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Änderungen: Flensburger Verkehrssünderdatei: 47 Millionen Punkte gespeichert

Änderungen

Flensburger Verkehrssünderdatei: 47 Millionen Punkte gespeichert

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    Minister  Ramsauer will  Pläne vorlegen, die einer Revolution in der Flensburger Verkehrssünderdatei gleichkommen. Grund genug, einen Blick in das Zentralregister zu werfen.
    Minister Ramsauer will Pläne vorlegen, die einer Revolution in der Flensburger Verkehrssünderdatei gleichkommen. Grund genug, einen Blick in das Zentralregister zu werfen. Foto: Carsten Rehder/dpa

    Freie Fahrt für freie Bürger! Mit diesem höchst umstrittenen Werbespruch hat der Verkehrsclub ADAC in den 70er Jahren Politik gemacht. Und das erfolgreich. Deutschland ist neben Indien eines der wenigen Länder der Welt, das kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen kennt. In den 50er Jahren, in der Zeit nach dem Krieg, war die junge Bundesrepublik verkehrstechnisch gesehen sogar Wilder Westen. Vom 23. Januar 1953 bis zum 31. August 1957 existierten „keine Geschwindigkeitsbeschränkungen für Personenwagen und Motorräder“, wie es in sprödem Amtsdeutsch in den Akten heißt. Erst danach wurde innerorts wieder eine Begrenzung von 50 Stundenkilometern eingeführt. Daraufhin kochte eine emotionale Debatte um dieses Thema hoch, die im Grunde bis heute anhält.

    357 Punkte gesammelt: Ein 30 Jahre alter Bäcker aus dem Harz wurde in 51 Fällen von Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe erhielt er dafür 51 mal sieben Punkte.

    Vom Tempolimit bis zur geplanten Neuregelung des Bundeszentralregisters, auch Flensburger Verkehrssünderdatei genannt, ist der Weg nicht weit. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer will das Punktesystem wieder einfacher, transparenter und handhabbarer machen.  „Es ist derart kompliziert geworden, dass niemand mehr richtig durchblickt“, begründet der CSU-Politiker seinen Vorstoß.

    Die Reform, die Ende Februar offiziell vorgestellt wird, ist zwar noch gar nicht in Kraft getreten, wird aber schon heftigst kritisiert. „Die notorischen Rowdys sind die großen Gewinner der Reform“, kommentierte der Stern.

    Unnützes Fahren: Eine Frau aus Deggendorf (Niederbayern) hat deswegen einen Strafzettel bekommen. In der Straßenverkehrsordnung heißt es: „(…) Unnützes Hin- und Herfahren ist innerhalb geschlossener Ortschaften verboten, wenn andere dadurch belästigt werden.“ Immerhin: Punkte gab es dafür nicht.

    Worum geht es bei der Reform? Künftig soll man den Führerschein bereits mit acht statt wie bisher mit 18 Punkten verlieren. Zu massenhaftem Führerscheinentzug wird es aber nicht kommen, denn es werden entsprechend weniger Punkte vergeben. Für Bagatellen gibt es gar keine Punkte mehr, für sicherheitsrelevante Verstöße sind dagegen härtere Sanktionen geplant. Zusammengefasst: Ramsauer macht nach 54 Jahren Frühjahrsputz im System. Das Thema ist aber sensibel: Manche sprechen schon von einer „Revolution“.

    Nackt im Auto: Hier gilt, dass niemand gefährdet, belästigt oder geschädigt werden darf. Nacktfahren ist sozusagen juristische Auslegungssache.

    Die echte „Revolution“ im Verkehr fand schon 1956 statt. Nach Meinung des Bundestages tuckerten die Deutschen im Käfer zu schnell durch die Lande. Es ereigneten sich immer häufiger Unfälle, die Sicherheit auf deutschen Straßen war gefährdet. Die Polizei zählte rund 13000 Verkehrstote, mehr als doppelt so viele wie heute. Als Gegenmaßnahme beschloss die Politik, alle Daten über Verkehrssünder speichern zu lassen. Verkehrsminister Hans Christoph Seebohm (CDU) ließ den Beschluss 1958 umsetzen.

