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RKI Files geleakt: Vorwürfe und Verschwörungen wegen Corona-Politik

Corona-Pandemie

Geleakte Dokumente: Die angeblichen Skandale der Corona-Politik

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    Jens Spahn, Christian Drosten und Lothar Wieler bei einer Bundespressekonferenz 2020.
    Jens Spahn, Christian Drosten und Lothar Wieler bei einer Bundespressekonferenz 2020. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Karl Lauterbach gibt sich gelassen und sagt, es gebe „nichts zu verbergen“; der Europapolitiker und ehemalige Chef des Aichacher Gesundheitsamts, Friedrich Pürner, fordert hingegen Lauterbachs sofortigen Rücktritt: So unterschiedlich fallen die Reaktionen auf die am Dienstag veröffentlichten Protokolle der Koordinierungsstelle des Robert-Koch-Instituts während der Corona-Pandemie aus. Aus welcher Ecke diese Dokumente nun offenbar vollständig publiziert wurden, ist indes schon bei deren Vorstellung eindeutig: Die nach eigenen Angaben vom Verfassungsschutz beobachtete Journalistin Aya Velázquez, der Wildnispädagoge Bastian Barucker und der emeritierte Wirtschaftsprofessor und Verschwörungsideologe Stefan Homburg präsentierten bei einer Pressekonferenz die Protokolle, die insgesamt über 4000 Seiten umfassen. Und der Inhalt lässt aufhorchen – zumindest bei schneller Betrachtung.

    Besondere Aufregung löst ein Absatz im Protokoll der Sitzung vom 5. November 2021 aus. Darin heißt es: „In den Medien wird von einer Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Aus fachlicher Sicht nicht korrekt, Gesamtbevölkerung trägt bei.“ Im Anschluss beratschlagten die Teilnehmer der Sitzung, darunter der damalige Institutsleiter Lothar Wieler und sein Nachfolger Lars Schaade, über den Umgang mit dieser Behauptung. Der Minister – womit vermutlich der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gemeint sein dürfte – sage das „bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst“. Die Einschätzung dazu: „Kann eher nicht korrigiert werden.“

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    Tatsächlich nutzten Minister Spahn, aber auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Formulierung. Von einer „Lüge“ schreiben deshalb etwa der bayerische FDP-Chef Martin Hagen auf X oder die Bild. In der Lesart vieler Akteure aus dem verschwörungsideologischen Milieu belegt diese Passage eindeutig: Die Politik habe ihre Corona-Politik nicht an Fakten orientiert, sondern gemeinsam mit Medien gegen Ungeimpfte gehetzt und „die Bevölkerung drangsaliert“, wie AfD-Chefin Alice Weidel befindet. Nur: Wer sich Äußerungen aus dem November 2021 ansieht, merkt schnell, dass an dem angeblichen Verschweigen und Vertuschen wenig dran ist.

    Dass der Ausdruck „Pandemie der Ungeimpften“ durchaus problematisch ist, weil auch in der restlichen Bevölkerung viele Personen sich mit Covid infiziert hatten, kritisierte bereits damals unter anderem der Berliner Virologe Christian Drosten. Lauterbach nennt den Ausdruck eine „Zuspitzung“ Spahns: Der habe wohl gemeint, „dass sich zwar auch Geimpfte infizieren könnten, das war ja bekannt und wurde auch von ihm nicht bestritten“, zitiert der Spiegel den amtierenden Gesundheitsminister. Es seien allerdings überwiegend Ungeimpfte gewesen, die mit schweren Verläufen auf die Intensivstation mussten. Und dass Ungeimpfte tatsächlich einen entscheidenden Anteil am Verlauf der Pandemie im Herbst 2021 hatten, ist auch in den Protokollen ersichtlich: Dort wird festgehalten, dass Personen ohne ausreichenden Impfschutz bedeutend häufiger Infektionen weitertragen und schwere Krankheitsverläufe erleiden. Zudem stellt das RKI zu den Protokollen auf Anfrage unserer Redaktion klar: „Einzelne Äußerungen stellen nicht zwangsläufig eine abgestimmte Position dar und sind ohne Kenntnis der Zusammenhänge nicht immer verständlich.“

    Mit einem Muster aus Verkürzen, Zuspitzen und aus dem Kontext reißen, stürzen sich Akteure aus dem Schwurblermilieu auf mehrere Stellen in den „RKI-Files“, wie die enthüllten Protokolle genannt werden. So hieß es dort etwa am 17. August 2020, dass bei der damals noch bevorstehenden Zulassung der Impfstoffe „keine Daten zu Kindern unter 18 Jahren“ zu erwarten seien: „Erst nach Zulassung der Stoffe wird für Kinder getestet“. Der selbst ernannte Grundrechtsaktivist und Organisator von Corona-Demos, Alexander Ehrlich, kommentiert diese Passage vor seinen rund 5000 Followern auf X mit: „Kinder sind Versuchskaninchen“. Dass Corona-Impfstoffe allerdings tatsächlich erst weit später auch für Kinder freigegeben wurden, verschweigt er.

    Impfgegner, Querdenker und Rechte nutzen die geleakten Corona-Protokolle

    Ehrlich glaubt aber, noch weitere Widersprüche zu entlarven: „Vergleichsgruppe (ungeimpft) ist nach einer durchgemachten Infektion im Grunde immun“ heißt es in einem von ihm angeprangerten Protokoll vom 7. Dezember 2022. Dass auch eine ausgestandene Erkrankung einen guten Infektionsschutz bietet, war jedoch damals schon lange bekannt.

