Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Sozialabgaben: Wie teuer wird die Pflege?

Sozialabgaben

Wie teuer wird die Pflege?

    • |
    Die Sozialabgabenquote für die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung könnte  zusammengenommen auf fast 49 Prozent steigen.
    Die Sozialabgabenquote für die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung könnte zusammengenommen auf fast 49 Prozent steigen. Foto: Arno Burgi, dpa (Symbolbild)

    Im kommenden Jahr wird es in Deutschland erstmals voraussichtlich exakt doppelt so viele 60-Jährige wie 20-Jährige geben. Nur eine Zahl, die verdeutlicht, wie sich die Bevölkerungsentwicklung langsam, aber deutlich auf die deutsche Gesellschaft auswirkt. Das wachsende Ungleichgewicht zwischen Jung und Alt äußert sich nicht nur in Klagen von Firmen über einen wachsenden Fachkräftemangel, sondern lässt sich auch auf dem Gehaltszettel sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter ablesen: Die Abzüge für Krankenkasse und Pflegeversicherung steigen immer schneller.

    Allein in der Amtszeit der aktuellen Ampelkoalition dürften die durchschnittlichen Krankenversicherungsbeiträge bis 2025 auf 16,9 Prozent steigen, ein Prozentpunkt mehr als bei Regierungsübernahme. So hoch kletterte der Beitrag noch nie binnen vier Jahren. Auch die Beiträge zur Pflegeversicherung verteuerten sich für Kinderlose um 0,6 Prozentpunkte auf 4,0 Prozent, für Eltern mit einem Kind liegt der in der Regel je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlte Beitrag nun bei 3,4 Prozent.

    Sozialabgaben könnten bald von 40 auf 49 Prozent explodieren

    Die jüngsten Beitragssteigerungen könnten erst der Anfang sein: Eine Studie der Krankenkasse DAK Gesundheit erwartet, dass die Sozialausgaben in den kommenden zehn Jahren samt den Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung um ganze 7,5 Prozentpunkte auf insgesamt 48,6 Prozent steigen. Lange galt für die Politik eine Art maximale Obergrenze von 40 Prozent, um den Faktor Arbeit wirtschaftlich nicht zu überlasten. Diese Latte hat die Bundesregierung jedoch bereits im vergangenen Jahr gerissen.

    Besonderes Kopfzerbrechen macht der Politik dabei die Pflege. Mit immer mehr, immer älter werdenden Menschen in Deutschland wachsen die Ausgaben schon jetzt massiv. Bei der Einführung der Pflegeversicherung lag der Beitrag noch bei einem Prozent, den sich Beschäftigte und Arbeitgeber teilten. Ein diese Woche im Bundeskabinett beratener Expertenbericht über die Zukunft der Pflegeversicherung geht davon aus, dass der Beitrag bis zum Jahr 2050 auf 4,6 Prozent steigen müsste, wenn die Pflegebedürftigen wie bisher Tausende Euro im Jahr an Eigenanteilen für eine Heimunterbringung bezahlen müssten.

    Die meisten hätten gerne eine Vollversicherung gegen Pflegefallrisiko

    Allerdings ist der Ruf nach einer großen Pflegereform groß: Die meisten Bundesbürger wünschen sich in Umfragen eine Vollversicherung statt der bisherigen Teilabsicherung. Gleichzeitig befürwortet die Mehrheit, dass nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Beamte und Selbstständige in eine gesetzliche Pflegeversicherung einzahlen müssten. Eine solche Vollversicherung würde die Ausgaben der Pflegeversicherung jedoch laut den Expertenberechnungen möglicherweise von heute rund 60 Milliarden auf über 250 Milliarden Euro im Jahr 2060 explodieren lassen. Ein Teil der Fachleute spricht sich deshalb für andere Modelle aus, beispielsweise eine Pflicht zur privaten Zusatzvorsorge oder der schnellen Bildung eines andersartigen Kapitalstocks, mit dem ein Teil der bis 2060 zu erwartenden Mehrkosten für die Pflege zu bewältigen sei.

    Die Experten verweisen zudem auf Einflussfaktoren, an denen die Politik unabhängig von einer Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge und Staatszuschüsse ansetzen könne. Auf der Ausgabenseite spielen zwei Faktoren eine Rolle: Wie hoch der Anteil der tatsächlich Pflegebedürftigen unter der wachsenden Zahl älterer Menschen sein wird und wie sehr sich dabei die Pflegekosten für jeden Betroffenen entwickeln werden. Der dritte Faktor liegt auf der Einnahmenseite der Pflegeversicherung: Je mehr die Löhne steigen und damit die allgemeine Lohnentwicklung besser werde, desto einfacher seien die wachsenden Pflegekosten zu bewältigen.

    Bayerns Ministerin Judith Gerlach fordert Zusammenarbeit von Bund und Ländern

    Das hieße, je mehr die Vorsorge gegen Pflegebedürftigkeit verbessert wird, je kräftiger die Wirtschaft wächst und je besser die Kosten im Griff lägen, desto leichter wäre die Finanzierung zu bewältigen. In der Praxis steigt die Zahl der Pflegebedürftigen allerdings stärker als erwartet, ebenso die Kosten und zugleich kämpft Deutschland mit einer Rezession.

    Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach begrüßt, dass die Bundesregierung nun Expertenberechnungen erstellen ließ, und dringt, wie auch Krankenkassen und Sozialverbände, sich jetzt sofort an die Arbeit zu einer zukunftsfesten Reform der Pflegeversicherung zu machen und sie nicht erst nach der kommenden Bundestagswahl anzugehen. „Aus den Berechnungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach müssen umgehend politische Schlussfolgerungen gezogen und die Arbeiten an einer zukunftsfesten Reform der Pflegeversicherung aufgenommen werden“, erklärte die CSU-Politikerin unserer Zeitung. „Es wäre fahrlässig, bei diesem Thema nur bis zum Ende der Legislaturperiode zu denken“, fügte sie hinzu. 

    Bei der Reform müssten alle Beteiligten zusammenarbeiten. „Die Länder sind bereit, an einem Reformprozess konstruktiv mitzuwirken und ich fordere den Bundesgesundheitsminister auf, die Chancen, die in einer solchen Beteiligung liegen zu nutzen“, sagte Gerlach. „Das sind wir den Menschen in unserem Land schuldig, die Jahrzehnte gearbeitet und in die Sozialsysteme eingezahlt haben“, betonte Gerlach. „Es darf nicht sein, dass sich Menschen mit einer durchschnittlichen Rente die nötige Pflege kaum noch leisten können“, sagte Gerlach. „Es ist wichtig, dass die Pflegeversicherung zeitnah konsequent vereinfacht und flexibilisiert wird“, erklärte sie. „Ziel muss sein, dass sich die Versorgung im Einzelfall besser nach den Bedarfen des Pflegebedürftigen richten kann.“

    Lauterbach hatte sich kürzlich angesichts eines Anstiegs der Pflegefallzahlen für eine umfassende Finanzreform ausgesprochen, die er jedoch angesichts unterschiedlicher Ansichten der Ampel-Partner erst in der nächsten Wahlperiode für realistisch hielt. In dem nun vorliegenden Expertenbericht hat eine interministerielle Arbeitsgruppe verschiedene Modelle für eine Reform der Pflegeversicherung untersucht und finanzielle Folgen berechnet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden