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Abschied: Mit Bundespräsident Gauck tritt der Mutmacher der Nation ab

Abschied

Mit Bundespräsident Gauck tritt der Mutmacher der Nation ab

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    Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt gehen zurück ins Schloss Bellevue, nachdem Gauck mit einem Großen Zapfenstreich feierlich verabschiedet wurde.
    Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt gehen zurück ins Schloss Bellevue, nachdem Gauck mit einem Großen Zapfenstreich feierlich verabschiedet wurde. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

    Sie könnten seine Enkelkinder sein. Die 18 Studenten der niederländischen Universität Maastricht, die im Saal des Kinos Lumière sitzen und auf ihn warten, den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der mit ihnen über Europa und die Krise der europäischen Idee diskutieren will. Die Gruppe ist so international wie die Uni im Drei-Länder-Eck. Die jungen Menschen kommen nicht nur aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland, sondern auch aus Italien, Rumänien und Schweden, Pakistan und den USA. Politisch interessiert sind alle, einige haben ein Praktikum bei der EU in Brüssel gemacht.

    Joachim Gauck - ein Bundespräsident mit Bodenhaftung

    Sophie Reiß, 21, kommt aus Aschaffenburg und belegt in Maastricht „European Studies“. Regelmäßig nimmt sie an Sitzungen des Europäischen Jugendparlaments teil. Doch mit einem Staatsoberhaupt hat weder sie noch die anderen bislang an einem Tisch gesessen, erst recht nicht diskutiert. Entsprechend groß ist die Nervosität, schweigend warten die Studenten auf die Ankunft des Präsidenten.

    Und dann ist Joachim Gauck da. Ohne große Ankündigung kommt er mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt in den Saal, geht mit einem Lächeln auf die jungen Menschen zu, schüttelt jedem einzelnen die Hand, wechselt ein paar Worte. Gauck schafft es, die Spannung aufzulösen. Aufmerksam hört er den Studenten zu, nickt hin und wieder, fragt nach, lacht, scherzt.

    In einfachen Worten ermutigt der 77-Jährige die Studenten, sich für das Gemeinwesen und die Gesellschaft zu engagieren und für das Europa der offenen Grenzen zu werben. Sophie Reiß spricht er direkt an: „Gehen Sie in Aschaffenburg in eine Kneipe, schwärmen Sie von dem, was Sie in Maastricht erleben, erzählen Sie den Menschen zuhause, was Sie machen.“ Zu einer anderen Studentin sagt er: „Zeigen Sie, dass Ihnen Europa am Herzen liegt. Wir dürfen Europa nicht beschränken auf den Kopf und das Hirn, sondern müssen auch die Herzen und die Gefühle der Menschen ansprechen.“

    „Er hat einen ziemlich normalen Eindruck gemacht“, sagt Sophie Reiß hinterher. Und der Bundespräsident schwärmt, als er zum nächsten Termin aufbricht: „Ich bin dankbar für die Begegnung mit den wunderbaren jungen Menschen, die mir von ihrem Engagement erzählt haben. Das hat mein Herz berührt.“

    Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Verabschiedung mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr.
    Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Verabschiedung mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Viel Wehmut beim großen Zapfenstreich

    Am Freitagabend liegt Wehmut über dem Park des Schloss Bellevue in Berlin. Fackelträger säumen den Weg, das Stabsmusikkorps des Bundeswehr spielt zum Großen Zapfenstreich die Musikstücke, die Gauck sich gewünscht hat – das Volkslied „Freiheit, die ich meine“ , das Kirchenlied „Eine feste Burg ist unser Gott“ und den DDR-Hit „Über sieben Brücken musst du gehn“. Der Bundespräsident steht da, sichtlich bewegt, kämpft immer wieder mit den Tränen. Dann lächelt er.

    Gauck ist einer, der auf seine Mitmenschen eingehen und ihnen zuzuhören kann. Ein Mann, der auch Gefühle zeigt – und somit ein Gegenentwurf zu der so nüchternen, kühlen Kanzlerin. So verstand er auch sein Amt: als oberster Mutmacher der Nation, als Ermutiger, der den Menschen die Angst vor der Zukunft nehmen, der an ihre Stärken und ihr Selbstbewusstsein appellieren will. Das Land, sagte er Ende vergangenen Jahres bei der Würdigung von ehrenamtlich Tätigen, sei „durchzogen von einem Netzwerk derer, die es schöner machen“. Und es somit beschenken, weil sie die Dinge zum Besseren wenden.

