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Interview: Roth: "Wenn ein Intendant mehr als der Bundeskanzler verdient, besteht eine Schieflage"

Interview

Roth: "Wenn ein Intendant mehr als der Bundeskanzler verdient, besteht eine Schieflage"

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    Claudia Roth, die im schwäbischen Babenhausen aufwuchs, ist Staatsministerin für Kultur und Medien.
    Claudia Roth, die im schwäbischen Babenhausen aufwuchs, ist Staatsministerin für Kultur und Medien. Foto: Lena Lachnit, dpa (Archivbild)

    Frau Roth, haben Sie in diesem Jahr schon den Weihnachts-Kultfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ in einem der ARD-Sender gesehen?

    Claudia Roth: Den habe ich schon so oft und gern gesehen – in diesem Jahr verzichte ich mal drauf.

    Was werden Sie zu Weihnachten oder zum Jahreswechsel schauen? Etwa „Stirb langsam“ mit Bruce Willis? Ist ja ebenfalls „Kult“…

    Roth: Nein, nein. Ich schaue mir zur Weihnachtszeit gerne Märchenfilme an. Als Kind habe ich übrigens immer an Heiligabend „Wir warten aufs Christkind“ im Ersten angesehen – nachdem wir mit unserem Vater in Babenhausen beim Schlittenfahren waren. Ich werde dort an Weihnachten sein, bei meiner Schwester.

    Gefällt Ihnen denn das, was ARD und ZDF sonst so zeigen? Oder würden Sie sich mehr erwarten bei einem Rundfunkbeitrags-Aufkommen von über acht Milliarden Euro jährlich?

    Roth: Ganz oft gefällt’s mir sogar sehr gut, manchmal sind’s mir aber auch zu viele Wiederholungen. Und manchmal wünschte ich mir, dass die Kultur in ihrer Vielfalt stärker gezeigt würde. Aber es ist ja nicht entscheidend, was mir persönlich gefällt oder nicht – sondern dass sich möglichst viele Menschen in unserem Land und die ganze Breite unserer Gesellschaft durch das Programm angesprochen fühlen. Die so wichtige Funktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zeigt sich für mich derzeit insbesondere auch durch journalistisch hochwertige, gesicherte Information – und die ist enorm wichtig in diesen Krisen- und Kriegszeiten, in denen Fake News und Verschwörungserzählungen unsere Demokratie gefährden.

    Wie die mutmaßliche Reichsbürger-Terrorzelle um Heinrich XIII. Prinz Reuß, die nun nicht nur von Rechtspopulisten verharmlost wird?

    Roth: Mich macht das wirklich wütend! Wir müssen den Demokratie- und Medienverächtern, die in Gestalt der AfD auch im Bundestag und in Landtagen sitzen, entschieden entgegentreten. Was sie tun, ist brandgefährlich.

    Was halten Sie eigentlich davon, dass sich CDU-Chef Friedrich Merz erst Tage nach der Razzia gegen die Reichsbürger und Querdenker auf Twitter zu Wort meldete – und zugleich schrieb, dass auch „sogenannte ‚Klimaaktivisten’, die sich ständig auf Straßen oder Flughäfen festgeklebt haben“, schwere Straftaten begingen?

    Roth: Ich verstehe nicht, warum er so lange für seine Reaktion brauchte, und finde sie unsäglich. Tagelang hat er derart laut geschwiegen zu den Plänen der Gruppe, mal eben unsere Demokratie zu beseitigen, und zu den Waffenfunden bei der bundesweiten Razzia – und dann bringt er das in einen Zusammenhang mit den Protestformen der „Letzten Generation“, die für mehr Klimaschutz und damit eine Überlebensfrage kämpft. Damit relativiert er, was der mutmaßlichen Terrorzelle vorgeworfen wird, die offenkundig mit Waffengewalt eine Diktatur errichten wollte. Es ist – bei aller Kritik, die auch ich an den Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ und ihren Protestformen übe, die aus meiner Sicht ganz falsch sind – zudem vollkommen unverantwortlich, diese als „Klima-RAF“ zu bezeichnen, wie das CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt tat. Damit hat er nicht zuletzt die Gewalt, die Verbrechen, die Morde der „Rote Armee Fraktion“ relativiert.

