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Sondierungsgespräche: Wie Union und SPD sich verständigt haben

Sondierungsgespräche

Wie Union und SPD zueinandergefunden haben

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    Sondierung abgeschlossen: CSU-Chef Markus Söder, Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, SPD-Fraktions- und Parteichef Lars Klingbeil und SPD-Parteichefin Saskia Esken am Samstag in Berlin.
    Sondierung abgeschlossen: CSU-Chef Markus Söder, Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, SPD-Fraktions- und Parteichef Lars Klingbeil und SPD-Parteichefin Saskia Esken am Samstag in Berlin. Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

    Wenn zwischen den Großen von Union und SPD nichts mehr geht, muss der Frühling helfen. Auf einer Terrasse des Jakob-Kaiser-Hauses, in unmittelbarer Nähe zum Reichstag, stehen sie dann in kleinen Grüppchen zusammen, lassen sich die Sonne auf die Nase scheinen, schließen kurz die Augen und ziehen die milde Luft ein. Dorothee Bär von der CSU wirft sich auf einen Stuhl in Positur, ihr lila Oberteil leuchtet wie eine Tulpe im hellen Licht. CDU-Chef Friedrich Merz zückt sein Handy und schießt ein Bild.

    Über eine Woche haben sie tagein, tagaus miteinander verhandelt. Die Leichtigkeit und Gelöstheit dieser Pausen stehen im scharfen Kontrast zum Zustande des Landes und der Weltpolitik. US-Präsident Donald Trump hat in den vergangenen Wochen den starken Arm Amerikas weggezogen und legt ihn stattdessen auf die Schulter des Kremlherren Wladimir Putin. Die letzte Blüte der deutschen Wirtschaft liegt lange zurück. Und an den alten Volksparteien CDU, CSU und SPD rütteln die Kräfte von den Rändern.

    Union und SPD sind zum gemeinsam regieren verdammt

    Sie sind dazu verdammt, sich zu einigen, wenn von den tragenden Pfeilern der Demokratie noch etwas übrigbleiben soll. Als die Gespräche beginnen, liegt der frostige Winterwahlkampf keine Woche zurück. Hart und harsch hatten sich die Wahlkämpfer beharkt, nicht alle Verwundungen sind so schnell verheilt. Einer von ihnen, Bundeskanzler Olaf Scholz, tritt ab von der Spitze. Die anderen machen weiter oder übernehmen. Sie müssen jetzt zusammenfinden, andere Bündnisse sind kompliziert (Dreierkoalition mit den Grünen) oder sind ausgeschlossen (Koalieren mit der AfD).

    Fotopause: Friedrich Merz fotografiert Dorothee Bär (CSU) am Rande der Sondierungsgespräche von Union und SPD.
    Fotopause: Friedrich Merz fotografiert Dorothee Bär (CSU) am Rande der Sondierungsgespräche von Union und SPD. Foto: picture alliance/dpa

    Und wie der äußere Druck der Weltlage dabei hilft, hilft auch das blaue Band des Frühlings. Die Stimmung untereinander jedenfalls ist freundlich. Nach draußen dringt wenig, keiner der Verhandler haut zwischendurch in einem Interview mit der Faust auf den Tisch. Die Presse misst die Atmosphäre am Aufzugsbarometer. Um in die oberen Etagen des Kaiser-Hauses zu kommen, nehmen die Chefs und Mächtigen beider Seiten einen Lift aus dem Erdgeschoss. Davor haben Kameraleute und Reporter Aufstellung bezogen. Der Korridor ist breit. Die meisten machen das nicht zum ersten Mal, kennen das Spiel. Immer wenn einer der wichtigen Politiker in die Nähe des Aufzugs kommt, folgen die gleichen Fragen. „Wie läuft‘s?“ „Packen Sie die Schuldenbremse an?“ „Wie steht es bei der Migration?“ Das auf das Öffnen der Aufzugstür wartende Sondierungspersonal tut so, als gäbe es die Journalisten gar nicht. Die Worte „gut“ und „konstruktiv“ müssen ausführliche Antworten ersetzen, manchmal fliegen Scherze durch die Luft. Als einmal die SPD-Delegation vom Mittagessen kommt, hat wohl Generalsekretär Matthias Miersch die Rechnung übernommen. „Das kommt aber nicht auf die Schuldenbremse drauf“, ruft er den Reportern zu.