    Damit die Daten nicht im luftleeren Raum schweben, sondern von einer Behörde verwaltet werden, wurde das Verkehrszentralregister an das 1951 am nördlichsten Zipfel der Republik errichtete Kraftfahrtbundesamt, einem grauen Gebäude am Flensburger Stadtrand, eingegliedert. Das sorgte vor Ort für fast ebenso viel Wirbel wie das Geschäftsmodell einer gewissen Beate Uhse einige Jahre später. Die Sünde war im hohen Norden zu Hause.

    Fortan galt auch: Über Punkte in Flensburg freuen sich höchstens Handballmannschaften, die beim Bundesliga-Spitzenteam

    Maskiert am Lenkrad: Kostüme sind grundsätzlich erlaubt, nicht aber Masken. Vorsicht, Piraten, also mit der Augenklappe.

    Mittlerweile, sagt Anna Lena Wismar, die Sprecherin des Kraftfahrtbundesamtes, haben sich über 47 Millionen Punkte angesammelt. Tempoüberschreitungen und Alkohol am Steuer sind die mit Abstand häufigsten Tatbestände. Interessant auch, dass 6,9 Millionen Männer in Flensburg gespeichert sind, aber nur gut zwei Millionen Frauen. Der Großteil der Akten ist mittlerweile digital archiviert. „Doch bei den Strafsachen legen wir die DIN-A4-Blätter immer noch in unsere Ordner.“ Die Reihe von älteren Fällen, die in Regalwänden in Handakten geführt werden, ist rund 500 Meter lang. Das Verwalten ist nicht die einzige Aufgabe der Beamten. Bis zu einer halben Million Autofahrer rufen jährlich an, um sich über den aktuellen Stand ihrer Punkte zu informieren.

    Skelett auf dem Fahrersitz: Das Foto der Polizei Straubing ging vor Jahren um die Welt. Die Erklärung war einfach: Es handelte sich um ein rechts gelenktes Auto, somit war das Skelett nur Beifahrer. Punkte gab es keine.

    Der Grundgedanke des Sündenkontos ist pädagogischer Natur. Verfahren wird nach dem Prinzip Schuld und Sühne. Wer gegen Verkehrsregeln verstößt, bekommt Punkte und muss dafür büßen. Der frühere Bischof der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Hans Christian Knuth, hielt dies für durchaus richtig. Grobe Verkehrsverstöße seien auch theologisch gesehen Sünde, sagte er einmal. Die Möglichkeit, dass die Punkte auch wieder gestrichen werden können, erinnert ihn daran: „Gott trägt uns unsere Schuld ja auch keine Ewigkeit lang nach.“ Dumm nur, dass es in der Flensburger Sündenkartei die in der katholischen Kirche so praktische Form der Beichte und Reue nicht gibt. Die Autofahrer wären dann vorsichtiger. Nur der Staat würde nichts kassieren.

    Unbeleuchtetes Schwein: Ein Landwirt hat Punkte bekommen, weil er ein unbeleuchtetes Schwein über die Straße geführt hat. Wie viele, ist nicht bekannt.

    Die deutschen Verkehrsgesetze sind tückisch. Man kann in Flensburg nämlich nicht nur wegen Verstößen mit dem Auto aktenkundig werden, sondern auch wegen Ordnungswidrigkeiten per Rad oder zu Fuß. Wer beispielsweise im Suff mitten auf der Straße nach Hause torkelt und von der Polizei erwischt wird, dessen Akte landet in Flensburg.

    Es ist also wenig verwunderlich, dass das Flensburger Sündenkonto schnell wächst. Alle 20 Minuten kommt ein Punkt dazu. Der verteilt sich auf unterschiedliche Gruppen. Drei Viertel der Registrierten haben nicht mehr als sieben Punkte, fünf Prozent nicht mehr als 13. Immerhin einem Prozent droht aber der baldige Führerscheinentzug.

    Ludwig, der Marienkäfer, das Maskottchen, mit dem die Flensburger Behörde noch heute wirbt, würde sagen, wenn er denn könnte: „Ich muss mit meinen Punkten leben, du nicht!“

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