Die bayerischen Sicherheitsbehörden befürchten im Freistaat eine weitere Zunahme an Straftaten mit antisemitischem Hintergrund. Bei einer Ausweitung des Nahostkonflikts sei „mit einer Verstärkung der bereits jetzt wahrnehmbaren Faktoren zu rechnen“, sagte Norbert Radmacher, Präsident des Landeskriminalamtes (LKA), unserer Redaktion. Dazu zählt er mehr Demonstrationen, eine verstärkte Emotionalisierung, aber eben auch ein „Zuwachs an antisemitischen Straftaten“.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vor genau einem Jahr sind in Bayern fast 700 solcher Vorfälle registriert worden – ein Rekordwert. „Obwohl es sich hierbei zum ganz überwiegenden Teil nicht um Gewaltdelikte gegen Personen, sondern um Propaganda- und Volksverhetzungsdelikte handelt, bereitet mir persönlich diese Entwicklung auf Grund ihrer nachvollziehbaren Auswirkungen auf das Lebensgefühl und das subjektive Sicherheitsempfinden unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger dennoch große Sorgen“, sagte Radmacher. Er teile die Ansicht von Thomas Haldenwang, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wonach die aktuelle Lage ein Radikalisierungspotenzial berge, „das jederzeit in Anschlagsszenarien umschlagen kann“ – siehe das versuchte Attentat auf das israelische Generalkonsulat Anfang September in München.
In München erinnern Tausende an die Opfer des Hamas-Massakers
Der aus Buchloe im Ostallgäu stammende LKA-Chef geht nach derzeitiger Einschätzung jedoch nicht davon aus, dass der Nahostkonflikt ins Bundesgebiet getragen wird, „weil es hierzulande an den dafür erforderlichen Strukturen der Konfliktparteien fehlt“. „Hamas und Hisbollah verfügen nach unserer Kenntnis bestenfalls über Unterstützungsstrukturen“, sagte Radmacher. Dabei gehe es beispielsweise um das Sammeln von Spenden oder logistische Hilfen.
Am 7. Oktober 2023 hatten Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen fast 1200 Menschen in Israel getötet und etwa 240 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Dies war der Auslöser für den Gaza-Krieg. Am Wochenende erinnerten Gedenkveranstaltungen in mehreren deutschen Städten an das Massaker, dazu gab es eine ganze Reihe an propalästinensischen Gegendemonstrationen in zum Teil aufgeheizter Stimmung, vor allem in Berlin. Für den Jahrestag an diesem Montag sind weitere Veranstaltungen angekündigt.
In München kamen laut Polizei gut 8000 Menschen zu der Kundgebung „365 Tage – München gegen Antisemitismus“, darunter der israelische Botschafter Ron Prosor und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Sie wurde von mehr als 100 Organisationen aus Kultur, Politik, Religion, Sport, Wirtschaft und zivilgesellschaftlichen Initiativen getragen. Fast in Sichtweite fand eine Gegendemonstration der Gruppierung „Palästina spricht München“ statt, an der etwa 1200 Menschen teilnahmen.
Charlotte Knobloch spricht von einem „Epochenbruch“ für jüdische Menschen
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sprach in Zusammenhang mit dem 7. Oktober von einem „Epochenbruch“ für jüdische Menschen auch in Deutschland. „Mit dem Überfall der Hamas geriet eine Grundsicherheit ins Wanken, auf die wir uns jahrzehntelang verlassen hatten“, sagte sie unserer Redaktion. „An ihre Stelle ist eine Haltlosigkeit getreten, die mir im Hinblick auf die Zukunft der jüdischen Gemeinden große Sorgen macht.“ Knobloch lobte ausdrücklich die Politik in Bayern, sie setze die richtigen Zeichen. „Aber in anderen Bereichen der Gesellschaft sehe ich solchen Beistand nicht; dasselbe gilt für Teile der Justiz, wobei hier möglicherweise schlicht die gesetzlichen Grundlagen fehlen.“
Der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle bekräftigt den Beistand der Staatsregierung. „Der Freistaat Bayern, die Staatsregierung und alle demokratischen Parteien stellen sich eindeutig an die Seite der jüdischen Gemeinschaft“, sagt er. Dafür habe die Staatsregierung eine eigene interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt. Unter anderem „im Bereich von Bildung, Wissenschaft, Information und gesellschaftlicher Solidarität“ wolle die Staatsregierung weitere Anstrengungen unternehmen, um gegen Antisemitismus vorzugehen.
Indes hat nach libanesischen Angaben das israelische Militär im Kampf gegen die Hisbollah die Vororte südlich von Beirut erneut schwer aus der Luft angegriffen. Bis zum Sonntagmorgen meldete die Staatsagentur NNA dort rund 25 Angriffe. Auch im Süden des Landes gab es diese, unter anderem im Raum Nabatijeh. Das Gesundheitsministerium teilte mit, es seien weitere 23 Menschen getötet und mehr als 90 weitere verletzt worden.
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