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Analyse: Angela Merkel modernisierte die CDU eher leise

Analyse

Angela Merkel modernisierte die CDU eher leise

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    Seit April 2000 führte Angela Merkel die CDU – weitgehend still und unaufgeregt. Am Freitag wird der Parteitag über ihre Nachfolge entscheiden.
    Seit April 2000 führte Angela Merkel die CDU – weitgehend still und unaufgeregt. Am Freitag wird der Parteitag über ihre Nachfolge entscheiden. Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archiv)

    Die Zitate könnten ganz frisch sein. „Die Art, wie wir überall im Lande in Regionalkonferenzen und in jedem Ortsverband offen über Probleme und Neuanfang diskutiert haben, signalisiert einen neuen Aufbruch. Die Zeit der Hinterzimmer und der Strippenzieher geht zu Ende“, hieß es. Die Zeit für einen Neuanfang in der CDU sei reif. „Wir sind noch nicht über dem Berg und ich warne davor, schon wieder weitermachen zu wollen wie in alten Zeiten. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Die Union muss nicht neu erfunden werden.“

    Die Sätze klingen wirklich aktuell – und sind doch bereits mehr als 18 Jahre alt. Sie stammen von dem damaligen CDU-Vorsitzenden (und heutigen Bundestagspräsidenten) Wolfgang Schäuble. Er hat sie am 10. April 2000 auf dem CDU-Parteitag in Essen gesagt, auf dem es zu einer tiefen Zäsur in der Geschichte der Partei kommen sollte. Auf dem Höhepunkt der Parteispendenaffäre, in die sowohl der langjährige Altkanzler und Ex-CDU-Chef Helmut Kohl als auch Schäuble selber verwickelt waren, musste die alte Garde abtreten und den Weg für eine völlig neue Mannschaft frei machen – mit einer Frau an der Spitze.

    Merkel stand für den Bruch mit der Kohl-Vergangenheit

    897 von 953 Delegierten wählten die damals 45-jährige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel zur neuen Vorsitzenden. Die Frau aus dem Osten, die über keine große Hausmacht verfügte, stand wie keine andere für einen Bruch mit der Vergangenheit und einen glaubwürdigen Neuanfang. Sie hatte eine weiße Weste und versprach, dass sich die Partei an den eigenen Haaren wieder aus dem Spendensumpf herausziehen kann.

    Das gute Ergebnis aber war lediglich eine Momentaufnahme. Von Anfang an hatte Merkel, die Außenseiterin mit DDR-Vergangenheit, aber ohne Stallgeruch und Seilschaft, einen schweren Stand. Kohls politische Enkel, die starken und selbstbewussten CDU-Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers, Roland Koch, Christian Wulff oder Peter Müller, hatten gehofft, selbst die Macht ergreifen zu können. Sie wollten sich mit dem Ergebnis nicht anfreunden und mobilisierten alle Kräfte gegen Merkel.

    Schon auf dem Parteitag im Dezember 2001 in Dresden wurde der damalige CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber derart frenetisch gefeiert, dass dies einer Ausrufung zum Kanzlerkandidaten gleichkam. Die Stimmung war eindeutig. Merkel musste erkennen, dass sie gegen ihn keine Chance hatte. Anfang Januar bot sie Stoiber beim legendären Frühstück in Wolfratshausen die Spitzenkandidatur für die Wahl im Herbst an.

    Wie die "Methode Merkel" Gestalt annahm

    Was wie eine bittere Niederlage aussah, entpuppte sich langfristig als Sieg. Zum ersten Mal nahm die „Methode Merkel“ Gestalt an. Statt öffentlich zu lamentieren, unterstützte Merkel mit vollen Kräften Stoiber. Damit sicherte sie sich seine Gefolgschaft, um ihre Macht auszubauen. Stoiber verlor die Wahl bekanntlich gegen Gerhard Schröder (SPD) – und die CDU-Chefin Merkel griff nun mit Stoibers Hilfe auch nach dem Fraktionsvorsitz, den bis dahin Friedrich Merz innehatte.

    Damit war sie die unumschränkte Nummer eins der CDU. In dieser Eigenschaft trieb sie die programmatische Erneuerung der Union voran. Höhepunkt war der Parteitag 2003 mit den „Leipziger Beschlüssen“, die unter anderem eine einheitliche Gesundheitsprämie in der Krankenversicherung („Kopfpauschale“) und eine grundlegende Steuerreform („auf dem Bierdeckel“) vorsahen.

