Sir Rod, bevor wir über Musik sprechen eine Frage zum Fußball. Ihre geliebten Schotten spielen in der EM-Vorrunde gegen Deutschland, die Schweiz und Ungarn. Wer kommt da weiter?
ROD STEWART: Es wäre echt ein Traum, wenn es Schottland zum ersten Mal überhaupt schaffen würde, bei einer Europameisterschaft ins Achtelfinale zu kommen. Ich glaube an die Schotten. Und, sorry liebe Ungarn und liebe Schweizer, an die Deutschen.
Sie sind parallel zur EM auf Europatournee, Ihre Tour trägt den Titel „One Last Time“. Wollen Sie etwa aufhören mit dem Livespielen?
STEWART: Nein, so weit will ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Ich möchte ja auch nächstes Jahr unbedingt noch mit Jools auf „Swing Fever“-Tour gehen. Bloß diese gigantischen Konzertreisen, die gebe ich mir noch dieses Jahr, und dann ist es auch mal gut. Das Reisen wird mit zunehmendem Alter immer beschwerlicher. Die Arbeit wird ganz einfach härter, wenn du in unser Alter kommst. Und je älter wir werden, desto schwerer fällt es uns, so lange fort von unseren Kindern zu sein. Man will nicht mehr so viel verpassen.
Aber ganz aufs Livespielen zu verzichten ist auch keine Lösung?
STEWART: Nein. Ich halte mich fit, bin gesund, habe immer noch Bock. Live auf der Bühne zu stehen, lässt mir immer noch einen Freudenschauer über den Rücken laufen. Es gibt nichts Besseres, als vor Tausenden von Menschen diese Lieder zu singen. Ich empfinde es als große Ehre, in meinem Alter noch immer Musik zu machen, unterwegs zu sein und auf der Bühne zu stehen. Jeden Abend mit meinem Publikum zu verbringen, das ist der mit Abstand beste Job der Welt. Rauszugehen und vor 20.000 Menschen zu singen, das ist das geilste High, das ich je hatte. Besser als jede Droge, die ich jemals probierte.
Und sicher auch gesünder.
STEWART: Logisch (lacht). Allerdings ist der Suchtfaktor meiner Arbeit mindestens genauso hoch.
Sie haben acht Kinder. Sohn Aiden ist 13, Alastair 18. Teilen die Jungs Ihre Leidenschaften?
STEWART: Manche mehr, manche weniger (lacht). In Sachen Fußball sind sie voll dabei. Wussten Sie übrigens, dass die Altersspanne meiner Kinder von 13 bis 59 reicht? Ha! Ich hatte schon als Teenager einen munteren Penis (lacht).
Sie waren ja schon früh im Rock’n’Roll unterwegs und haben bestimmt nichts ausgelassen.
STEWART: Nein, das habe ich ganz gewiss nicht (lacht). Ist aber lange her.
Nächsten Januar werden Sie 80.
STEWART: Nicht zu glauben, oder (lacht). Ich mag es, älter zu werden. Nicht unbedingt körperlich, aber so allgemein. Man wird ein bisschen ruhiger und weiß die kleinen, schönen Dinge wie ein gutes Abendessen mit der Liebsten noch mehr zu genießen. In meinem Alter noch Musik zu machen und ein Publikum dafür zu interessieren, empfinde ich als riesiges Privileg.
Teilen die Teenager auch Ihre Leidenschaft für Modelleisenbahnen?
STEWART: Das kann ich jetzt leider nicht behaupten. Wussten Sie eigentlich, dass es in Deutschland die besten Läden überhaupt für mein Hobby gibt? In fast jeder Stadt, nicht nur in den großen, habt ihr tolle Geschäfte für Miniatureisenbahnen.
Sowohl „Sentimental Journey“ als auch „Night Train“ vom aktuellen „Swing Fever“-Album handeln von Zugfahrten. Sie haben die Platte mit dem Komponisten Jools Holland aufgenommen, sie beide haben große Modelleisenbahn. Spielte das gemeinsame Hobby eine Rolle im Studio?
STEWART: Eine gewisse Verbundenheit ist schon da, keine Frage. Aber wir hätten das Album auch zusammen gemacht, wenn wir nicht beide auf Eisenbahnen stehen würden. Lange Zeit war mir mein Hobby ein bisschen unangenehm, es hat so gar nichts mit Rock’n’Roll zu tun. Das ist mir heute längst wurscht. Wenn ich mich mit meiner Modelleisenbahn beschäftige, kann ich wunderbar abschalten und zur Ruhe kommen. Ich meine, ich könnte vielleicht zur Entspannung auch Bilder malen. Aber die Eisenbahn macht einfach viel mehr Spaß.
Wer hat denn die größere von Ihnen?
STEWART: Das bin wohl ich. Meine Anlage bildet die amerikanische Ostküste ab, die von Jools ist aber ebenfalls phantastisch. Er fährt durch Flandern und Teile von Westdeutschland.
Fahren Sie auch mit der Bahn, wenn Sie hier auf Tour sind?
STEWART: Nein, diese modernen Diesellokomotiven interessieren mich nicht so. Seit ich ein Kind war, bin ich fasziniert von Dampfloks. Deutschland besitzt aber einen echt riesigen Schatz an phantastischen Modellbahnläden, es ist wirklich großartig. Jede etwas größere Stadt hat mindestens ein Geschäft, meist sind es sogar mehr. Es ist doch sowieso die alte Wahrheit: Die besten Dinge kommen aus Deutschland.
