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Bayerns Kampf gegen Verkehrsschilder-Überfluss

Verkehr

Verloren im Schilderwald: Haben wir zu viele Verkehrsschilder?

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    In Deutschland gibt es 400 verschiedene Verkehrsschilder. Viele sagen: Das ist viel zu viel.
    In Deutschland gibt es 400 verschiedene Verkehrsschilder. Viele sagen: Das ist viel zu viel. Foto: Uli Deck, dpa

    Sie sind rund, dreieckig, viereckig oder achteckig. Es gibt sie in den Farben rot, blau, weiß und grün. Mit Pfeilen drauf oder Zahlen und manchmal auch mit seltsamen Zeichen, die keiner recht versteht. Die Rede ist von Verkehrsschildern. Sie sollen den Verkehr sicherer machen – weil aber ständig neue dazukommen, passiert das Gegenteil. 400 verschiedene gibt es laut Verkehrsclub ADAC inzwischen. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) der Nachkriegszeit enthielt nur 45. Dazu zählten auch Varianten, die nur an Sonn- und Feiertagen gültig waren.

    In Deutschland stehen 25 Millionen Verkehrsschilder

    Schätzungsweise 25 Millionen Verkehrsschilder stehen über die Republik verteilt an den Straßen. Wie viele es in Bayern sind, weiß man im Münchner Verkehrsministerium allerdings nicht. Ein Sprecher sagt auf Anfrage unserer Redaktion: „Wir haben aktuell keinen Überblick, wie viele Schilder es gibt. Das Aufstellen und Abbauen der Schilder ist Sache der kommunalen Behörden.“

    Seit Jahrzehnten kritisieren Autofahrer und Verkehrsexperten das unaufhörliche Wachsen des deutschen „Schilderwalds“. Entweder, weil viele Schilder nicht notwendig erscheinen, bevormundend oder gar irreführend wirken, oder auch, weil sie die Landschaft verschandeln würden. Umfragen haben dies ebenfalls ziemlich gleichlautend ergeben.

    Weniger und bessere Verkehrszeichen – unter diesem Motto hat vor zehn Jahren der damals auch für Verkehr zuständige Innenminister Joachim Herrmann die bayernweite Aktion „Licht in den Schilderwald“ gestartet. Sie sollte dabei mithelfen, den bayerischen Schilderwald zu durchforsten.

    Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern, hat dem Schilderwald schon vor zehn Jahren den Kampf angesagt.
    Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern, hat dem Schilderwald schon vor zehn Jahren den Kampf angesagt. Foto: Sven Hoppe, dpa (Archivbild)

    Die Aufgabe war klar: Überflüssige Verkehrsschilder sollten weg, schlecht lesbare ersetzt werden. Denn der Grundsatz, dass Verkehrszeichen nur dort aufgestellt werden sollten, wo sie unbedingt notwendig sind, ist auch in Bayern zu oft missachtet worden. Was aus der Aktion, die nach einem Jahr beendet wurde, genau geworden ist, und wie viele Schilder entfernt worden sind, das ist nicht zu erfahren. In jedem Fall habe es in den vergangenen Jahren keine vergleichbare Aktion gegeben, heißt es.

    Eine Studie zeigt: Viele Verkehrsschilder werden gar nicht richtig wahrgenommen

    Wie problematisch der Schilderwald an den Straßen ist, wurde vor zwei Jahren an der Hochschule Karlsruhe unter die Lupe genommen. Mit sogenanntem Eyetracking wurde das Blickverhalten von E-Roller- und Radfahrenden analysiert. Dabei untersuchten die Forschenden mithilfe spezieller Brillen, ob Objekte bewusst wahrgenommen, also mindestens 150 Millisekunden lang angeschaut wurden.

    Heraus kam: Selbst so langsam fahrende Verkehrsteilnehmer wie Rad- oder Scooter-Fahrer nahmen nur rund 28 Prozent aller Verkehrsschilder bewusst wahr. Also 72 Prozent nicht, wie Verkehrsökologie-Professor Jochen Eckart betonte. Daraus kann man folgern: Bei Autofahrern, die schneller unterwegs sind, ist die Wahrnehmungsquote wohl noch geringer.

    Dass es mancherorts auch ohne Verkehrsschilder geht, beweist das niedersächsische Bohmte bei Osnabrück seit nun schon 17 Jahren. Dort hat man als erste Stadt in Deutschland den Schilderwald abgeholzt: Seit 2007 gibt es keine Verkehrsschilder, Ampeln oder Bordsteine mehr. Das Prinzip: Wenn niemand so richtig weiß, wer Vorfahrt hat, fahren alle vorsichtiger. Shared Space, geteilter Raum, nennt sich das Konzept. Bürgermeister Markus Kleinkauertz (CDU) sagt dazu auf Nachfrage: „Das Konzept hat sich absolut bewährt.“ Zuvor habe es jährlich etwa 40 Unfälle gegeben, inzwischen seien es nur mehr ein bis zwei.

    Auch Verkehrsvereine sind überzeugt: „Unter bestimmten Bedingungen kann Shared Space zu einer deutlichen Aufwertung von Geschäftsstraßen und belebten Plätzen beitragen, ohne dass die Sicherheit darunter leidet“, kommentierte damals beispielsweise der ADAC. Das Konzept stelle aber kein Allheilmittel gegen schlecht gestaltete Verkehrsräume dar. Straßen, die ohnehin mit Verkehrsüberlastung und Sicherheitsproblemen zu kämpfen haben, kämen dafür nicht infrage. Sei ausreichend Parkraum vorhanden, könne Shared Space jedoch positive Effekte erzielen.

    Der Erfinder des Konzepts, ein niederländischer Verkehrsplaner namens Hans Monderman, behauptet: „Wenn man die Leute wie Idioten behandelt, werden sie sich auch so benehmen.“ Ziel müsse es sein, innerörtliche Straßenverkehre nach dem Vorbild der in Holland beliebten Eislaufplätze zu organisieren – nämlich gar nicht: „Hier fahren auch alle, wie sie wollen, sie achten nur aufeinander.“

    Ähnlich argumentiert man beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordere ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Man müsse sich so verhalten, dass man niemand anderen gefährde. Alle anderen Regeln seien der komplexe Versuch, diese Grundregeln auszubuchstabieren.

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    2 Kommentare
    Franz Xanter

    Wen verwundert dies? Hat man nicht schon vor Jahren verlautbart, dass man die Bürokratie reduzieren wolle? Was ist daraus geworden? Nichts! Im Gegenteil, mehr und mehr Bürokratie hält Einzug! Betrachtet man z.B. die Italiener, so stellt man fest, dass mit Masse Verkehrszeichen einfach ignoriert werden, aber seltsamerweise passieren wenig bzw. weniger Unfälle als in Deutschland. Warum? Weil man gegenseitig sich beobachtet! Und in Deutschland? Nun denn, warten wir auf die nächsten Schilder.

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    Martin Goller

    Italien: über 50 Verkehrstote/100'000 EW Deutschland: 34 Warum lügen Sie?

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