    Gauck blieb auch als erster Mann im Staate das, was er immer war: ein Seelsorger und Pastor, der an das Gute im Menschen glaubte und von der Stärke der Zivilgesellschaft überzeugt war, ihr zugleich die Angst vor Veränderungen nehmen wollte. Und vor allem ein begnadeter Redner, der schon als evangelischer Theologe in der DDR um die Kraft des Wortes wusste und es verstand, mit seinen Predigten die Menschen zu begeistern. Im Wendeherbst 1989 wurde aus dem Pastor in Rostock-Evershagen ein Politiker. Wie viele evangelische Theologen verließ er den geschützten Raum der Kirche und engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“. Nur ein halbes Jahr blieb er in der aktiven

    Wie Richard von Weizsäcker und Johannes Rau brauchte Gauck zwei Anläufe, um ins höchste Staatsamt zu gelangen. Nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler 2010 nominierten ihn SPD und Grüne, doch Union und FDP gaben dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff den Vorzug. Erst im Februar 2012, nach Wulffs Rückzug, war der Weg frei für den unabhängigen Kandidaten – als sich auch die

    Ein Bundespräsident, der sich in die aktuelle Politik einmischte

    Ein Jahr, so bekannte er jüngst in der ihm eigenen Offenheit und Ehrlichkeit, habe er gebraucht, um als Staatsoberhaupt anzukommen und zu lernen, wie er seine Worte einsetzen musste. Wie kaum einer vor ihm mischte sich Gauck in die aktuelle Politik ein, stieß Debatten an und gab von Schloss Bellevue aus den Kurs vor – nicht immer zur Freude der Bundeskanzlerin und des Außenministers Frank-Walter Steinmeier, dem er am Sonntag das Amt symbolisch übergeben wird, bei Tee und Gebäck im Schloss Bellevue.

    Früh schon nannte Gauck das Vorgehen der Osmanen gegen die Armenier im Ersten Weltkrieg „Völkermord“. Lautstark kritisierte er die autokratischen Züge von Russlands Präsident Wladimir Putin, den er während seiner Amtszeit demonstrativ mied, sowie des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Ausdrücklich forderte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 ein stärkeres internationales Engagement der Bundesrepublik. Die vom Staatsoberhaupt geforderte Überparteilichkeit und Neutralität hinderte ihn nicht, immer wieder mit aller Entschiedenheit gegen Rechtsradikale vorzugehen. „Euer Hass ist unser Ansporn“, gab er bei seiner Vereidigung als Devise aus. Ein Jahr später nannte er sie vor Berliner Schülern „Spinner“, denen man „die Grenzen aufweisen“ müsse. 2015, beim Besuch eines Flüchtlingsheims, sagte er mit Blick auf die Anschläge auf Asylbewerberheime: „Es gibt ein helles Deutschland, das sich hier leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören.“ Allerdings schlug er in der Debatte um die Flüchtlingspolitik auch einen Ton an, der die Ängste und die Kritik der Bürger aufgriff: „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“

    Die dramatischen Veränderungen der Weltpolitik, das Erstarken der Rechtspopulisten prägten seine Amtszeit. Mit Sorge musste er erkennen, dass Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz großer Gefahr ausgesetzt sind. Und doch hob Gauck stets hervor, dass ihm um Deutschlands Zukunft nicht bang sei. „Das Wichtigste, das wir unseren Kindern und Kindeskindern mit auf den Weg geben, ist für mich vor allem eine Haltung: Es ist das Vertrauen zu uns selbst, das Vertrauen in die eigenen Kräfte. Wir bleiben gelassenen Mutes“, sagt er in einer großen Rede im Januar.

    Gauck setzt auf die Jugend für Europa

    Nach fünf Jahren im Schloss Bellevue – auf eine zweite Amtszeit hatte er verzichtet – geht Gaucks Blick nach vorne. Er will in Berlin bleiben. Schließlich wird er nach wie vor gefragt sein. Und er freut sich darauf, wieder ein normales Leben führen zu können. Einfach mit dem Fahrrad um den Block fahren, Einkaufen gehen ohne Sicherheitsbeamte im Schlepptau, ohne diplomatische Verrenkungen seine Meinung sagen. „Wieder etwas offener reden zu können ist reizvoll“, gestand er vor kurzem der Bild am Sonntag.

    Der Blick in die Zukunft, er prägt auch seine Reise nach Den Haag und Maastricht im Februar. Schon zu dieser Zeit dreht sich alles um die Frage, wie es mit Europa weitergeht. Auf dem Rückflug nach Berlin schaut Gauck zurück auf das Gespräch mit den Studenten, auf die „Generation Maastricht“, die in einem Europa der offenen Grenzen groß geworden ist. „Ich setze auf die Jugend“, sagt er. „Ich bin Optimist.“

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