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Interview: "Menschen vegetieren an Fußfesseln": Claus Kleber über Menschenrechte

Interview

"Menschen vegetieren an Fußfesseln": Claus Kleber über Menschenrechte

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    Eine Szene aus "Unantastbar": Claus Kleber und sein Übersetzer Issmail (links) trafen syrische Flüchtlinge im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos.
    Eine Szene aus "Unantastbar": Claus Kleber und sein Übersetzer Issmail (links) trafen syrische Flüchtlinge im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Foto: Nikolaus Winter, ZDF, dpa

    Herr Kleber, Sie haben das Moderationspult des „heute-journals“ verlassen, um in einem Dokumentarfilm die aktuelle Lage der Menschenrechte zu beleuchten. Warum ist das Thema gerade jetzt so wichtig?

    Claus Kleber: Am Anfang unseres Films stand ein Jubiläum: der 70. Jahrestag der Menschenrechtserklärung am 10. Dezember. Ich kann gar nicht genug staunen, dass 1948, als Europa noch in Trümmern lag, der Kraftakt unternommen wurde, eine Art Grundgesetz für die Menschheit zu schreiben. Eines, das freiheitliche Gesellschaften überall auf der Welt ermöglichen und zudem verhindern soll, dass es so etwas wie die Angriffskriege der Nazis oder den Holocaust noch einmal gibt. Es wurde über 70 Jahre eine Erfolgsgeschichte – mit Rückschlägen. Aber im Prinzip war diese Idee immer auf dem Vormarsch. Jetzt aber ist sie offenbar in die Defensive geraten. Wird niedergebrüllt von den Dutertes und Erdogans und Trumps der Welt. Jeder auf seine Weise. Dem stellt sich unser Film entgegen.

    Warum ist es um die Menschenrechte so schlecht bestellt?

    Kleber: Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht die Zahl freiheitlicher Demokratien auf dem Planeten zurück, und selbst in Ländern, die sich immer noch Demokratien nennen, wie zum Beispiel Ungarn und Polen, geraten fundamentale Rechte wie die Gleichbehandlung der Religionen unter Druck. Es sind ja immer als Erstes die Rechte von Minderheiten, die beschnitten werden. Und es ist ein ganz großer Verlust für die gemeinsame Sache, dass Amerika im Kampf für die Menschenrechte zurzeit nicht an Bord ist.

    Wie macht man aus einem abstrakten Thema wie den Menschenrechten einen spannenden Film?

    Kleber: Es war wirklich eine große Herausforderung, aus diesen hehren Gedanken einen spannenden Fernsehabend zu machen. Zumal wir ja keine Geschichtsstunde machen wollten und bewusst auf die historischen Bilder verzichten, auf denen Eleanor Roosevelt (US-Botschafterin, First Lady und Mitverfasserin der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Anm. d. Red.) das berühmte Dokument in der Hand hält. Uns ist es wichtig, die Lage heute zu zeigen.

    Der Film zeigt Leute aus aller Welt, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Wer beeindruckte Sie am meisten?

    Kleber: Die Kollegen der regierungskritischen türkischen Tageszeitung Cumhürriyet haben mich sehr beeindruckt. In Deutschland muss kein Journalist fürchten, ins Gefängnis zu kommen, wenn er die Kanzlerin verbal angreift. Da frage ich mich: Wie viele von uns, die wir in Komfort und Bequemlichkeit unseren Beruf ausüben, würden ihrem Job weiter unabhängig nachgehen, wenn ihnen diese Gefahren drohen würden? Und dann haben wir uns alle in Anne verliebt, eine robuste, herzlich-fröhliche afrikanische Krankenschwester, die das Menschenrecht auf medizinische Versorgung und Aufklärung zu Frauen und Männern in den entlegensten Ecken Kenias bringt.

    Sehen Sie sich als Journalist besonders in der Verantwortung, für eine gerechte Welt einzutreten?

    Kleber: Auf jeden Fall. Am Anfang des Films heißt es ja auch explizit, dass dieser Beitrag gar nicht neutral sein will. Und gerade im China-Kapitel des Films, in dem ich mit chinesischen Gesprächspartnern über die Menschenrechte diskutiere, trete ich nicht als Unbeteiligter an, sondern stehe für die westliche Idee individueller Grundrechte.

    Wo liegt der Unterschied zwischen der westlichen und der chinesischen Auffassung der Menschenrechte?

    Kleber: Der Einzelne muss in China seine Rechte der Harmonie des Ganzen unterordnen. Der chinesische Politologe Zhang Weiwei sagt im Interview: „Euer System der individuellen Rechte führt dazu, dass ein Clown wie Donald Trump an die Macht kommt, dass Menschen auf die Straße gehen und plündern.“ Das chinesische System verfolge die wahren Interessen der Menschen, zum Beispiel Sicherheit oder die Bekämpfung der Armut. Man kann in Schanghai zu jeder Tageszeit sicher nach Hause kommen, es gibt dort praktisch keine Gewaltverbrechen –um den Preis der totalen Überwachung. Das sind in den Augen der Staatspartei wichtigere Menschenrechte als, sagen wir, durch die Straßen zu laufen und „Nieder mit der Regierung!“ zu brüllen.

    Und wie bewerten Sie das?

    Kleber: Ich finde, wir dürfen unsere Freiheit nicht gegen vermeintliche Sicherheit eintauschen. Ein System, das eine offene Diskussion nicht zulässt, wird immer in einem totalitären System enden.

    Konnten Sie in allen Ländern ungehindert arbeiten?

    Kleber: Wir konnten überall frei arbeiten – zumindest dort, wo wir waren. Wir haben aber in der Türkei gar nicht erst den Versuch unternommen, frei in der Stadt zu drehen, sondern haben nur innerhalb des Gebäudes von Cumhürriyet gedreht. Wir wollten eigentlich auch in Indonesien drehen und dort über psychisch kranke Menschen berichten, die dort wie Kettenhunde behandelt werden und an Fußfesseln vegetieren. Aber erst haben wir das Visum nicht gekriegt, und als man es uns doch erteilt hat, hieß es: „Zu Ihrer Unterstützung wird in jeder Minute, die Sie drehen, ein Mitarbeiter des Innenministeriums mit dabei sein.“ Da haben wir lieber verzichtet.

    Die Doku „Unantastbar – Der Kampf für Menschenrechte“ läuft am Dienstag um 20.15 Uhr im ZDF. Claus Kleber, 63, moderiert seit 2003 das ZDF-„heute-journal“. Vorher war der gebürtige Reutlinger USA-Korrespondent der ARD. Ursprünglich hatte Kleber in Jura promoviert. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Wiesbaden.

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