    Merz‘ Wahlversprechen eines sparsamen Staats entpuppt sich als Geschwätz von gestern

    Dass mit den Schulden und dem Geld haben sie schnell abgeräumt. Zwar hatte sich Friedrich Merz bei jeder Gelegenheit im Wahlkampf zum sparsamen Staat bekannt, doch das entpuppte sich schnell als Geschwätz von gestern. Rasch einig waren sich beide Seiten bei den Abermilliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr. Der designierte Kanzler Merz ist davon geschockt, wie Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor aller Augen demütigte. Er fürchtet, dass der US-Präsident aus der Nato austritt. Der 69-Jährige hat nun eine triftige Begründung dafür gefunden, die Schleusen zu öffnen. „Wir dürfen für Russland nicht mehr ausrechenbar sein“, sagt einer, der bei den Sondierungen dabei war. Die Logik dahinter: Bei einem zweiten Sondervermögen für die Truppe hätte das russische Militär ziemlich genau kalkulieren können, was die Deutschen an Kriegsgerät anschaffen. Jetzt, da es kein Limit mehr nach oben gibt, kann die Bundeswehr theoretisch immer noch einen drauflegen.

    Der Schuldentopf für Straßen, Schienen und Schulen (Sondervermögen Infrastruktur) ist eine Idee von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Die Frau vom linken Flügel der Genossen ist nicht sonderlich beliebt bei der Union. Doch der neue starke Mann der SPD, Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil, steht an ihrer Seite, die SPD-Chefs lassen sich nicht spalten. Zähneknirschend stimmt Merz zu und muss sich postwendend anhören, dass er die Wähler getäuscht hat. Es bleibt aber beim Grummeln in der Union und einigen spitzen Leitartikeln in den Zeitungen. Der CDU-Vorsitzende hat natürlich auch gesehen, wie wenig Spaß das Regieren macht, wenn kein Geld in den Kassen ist. Nun bekommt er die Kredite, die Olaf Scholz immer wollte und die er als Kanzlerkandidat noch bekämpfte.

    Nachdem die Einigung über das Geld steht, wendet sich das Blatt. Nun muss die SPD Zugeständnisse machen. Eine harte Asylpolitik war das zentrale Wahlversprechen des Friedrich Merz. Sein Gegenüber Lars Klingbeil hatte direkte Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze ausgeschlossen. Die Arbeitsgruppe Migration muss jetzt öfter Pausen einlegen. Der Frühling hilft. Es hilft auch, dass die SPD-Wähler eine strenge Migrationspolitik wollen. Die Sozialdemokraten geben nach. Die Union setzt die an den Verhandlungen beteiligte SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern geschickt ein. Sie lässt Schwesig berichten, was es vor Ort bedeutet, wenn immer neue Schutzsuchende ankommen, die eine Wohnung brauchen, einen Arzt und die Kinder einen Platz in der Schule.

    Pause auf der Terrasse des Jakob-Kaiser-Hauses: Friedrich Merz steht zwischen Karin Prien (CDU) und Dorothee Bär (CSU) .
    Pause auf der Terrasse des Jakob-Kaiser-Hauses: Friedrich Merz steht zwischen Karin Prien (CDU) und Dorothee Bär (CSU) . Foto: picture alliance/dpa

    Leichter machen es sich CDU, CSU und SPD beim Themenfeld Wirtschaft und Soziales. Wie in eine bunte Tüte Haribo steckt jede Seite hinein, was sie begehrt. Geld auf Pump ist ja jetzt da. Höhere Pendlerpauschale, günstigen Strom für die Industrie, niedrige Mehrwertsteuer für die Gastronomie, Mütterrente und Mindestlohn, eine Grundsicherung, die das Bürgergeld ablöst. „Aus bayerischer Sicht würde man sagen: Basst scho. Es gibt keine Gewinner, keine Verlierer“, lobt CSU-Chef Markus Söder. Man könnte auch mit dem großen Satiriker Kurt Tucholsky sagen: „Schließen wir nen kleinen Kompromiss, davon hat man keine Kümmernis. Einerseits und andererseits, so ein Ding hat manchen Reiz“.