    Sie sagten vorhin, Sie vertrauten auf den Journalismus von ARD und ZDF. Gleichwohl hat die Glaubwürdigkeit der Sender durch diverse Skandale in diesem Jahr massiv gelitten.

    Roth: Ja, Glaubwürdigkeit ist das höchste und wichtigste Gut von Medien. Und die öffentlich-rechtlichen Medien haben zudem eine besondere Verantwortung, was ihre Finanzen angeht, da diese über Gebühren finanziert werden. Die bekannt gewordenen Machenschaften etwa im RBB müssen deshalb restlos aufgeklärt werden.

    "Die bekannt gewordenen Machenschaften etwa im RBB müssen restlos aufgeklärt werden", fordert Claudia Roth.
    "Die bekannt gewordenen Machenschaften etwa im RBB müssen restlos aufgeklärt werden", fordert Claudia Roth. Foto: Monika Skolimowska, dpa (Archivbild)

    Der im August entlassenen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger wird Verschwendung und Vetternwirtschaft vorgeworfen.

    Roth: Das große Problem ist, dass solche Vorgänge Wasser auf die Mühlen von Demokratieverächtern und den Feinden eines unabhängigen Journalismus sind. Es muss jetzt alles dafür getan werden, dass die beschädigte Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wiederhergestellt wird – und dass dem Eindruck, in den Chefetagen der Sender herrsche eine Selbstbedienungsmentalität, mit mehr Transparenz und wirksamer Kontrolle entschieden entgegengetreten wird. Denn unsere duale Rundfunkordnung mit einem beitragsfinanzierten Rundfunk, der weder vom Staat noch von einer Marktlogik abhängt, ist eine wichtige und wertvolle Säule unserer Demokratie.

    Sie halten am Rundfunkbeitrag fest?

    Roth: Ich warne ausdrücklich davor, von diesem System abzurücken. Der Markt kann nicht alles regeln, und bei einer Finanzierung über eine Steuer wäre die Staatsferne nicht gegeben. Aus einer Finanzierung durch Gebühren erwächst aber auch eine ganz besondere Verantwortung.

    Fürchten Sie da nicht bereits die nächsten, gewiss heftigen Diskussionen über die Höhe des Rundfunkbeitrags? Bis 2024 zahlt jeder Haushalt monatlich 18,36 Euro. Schon allein angesichts der Inflation wird die Beitragshöhe danach wohl eher steigen als sinken, oder?

    Roth: Sicher wird das eine schwierige Debatte. Aber unsere Demokratie – und ARD, ZDF und Deutschlandradio zählen zu ihren Stützen – sollte uns etwas wert sein. Es wird auf Basis eines ernsthaft geführten Reformprozesses gut begründet werden müssen, wofür es die Mittel braucht. Dabei muss allerdings gezeigt werden, wie effizienter gearbeitet werden kann – das aber nicht zulasten der Journalistinnen und Journalisten.

    Sondern der Intendantinnen und Intendanten?

    Roth: Für deren Jahresgehälter von teilweise über 400.000 Euro gibt es völlig zu Recht kein Verständnis. Wenn ein Intendant mehr als der Bundeskanzler verdient, besteht eine Schieflage – erst recht im Verhältnis zu dem, was die Redakteurinnen und Redakteure sowie insbesondere auch die zahlreichen freien Journalistinnen und Journalisten bei ARD, ZDF und Deutschlandradio verdienen.

    Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein systemisches, ein strukturelles Problem?

    Roth: So weit würde ich nicht gehen, aber es besteht ein erheblicher Reformbedarf.

    An was denken Sie dabei?

    Roth: Nötig sind mehr Transparenz und eine wirksamere Kontrolle der Gehälter auf den Führungsebenen sowie bei Vertragsvergaben. Überfällig ist allerdings auch eine andere Besetzung der Kontrollgremien. In den Rundfunkräten beispielsweise sind Vertreterinnen und Vertreter wichtiger gesellschaftlicher Gruppen. Doch die Zusammensetzung hat sich seit Jahrzehnten nicht wirklich verändert. Es fehlen Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, die ein Spiegel der Gesellschaft von heute sind. Dazu gehören auch Umweltverbände, mehr junge Menschen. Warum ist „Fridays for Future“ nicht in den Rundfunkräten?

    Größere Kontrollgremien?

    Roth: In jedem Fall diverser besetzte. Wo sind denn die türkischstämmigen Menschen oder die Russlanddeutschen in den Rundfunkräten, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen?

    Der Ende des Jahres aus dem Amt als kommissarischer ARD-Vorsitzender scheidende Tom Buhrow hat Anfang November im Hamburger Übersee-Club vieles grundsätzlich infrage gestellt.

    Roth: Er hat eine wichtige Rede gehalten und viele Fragen gestellt. Leider hat er keine Antworten gegeben. Die müssen nun von seinem Nachfolger Kai Gniffke vom SWR und den anderen Intendantinnen und Intendanten kommen.

    Tom Buhrow, bis Ende des Jahres kommissarischer ARD-Vorsitzender, stellte Anfang November im Hamburger Übersee-Club vieles grundsätzlich infrage.
    Tom Buhrow, bis Ende des Jahres kommissarischer ARD-Vorsitzender, stellte Anfang November im Hamburger Übersee-Club vieles grundsätzlich infrage. Foto: Henning Kaiser, dpa (Archivbild)

    Buhrow fragte, ob es mit ARD und ZDF zwei bundesweite, lineare TV-Sender braucht?

    Roth: Darauf zu verzichten, wäre aus meiner Sicht ein großer Verlust. Da sollten erst einmal all die Möglichkeiten, wie innerhalb der ARD mehr und effizienter zusammengearbeitet werden kann oder auch jeweils unter den verschiedenen Sendern Programminhalte zur Verfügung gestellt werden können, ausgelotet werden. Dafür könnten die Sender auch stärker mit der Deutschen Welle zusammenarbeiten.

    Buhrow fragte: Sollen die regionalen Programme Vollprogramme bleiben?

    Roth: Auch da könnte man gewiss noch viel stärker zusammenarbeiten und Überschneidungen vermeiden. Allerdings ist die Abbildung der regionalen Vielfalt und Kultur eine der großen Stärken der ARD-Sender.

    Thema Kultur: Buhrow meinte, man müsse auch über die öffentlich-rechtlichen Orchester, Big Bands und Chöre reden.

    Roth: Immer soll zuerst an der Kultur gespart werden! Für mich wäre das der falsche Weg.

    Dann an den Sportrechten – gerade auch mit Blick auf die umstrittene Fußball-WM in Katar?

    Roth: Da sind wieder Millionen an den Fußball-Weltverband Fifa mit seinem höchst umstrittenen Präsidenten Gianni Infantino geflossen. Auch darüber sollte jetzt geredet werden. Es wäre ohnehin an der Zeit, der

    Wie fanden Sie die öffentlich-rechtliche Berichterstattung über das Turnier?

    Roth: Es wurde sehr gut aufgezeigt, wie es zu dieser Weltmeisterschaft kam und wie fragwürdig das war. Auch über die höchst problematische Menschenrechtslage in Katar wurde ausgiebig informiert. Auch unabhängig vom frühen Ausscheiden der deutschen Mannschaft war das insgesamt keine WM, die viel Freude bereitet hat. Da sollten wir hier in Deutschland bei der EURO 2024 zeigen, dass und wie das anders gehen kann.

    Zur Person: Claudia Roth, 1955 in Ulm geboren und im schwäbischen Babenhausen aufgewachsen, ist Staatsministerin für Kultur und Medien. Davor war die Grünen-Politikerin mit Wahlkreis Augsburg-Stadt unter anderem Bundesvorsitzende ihrer Partei und Vizepräsidentin des Bundestages.

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