    Professor Wolfgang Schweiger von der Universität Hohenheim forscht zu Verschwörungserzählungen.
    Professor Wolfgang Schweiger von der Universität Hohenheim forscht zu Verschwörungserzählungen. Foto: Universität Hohenheim

    Dass die Skandalisierung der Protokolle auf ein großes Echo stößt, ist für den Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger leicht zu erklären. Der Hohenheimer Professor forscht unter anderem zu Verschwörungserzählungen und erklärt: „Vor allem in den sozialen Medien stört es viele kaum, wenn die Quellen intransparent sind.“ Stattdessen glaube man gerne, was ins eigene Weltbild passt. Das könne in einer Krisenlage etwa eine Nachricht sein, die einem vermittelt, dass es gar nicht so schlimm sei und stattdessen „die da oben“ einem das Leben schwer machten.

    „RKI-Files“: So erklärt ein Professor die Resonanz auf Corona-Protokolle

    Hinzu komme eine gewisse „Leichtgläubigkeit“ in Teilen des Publikums, wie Schweiger sagt – vor allem bei Personen, die das klassische Nachrichtengeschehen kaum noch verfolgen, sondern alternative Medien konsumieren. „Wer gut informiert ist, kann besser einordnen, ob Informationen plausibel sind“, erklärt Schweiger. Viele unterschätzten zudem die Komplexität wissenschaftlicher Diskurse, entdeckten Widersprüche, die es gar nicht gibt, und suchen nach einfachen Lösungen: „Aber wenn ein Akteur vorgibt, alles zu wissen, kann er gar nicht glaubwürdig sein.“

    Bereits im Frühjahr musste das RKI nach einer Klage des verschwörungsideologischen Mediums Multipolar weite Teile der Protokolle veröffentlichen, hatte dort aber Stellen geschwärzt und dies mit Persönlichkeitsschutz begründet. Ein unbekannter Whistleblower soll nun für die vollständige Veröffentlichung verantwortlich sein. Einige Punkte in den Dokumenten sind jedoch weiterhin zu klären. Darin ist unter anderem zu lesen, dass das RKI die „die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten“ rechtlich prüfen lasse – was Verschwörungsideologe Homburg als Hinweis darauf deutet, dass Gesundheitsminister Spahn sich in die Arbeit des Instituts eingemischt habe. Politischer Einfluss sei jedoch völlig normal, stellt das RKI klar: „Wäre das RKI institutionell unabhängig, würde es diese entscheidende Funktion verlieren“, heißt es in einer Stellungnahme. Die dem Institut zugesicherten Freiheiten hätten jederzeit gegolten. Was die Prüfung im konkreten Fall ergeben hatte, blieb unbeantwortet.

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    4 Kommentare
    Lothar Bock

    Ein wunderschöner Artikel, der mal wieder zeigt, wie Framing funktioniert und wie es wenig um den eigentlichen Inhalt geht. "Aus welcher Ecke diese Dokumente nun offenbar vollständig publiziert wurden..." "Verschwörungsideologe" "verschwörungsideologischen Milieu" "Schwurblermilieu" Ein Skandal sind die Protokolle aus meiner Sicht nicht, sie verdeutlichen aber nochmals, dass es doch eine große, aber intern teilweise kritisch gesehene "Verbundenheit" zwischen der Politik und dem RKI ("Die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten des RKI wird derzeit rechtlich geprüft.") bzw. der Politik und Big Pharma gab ("Booster-Impfung v. a. durch die Politik und Pfizer gefordert). Fachlich gab es im RKI durchaus andere Ansichten, als sie politisch gebraucht bzw. verkauft wurden. Maßnahmen gegenüber Kindern und Jugendlichen waren größtenteils politisch begründet. Aus Fehlern sollte man lernen, Deutschland in dieser Frage wohl nicht.

    Wolfgang Schwank

    Schon in der Überschrift wird mit dem "angeblichen" die mediale Venebelung fortgesetzt.Die ministeriale Lüge von der "Pandemie der Ungeimpften" bleibt, egal wie man es dreht, eine Lüge! Nicht verwunderlich ist, dass die üblichen Reflexe ausgelöst werden, skandalisiert wird nicht der Skandal an sich sondern die, die ihn an die Oberfläche zerren. Die stellt man dann als Schwurbler gleich wieder in die Ecke der Querdenker, Aluhüte und Rechte. Politik nach dem Motto "Schublade auf - alle Unbequemen rein - Schublade zu - Problem gelöst"

    Martin Dünzl

    ...im Interesse der Meinungsvielfalt hier ein Kommentar https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/neue-rki-files-was-ist-los-mit-den-deutschen-leitmedien-li.2238274 passend als Replik auf vorliegenden Artikel und wichtigeren deutschen Leitmedien, die erst zögerten, über die Veröffentlichung der längst überfällig ungeschwärzten RKI-Dokumente zu berichten, um sich danach affirmativ mit einer dicken Schleimspur vor Spahn, Söder und Co. zu werfen!

    Rainer Kraus

    CORONA-GATE: Falsche Entscheidungen, Unwahrheiten, Maskenskandale, Bakschisch für Lobbyisten........... Ein Fall für das Schwurgericht.

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