    Doch selbst die ersten warmen Sonnentage dieses Jahres können nichts daran ändern, dass es bei diesem Kompromiss doch eine Kümmernis gibt. Damit Schulden in Hülle und Fülle aufgenommen werden können, muss die Schuldenbremse des Grundgesetzes geändert werden. Das soll noch in den nächsten zwei Wochen im alten Bundestag geschehen, bevor der neu gewählte zusammentritt. In den bestehenden Mehrheitsverhältnissen ist eine Verfassungsänderung leichter, aber es braucht die Grünen. Ein Hauch von Schwarz-Rot-Grün weht durch das Kaiser-Haus, als an einem Vormittag die Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge zu den Sondierungsgesprächen dazustoßen. Kenia heißt diese Farbenlehre, benannt nach der Flagge des afrikanisches Staates. Eigentlich waren alle froh waren, dass man nach dem Wahlsonntag ein Dreierbündnis vermeiden konnte. Alle, außer den Grünen vielleicht. Und jetzt sitzen sie doch mit am Tisch - zumindest kurz.

    Nicht ganz eine Stunde soll das Gespräche gedauert haben. Eigentlich hätten die Grünen allen Grund, dem Paket zuzustimmen. Enthält es doch vieles von dem, was sie in der Ampel umsetzen wollten, aber nicht konnten, weil die FDP blockierte: Kredite aufnehmen, in Infrastruktur investieren, mit Schulden die Wirtschaft ankurbeln. Zum Ende ihrer Regierung hätten sie noch einen letzten zumindest symbolischen Erfolg verbuchen können. Nach dem Motto: Seht her, die Union übernimmt unsere Ideen. Aber viel Entgegenkommen ist da nicht. „CDU, CSU und SPD wollen drei Grundgesetzänderungen in wenigen Tagen durchpeitschen – ohne gründliche Beratung, ohne Gesamtverteidigung und Klimaschutz“, schreibt Fraktionschefin Katharina Dröge kurz nach dem Treffen auf dem Kurznachrichtendienst Bluesky. „Statt Schnellschüssen braucht es eine Reform der Schuldenbremse im neuen Bundestag.“

    Die Grünen versuchen, den Preis nach oben zu treiben

    Warum das ganze? Eine Antwort klingt im Vorwurf Dröges schon an. Die Grünen versuchen, den Preis nach oben zu treiben. Vor allem beim Klimaschutz. Das könnte man als Sieg bei den eigenen Wählerinnen und Wählern verkaufen. Und es wäre ein Stich gegen die Union, wenn man Friedrich Merz zwingen könnte, mehr in Klimaschutz zu investieren. Den Mann, der im Wahlkampf damit warb, zentrale Klimaprojekte der Grünen zurückzudrehen.

    Aber den Grünen scheint es nicht nur darum zu gehen, ihre Stimmen möglichst teuer zu verkaufen. In Interviews und Pressekonferenzen wirkten viele ihrer Abgeordneten zuletzt ehrlich beleidigt. Das mag zum einen daran liegen, dass die Union für ihre Regierung nun wohl bekommt, woran die Ampel scheiterte. Zum anderen aber auch daran, dass die Grünen tatsächlich beleidigt werden. Von Markus Söder zum Beispiel. Claudia Roth habe alle nur genervt, sagte er in einer Rede auf dem politischen Aschermittwoch. Wirtschaftsminister Robert Habeck rief er zu: „Goodbye, gute Reise, auf Nimmerwiedersehen.“ Für Ricarda Lang hatte er nur höhnisches Lachen übrig. Das kann man als Getöse abtun, wie es auf dem politischen Aschermittwoch üblich ist. Die Grünen sehen das anders.

    „Das, was wir gerade an Tönen aus der CSU hören, insbesondere von Markus Söder, widert an“, kommentierte Britta Haßelmann den Auftritt. Das Gefühl einerseits gebraucht, andererseits nicht mit dem nötigen Respekt behandelt zu werden, das scheinen gerade viele zu spüren bei den Grünen. Das trifft vor allem auf jene fast 50 Abgeordnete zu, die dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören werden. Sie trifft Söders „Nimmerwiedersehen“-Hohn besonders hart. Und sie werden sich in einer Abstimmung kaum an die Fraktionsdisziplin gebunden fühlen. Oder wie es ein Sondierer der Union sagt: „Die Logik, sei nett zu mir, weil ich dann das nächste Mal auch nett zu dir bin, die funktioniert nicht.“ Die Gespräche mit den Grünen sollen in der nächsten Woche fortgesetzt werden. Parteichef Felix Banaszak hat schon einmal eine Entschuldigung von Friedrich Merz für sein Abkanzeln von Robert Habeck verlangt. Womöglich können Frühlingsgefühle helfen. 

