Irrtum“ hat uns durch die vergangenen Monate begleitet.

    Der Sinn von Masken, die Notwendigkeit eines erneuten Lockdowns, der Schutz von Pflegeheimen und nun der Ruckelstart der Impfkampagne – Corona-Politik war und bleibt ein steiniges Feld. Es ist wichtig, das anzuerkennen. Denn eine Politik, der die Gesellschaft keine Fehler nachsieht, ist zum Stillstand verdammt. Und der kann tödlich enden.

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