    Als Bundeskanzler Gerhard Schröder im Mai 2005 nach der SPD-Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen vorgezogene Neuwahlen ausrief, war Merkels Position unumstritten. Als Kanzlerkandidatin und haushohe Favoritin zog sie in den Wahlkampf. Doch Schröders Strategie, gegen Merkels Kopfpauschale und ihren Finanzexperten Paul Kirchhof, den er nur höhnisch „den Professor aus Heidelberg“ nannte, mobil zu machen, hätte sie fast den sicher geglaubten Sieg gekostet. Hauchdünn war am Wahlabend ihr Vorsprung vor der SPD. Nach zähen Verhandlungen kam eine Große Koalition mit der SPD zustande. Am 22. November 2005 war Merkel am Ziel: Als erste Frau zog sie ins Bundeskanzleramt ein.

    Merkel wollte eine starke CDU in der Mitte

    Ihr war klar: Mit radikalen Reformen gewinnt man keine Wahlen, die Bürger wünschen Ruhe, Sicherheit und Verlässlichkeit. Die „Methode Merkel“ griff weiter um sich. Nicht mit Kommissionen und Parteitagsbeschlüssen trieb die Kanzlerin die Modernisierung der CDU voran, sondern still und leise im Hintergrund. Subtil, aber effektiv griff sie dabei die gesellschaftlichen Veränderungen auf und übernahm diese Stück für Stück. Die Konservativen und die Wirtschaftsliberalen verloren an Einfluss. Merkels Ziel war es, die CDU so stark in der Mitte aufzustellen, dass sie politisch offen in alle Richtungen und somit stets mehrheitsfähig war. Die Wahlerfolge 2009 und 2013 gaben ihr recht.

    Als Kanzlerin stellte sie die Partei nach dem Vorbild von Helmut Kohl ganz in den Dienst der Regierung. Die Generalsekretäre sollten ihr den Rücken frei- und die CDU auf Kurs halten. Unruhe konnte sie nicht brauchen. So geschah es denn auch: Ob Ausstieg aus Wehrpflicht und Atomkraft oder Ausbau der Krippenplätze, ob Einführung des Mindestlohns oder Zulassung der Homo-Ehe, die Partei murrte etwas, folgte aber brav, wenn es darauf ankam.

    Der Deal beruhte auf Gegenseitigkeit. Merkel konnte mit ihren wechselnden Koalitionspartnern, erst SPD, dann FDP, dann wieder die SPD, relativ ungestört regieren. Im Gegenzug garantierte die Kanzlerin mit ihrer ruhigen, unaufgeregten und zurückhaltenden Art den Erhalt der Macht und sicherte somit Parteifreunden den Zugang zu den Fleischtöpfen.

    Angela Merkel ist immer noch mächtigste Frau der Welt

    Diese stille Übereinkunft zwischen der Partei und ihrer Vorsitzenden bekam mit der Euro-Krise die ersten Risse und platzte endgültig mit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Rechts von der Union entstand die AfD, die das politische Vakuum füllte. Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl 2017, der schweren Regierungskrise im vergangenen Sommer und den dramatischen Verlusten bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober erklärte die heute 64-Jährige ihren Verzicht auf den Parteivorsitz. Ein letztes Mal bestimmte die am Mittwoch vom US-Magazin Forbes erneut zur mächtigsten Frau der Welt gekürte Kanzlerin die Agenda und kam mit ihrer Entscheidung einem möglichen Sturz zuvor.

    So schließt sich der Kreis. Im April 2000, auf dem Höhepunkt der CDU-Parteispendenaffäre, verkörperte Angela Merkel die Sehnsucht nach einem Neuanfang und stand für einen Neustart. Nach 18 Jahren an der Spitze der CDU ist die Sehnsucht nach einem neuen Kopf, einem neuen Ton und einem neuen Umgangsstil mindestens so groß wie damals. Und wer auch immer auf dem Parteitag in Hamburg am Freitag zu ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin gewählt wird, muss diese Erwartungen auch erfüllen – so wie es Angela Merkel damals tat.

    Unser Korrespondent Martin Ferber war auf dem CDU-Parteitag im April 2000 in Essen dabei, als Angela Merkel zur neuen CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. Er hat seitdem keinen CDU-Parteitag verpasst und wird auch in Hamburg die Neuwahl verfolgen.

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