Es ist ein gewagtes Projekt. Ein israelischer Filmemacher will das Gedenken an den Holocaust aufrecht erhalten und das schwierige Thema vor allem der Jugend näher bringen. Dafür wählt er ein ungewöhnliches Format: Instagram-Stories.
Zusammen mit seiner Tochter Maya hat der israelische Hightech-Milliardär Mati Kochavi das Instagram-Prolf "eva.stories" ins Leben gerufen. Auf dem Account erzählt die 13-jährige Eva, gespielt von der britischen Schauspielerin Mia Quiney, von ihrem Alltag in Ungarn 1944. Die Videos, aufgenommen im für die Stories typischen Hochformat, zeigen Eva an ihrem 13. Geburtstag, auf dem Schulhof, mit ihren Freundinnen. So erzählt das junge Mädchen von ihrem Leben, wie es Millionen andere jeden Tag auf Instagram tun - mit kurzen Videos im Selfie-Modus, geschmückt mit Emojis, Hashtags und Filtern.
Die Leichtigkeit der kurzen Videos wird immer wieder unterbrochen von düsteren Szenen. Ein Soldat verhaftet Evas Cousine vor ihren Augen, ein Passant sagt "dirty Jew" - "dreckiger Jude" - als er an Eva und ihrer Freundin vor der Apotheke ihres Großvaters vorbeiläuft. In späteren Videos trägt Eva einen gelben Judenstern auf ihrer Kleidung, an den Fassaden wehen riesige Flaggen mit Hakenkreuzen. Eva zeigt ihren Followern, wie sich ihr Leben als Jüdin im Nazi-besetzten Ungarn dramatisch verändert. Viele ihrer Videos markiert sie mit dem Hashtag #lifeduringwar. Ihre letzte Story zeigt, wie sie zusammen mit anderen Juden in einen Zugwaggon gezwängt in das Konzentrationslager Auschwitz abtransportiert wird.
Holocaust-Gedenken mit Instagram-Stories?
Die Geschichte von Eva beruht auf einer wahren Begebenheit. Die Videos basieren auf dem Tagebuch der ungarischen Jüdin Eva Heyman, die als 13-Jährige von den Nazis nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Wie auch das Tagebuch, starten Evas Stories an ihrem 13. Geburtstag im Februar 1944 und enden nur wenige Monate später mit ihrer Deportation ins Konzentrationslager. Laut New York Times wählten Kochavi und seine Tochter bewusst Evas Tagebuch aus. Ihre Geschichte habe etwas sehr modernes und nachvollziehbares, so der Filmemacher. Inmitten des Terrors schrieb Eva über ihren Schwarm, ihre Familie und ihren Traum, eines Tages Reporterin zu werden.
Mit dem Projekt, das er anlässlich des jährlichen Holocaust-Gedenktags in Israel veröffentlichte, wolle Kochavi besonders jüngere Generationen ansprechen, deren Interesse am Holocaust immer mehr nachlasse, berichtet die Times of Israel. Und die befänden sich zu großen Teilen nun einmal auf sozialen Netzwerken wie Instagram. Dort hatte der Account nur wenige Tage nachdem die erste Story gepostet wurde schon mehr als eine Million Follower. Der Trailer für das Projekt, gepostet am 30. April, wurde fast drei Millionen Mal aufgerufen, mehr als 15.000 Mal kommentiert.
Kontroverse um "Evas.Stories": Ist das Format angemessen?
Doch ist diese Art des Gedenkens angemessen? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Viele halten das Projekt von Kochavi für geschmacklos. Die Jüdische Allgemeine berichtet von Israelis, die die Oberflächlichkeit von "eva.stories" kritisieren. Manche Dinge müssten authentisch und schockierend bleiben und nicht unter dem Deckmantel der Zugänglichkeit vereinfacht werden. Ähnlich sah es der israelische Musiker Yuval Mendelson, der in einer Kolumne in der israelischen Zeitung Haaretz hart über das Projekt urteilte. Es sei ein Beispiel aggressiv vermarkteten schlechten Geschmacks. Von dort aus sei es nicht weit zu Selfies vor den Toren von Auschwitz-Birkenau.
Ein Kommentar in der jüdisch-amerikanischen Zeitung The Algemeiner wirft Kochavi und seiner Tochter vor, die Geschichte für das junge Publikum zu banalisieren. Gleichzeitig räumt der Autor ein, dass es in Zeiten von weltweit ansteigendem Antisemitismus und dem Sterben von immer mehr Zeitzeugen wichtig sei, die Menschen auf den Holocaust und Judenhass aufmerksam zu machen - notfalls über soziale Medien.
Dieser Meinung war auch Yad Vashem, die offizielle israelische Holocaust-Gedenkstätte. Zwar sei das Zentrum an dem Projekt nicht beteiligt gewesen, dennoch sei es sowohl angemessen als auch effektiv dem Holocaust in sozialen Medien zu gedenken. Zwar sei ihre Herangehensweise eine ganz andere als die von "eva.stories", heißt es in der New York Times, dennoch würden auch sie soziale Medien wie Instagram nutzen.