    Ihr Ärger dringt inzwischen auch vor zur Union. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sagte mit Bezug auf die Attacken: „Ich erwarte jetzt auch Respekt aus der Union gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der Grünen, wenn sie diesen Weg aus staatspolitischer Verantwortung mitgehen.“ Persönliches Nachtreten und Häme gehörten sich für demokratische Parteien ohnehin nicht. Seinem Amtskollegen aus Bayern verordnet Günther Zurückhaltung: „Ich schlage daher mit Beginn der Fastenzeit ein Enthaltsamkeitsgebot vor: Auf jegliche persönlichen Angriffe verzichten.“ Fraglich, ob sich Markus Söder davon beeindrucken lässt.

    Mindestens ebenso fraglich ist aber, ob die Grünen das Milliarden-Paket tatsächlich ablehnen können - würden sie damit doch auch ihre eigenen Ziele verraten und womöglich die Koalitionsbildung torpedieren oder zumindest deutlich erschweren. Unter gewöhnlichen Umständen wäre das bei den eigenen Wählerinnen und Wählern wohl vermittelbar. Nicht aber, wenn es die einzige Koalition ist, die realistisch gegen die AfD möglich ist. Und Robert Habeck hatte selbst nach der Wahl noch betont, wie entscheidend die kommenden Jahre werden und wie wichtig es sei, dass die politische Mitte Kompromisse schließt. Auch, wenn sie schmerzhaft sein mögen. 

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    5 Kommentare
    Wolfgang Boeldt

    Schulden ohne Ende als festes Staatsfundament? Schwer vorstellbar, daß das jemand wirklich als Staatsraison ernsthaft in Betracht zieht.

    Richard Markl

    Ich gehe davon aus, dass die Union diese historische Schuldenmacherei sehr gerne macht, da sie wegen Geldnot nicht so jämmerlich aus der Wäsche schauen will, wie die Ampel nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in 2023. Die Frage ist, ob die Grünen mitmachen. Eigentlich müssten sie aus staatspolitischer Verantwortung ablehnen, da insbesondere die Union statt zu sparen ihre Wahlversprechen abarbeiten will, wie sich aus dem Sondierungspapier ergibt, nämlich die Agrardieselsubvention wieder einzuführen, die Mütterrente ausbauen (zusätzlich 4,45 Mrd. Euro jährlich), die Senkung des Umsatzsteuersatzes auf 7 % für Speisen in der Gastronomie (wie schon mal zu Coronazeiten), den Ausbau der Pendlerpauschale, etc.. Die Grünen werden also gebraucht, damit weiter kaum gespart wird, sondern jeder wieder alles bekommt, damit das Volk nicht noch schlechter gelaunt ist, als es ohnehin schon ist. Sie haben keine Chance abzulehnen, da mit dem neuen Bundestag gar nichts mehr geht.

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    Matthias Kitirk

    Man stelle sich mal vor die Partei, die mit A beginnt, hätte dafür das Grundgesetz geändert. Der Aufschrei und sämtliche Vergleiche zu dunklen Zeiten wäre vorprogrammiert.

    Matthias Kitirk

    Mit dieser Koalition dürften sich sowohl CDU, als auch CSU Wähler veräppelt vorkommen. Merz hat seine Wähler kalkuliert und bewusst belogen. Die SPD verkauft ihre glaubwürdigkeit, nur um weiter in der Regierung zu bleiben. Nebenbei hat man sich noch gehörig im Ton verglichen und dir Union fast schon mit Forderungen ersprosst. Ein Zeichen an die Wähler, dass man nicht so viel auf Wahlergebnisse gibt.

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    Wolfgang Boeldt

    Herr Kitirik, schauen Sie doch mal auf die Bundestagswahlen der letzten 20 Jahre - so weit kann man sich vielleicht noch erinnern. Es klaffte immer eine ziemlich große Lücke zwischen Wahlprogramm/Wahlversprechen und dem Danach. Viele können sixch sicherlich noich an 2005 erinnern: Mehrwertsteuererhöhung: 1. SPD (Müntefehring) -> so was gibt ers nicht mit uns. 2. CDU -> +2% 3. Ergebnis -> 3%. Soviel zu den Lügen - nicht nur in den USA =:)

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