Das sehen die meisten Deutschen nicht ganz so positiv wie Sie. Gerade die Bahn gilt als Desaster, die Züge fahren meistens zu spät oder gar nicht.
STEWART: (lacht) Wirklich? Das wusste ich nicht. Aber ich kann Sie beruhigen, in Großbritannien ist es genauso.
Sie haben die Schlaglöcher auf der Zufahrtstrasse zu Ihrem Haus in Essex ausgebessert. Müssen jetzt schon die Bürger die Arbeit der Gemeinden übernehmen?
STEWART: Nun, auf den Staat solltest du besser nicht warten. Ich legte Hand an, nachdem ich mir wegen der Schlaglöcher meinen Ferrari ruiniert hatte. Und weil eines Tages sogar ein Krankenwagen in einem dieser Löcher feststeckte und nicht mehr weiterkam, das muss man sich mal vorstellen. Also entschied ich, dass ich jetzt selbst was unternehme. Und Arnold Schwarzenegger hat in Los Angeles das Gleiche gemacht.
Worauf freuen Sie sich, abgesehen von den Shows, den Modelleisenbahnläden und der EM, sonst noch, wenn Sie nach Deutschland kommen?
STEWART: Auf alles. Ich mag Deutschland wirklich sehr gern. Die Menschen sind wundervoll, das Essen ist ausgezeichnet und das Bier bei euch ist phantastisch. Oh mein Gott, was freue ich mich. Deutschland ist ein glorreiches Land.
Sie haben sich für „Swing Fever“ dreizehn Songs vorgeknöpft, die überwiegend in den USA in den 1930er- und 40er-Jahren geschrieben wurden. Was haben uns Klassiker wie „Lullaby Of Broadway“ oder „Walking My Baby Back Home“ heute noch zu sagen?
STEWART: Eine ganze Menge, denn diese Songs sind absolut zeitlos. Sie waren schon vor uns da, und sie werden auch nach uns noch da sein. Ich wollte schon seit langem ein Swing-Album machen, denn ohne Swing gäbe es keinen Rock’n’Roll und ohne Rock’n’Roll hätte es keinen Rod Stewart gegeben, zumindest nicht als Sänger. Es zog sich nur eine Weile, bis ich den richtigen Partner fand. Ich wollte unbedingt jemanden, mit dem ich musikalisch so richtig Gas geben kann. Ich wollte kein Swing-Album im Stil von Frank Sinatra machen. Sondern eins mit Volldampf.
Wie haben Sie auf Jools‘ Musik reagiert?
STEWART: Ich fing an, zu tanzen (lacht). Im Ernst, ich ging voll ab. Schon bei den ersten Probeaufnahmen wusste ich, das wird super. Unvergleichbar mit allem, was ich bisher gemacht habe.
Swing Fever“ ist ein rasantes, fast schon ungestümes Album, es kommt ohne Balladen aus. Wollten Sie keine langsamen Songs oder haben Sie die schlicht vergessen?
STEWART: Nein, das ist eine bewusste Entscheidung. Wir wollten keine langsamen Lieder. Ich habe auf meinen fünf Alben mit Liedern des Great American Songbook bereits alte Balladen in üppiger Zahl aufgenommen. Ich, wir beide, hatten richtig Bock auf Tempo, auf schwungvolle Musik. Die Lust darauf, etwas zu erschaffen, das beim Hören so richtig Freude macht, war unser gemeinsamer Antrieb.
Die Original-Lieder entstanden während der großen Wirtschaftskrise, einige kurz vor, einige während des Zweiten Weltkriegs. Bringen schwere Zeiten besonders freudvolle Songs hervor?
STEWART: Ich denke, das ist der Fall. Die Wirklichkeit ist gerade eine einzige Horrorshow, mit Kriegen überall, mit einem riesigen Haufen von grauenvollen Nachrichten. Als Musiker aber willst du keine schlechten Nachrichten überbringen, sondern Hoffnung. Ich habe acht Kinder und drei Enkel, und ich sähe es gern, wenn diese Welt nicht vor die Hunde geht. Wir können da nicht viel ausrichten, aber was in unserer Macht steht, ist, Musik zu spielen, bei der die Menschen Zerstreuung, Vergnügen und ein bisschen Zuversicht finden.
Zur Person
Mit seiner Reibeisenstimme und mehr als 250 Millionen verkauften Platten gehört Rod Stewart zu den erfolgreichsten britischen Sängern. Eigentlich wollte er Profifußballspieler werden, bekam aber mit 14 Jahren eine Gitarre geschenkt und begann Musik zu machen. Bekannt wurde er als Sänger der Band "Faces", der große Durchbruch gelang ihm als Solo-Künstler. Sex, Drogen, Rock 'n' Roll, Stewart führte ein Rockstar-Leben, wie es im Buche steht, bis er 1999 an Schilddrüsenkrebs erkrankte. Er ließ sich operieren und musste das Singen neu lernen. Der 79-Jährige hat acht Kinder von fünf Frauen, 2016 wurde er von Queen Elisabeth II. geadelt und darf sich seitdem "Sir" nennen. Seine aktuelle Platte „Swing Fever“ nahm er mit dem britischen Pianisten und TV-Moderator Jools Holland auf. Damit ist Stewart jetzt auf Tour und steht am 28. Juni in der Münchner Olympiahalle auf der Bühne.