Herr Konrad, Millionen Schüler und Studierende plagt die Sorge, wie sie sich den Lernstoff merken können. Was würden Sie denen raten?
Boris Nikolai Konrad: Sie sollten sich mit Lern- und Gedächtnistechniken beschäftigen. Denn es gibt viele Methoden, die dem Gehirn helfen, die Inhalte besser und langfristiger aufzunehmen.
Nennen Sie ein Beispiel.
Konrad: Grundsätzlich geht es darum, dass man Inhalte in Geschichten und Bilder verwandelt. Denn unser episodisches Gedächtnis funktioniert viel besser als rein sprachlich präsentierte Inhalte. Da gibt es beispielsweise die Übung des Gedächtnispalasts. Die spielt bei mir eine große Rolle, von der ich selbst im Studium viel profitiert habe. Dabei sucht man sich einen Raum oder Räume einer Wohnung aus, die man gut kennt und legt Wegpunkte fest. Es ist wichtig, dass man das vorbereitet. Der Weg gibt die Reihenfolge vor. Diese Punkte dienen als Hintergrund für die Merkgeschichten der Inhalte.
Ist das schwer zu lernen? Konrad: Nein, ich kenne niemanden, bei dem das gar nicht funktioniert hätte. Es ist immer so, dass bei meinen Trainings die schlechteste Person nach sechs Wochen und mit etwa 20 Minuten Training am Tag besser ist, als die beste Person vorher. Wenn die jedoch auch trainiert hat, ist die wieder vorne.
Es ist der Wunschtraum vieler Schüler: Lernen im Schlaf. Ist so etwas möglich?
Konrad (lacht): Schlaf hat ganz viel mit Gedächtnis zu tun, aber im Schlaf kann man noch nicht lernen. Ein Tipp ist, sich vor dem Einschlafen Inhalte noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Das muss auch nicht mit einem Buch sein. Man kann sich, ganz simpel, beim Zähneputzen abends noch mal fragen: Welche Vorlesungen oder Schulstunden hatte ich heute? Dann aktiviere ich Inhalte, die im Schlaf noch mal abgerufen werden und ins Langzeitgedächtnis übergehen.
Die meisten Menschen plagen Probleme wie: Schlüssel verlegt, Termin verschwitzt. Haben Sie für solche Zeitgenossen auch Tipps?
Konrad: Erst einmal ist wichtig zu sagen, dass vieles davon kein Gedächtnis-, sondern ein Aufmerksamkeitsproblem ist. Wenn man die Brille verlegt und findet sie nicht mehr, hat das damit zu tun, dass man das Ablegen gar nicht bewusst mitbekommen hat. Wir haben ein Arbeitsgedächtnis, in das nur wenige Informationen reinpassen. Wenn eine Info da nicht drin ist, kann sie auch nicht wiedergefunden werden. Es reicht aber, sich vor dem Weglegen von Schlüssel, Handy oder Brille im Kopf laut oder leise vorzusagen, wo man die Gegenstände hinlegt. Denn dann ist der Fokus einmal scharf drauf und das Gehirn kann das verarbeiten. Dasselbe gilt beim Merken von Namen.
Dann wären da noch gefühlt drei Millionen Passwörter, die man inzwischen braucht.
Konrad: Da ist es sinnvoll, die eigene und die künstliche Intelligenz zu verbinden. Was nicht ganz so relevant ist, dazu würde ich ein gutes, sicheres Passwort-Tool verwenden. Bei den wichtigen Passwörtern, die man nicht speichern will, kann man mit Gedächtnistechnik arbeiten, also eine Geschichte draus machen. Ein gutes Passwort ist nicht eines, das automatisch kryptische Zeichen verbindet. Länge macht da viel aus. Wenn ich einen Satz draus mache, kann ich mir das gut einprägen.
Es gibt ja drei verschiedene Gedächtnisbereiche: das sensorische Gedächtnis, es hält Informationen extrem kurz fest, das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Wie schafft man es am leichtesten, dass die Informationen auch in den letzten Bereich sickern?
Konrad: Alles, was ich selbst bewusst wahrnehme, bleibt im Kurzzeitgedächtnis und hat dann die Möglichkeit, weiterzugehen. Was ich selbst nochmals abrufe, beispielsweise einen neuen Namen im Gespräch mehrmals zu nennen, geht auch ins Langzeitgedächtnis.
Die Wahrscheinlichkeit einer Demenz sinkt bei regelmäßigem Gedankensport, sagen Sie. Ist das wissenschaftlich belegt?
Konrad: Wissenschaftlich belegt ist, dass sich eine stete Herausforderung des Gedächtnisses günstig auswirkt. Das muss nicht Gedächtnissport sein, man kann auch ein Instrument lernen, eine neue Sprache oder Sportart, die Überraschungen mit sich bringt. All das sorgt dafür, dass die Verbindungen im Gehirn gestärkt werden.
Viele ältere Menschen machen gerne Kreuzworträtsel, um sich geistig fit zu halten. Ist das zu empfehlen?
Konrad: Je nachdem. Ich habe es bei meiner Oma gesehen. Die wurde über 90 und konnte lange das Kreuzworträtsel ihrer Fernsehzeitung – sozusagen ohne nachzudenken – ausfüllen. Das bringt dann aber nichts mehr für das Gedächtnis. Wenn die Rätsel einen aber herausfordern, weil es mal ein englisches Rätsel und dann wieder ein Sudoku ist, dann ist es ähnlich wie Gedankensport.
Wann haben Sie selbst bemerkt, dass Sie ein Faible fürs Merken und die Neurowissenschaften haben?
Konrad: Ein Jahr vor dem Abitur habe ich in einer Fernsehsendung von Gedächtnistraining gehört. Ich dachte, vielleicht bringt mir das etwas fürs Abi. Ich war nie ein schlechter Schüler, aber auch nicht gigantisch motiviert, und das Versprechen, schneller lernen zu können, klang attraktiv. Fürs Abi hat es schon ein wenig geholfen. Bis zur Uni habe ich dann den Gedächtnissport für mich entdeckt und daran sehr viel Spaß entwickelt. Ich habe zunächst Informatik und Physik studiert und durfte danach in der Psychologie zu meinem Wunschthema „Die neuronalen Grundlagen außergewöhnlicher Gedächtnisleistungen“ promovieren - was aber auch noch einmal eine andere Fachrichtung war. Da haben mir diese Techniken echt geholfen!
Gibt es auch Dinge, die sich selbst ein Gedächtnis-Weltmeister nur schwer merken kann?
Konrad (lacht): Das kommt schon vor. Wenn mir meine Frau die Einkaufsliste sagt, dann merke ich mir das zwar auch alles. Aber ich komme trotzdem unverrichteter Dinge wieder heim, weil ich das Einkaufen an sich vergessen habe.
Zur Person Boris Nikolai Konrad, 40, ist Neurowissenschaftler, Physiker und mehrfacher Weltmeister im Gedächtnissport. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
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