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Coronavirus: Immer mehr Tote: Das Coronavirus verunsichert die Chinesen

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Immer mehr Tote: Das Coronavirus verunsichert die Chinesen

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    Wer durch Asien reist, sieht immer wieder Menschen, die einen Mundschutz tragen. Nun, da eine rätselhafte Lungenkrankheit grassiert, geht zumindest in Chinas Hauptstadt Peking gefühlt sogar jeder zweite Passant nicht mehr ohne einen solchen Schutz auf die Straße.
    Wer durch Asien reist, sieht immer wieder Menschen, die einen Mundschutz tragen. Nun, da eine rätselhafte Lungenkrankheit grassiert, geht zumindest in Chinas Hauptstadt Peking gefühlt sogar jeder zweite Passant nicht mehr ohne einen solchen Schutz auf die Straße. Foto: Mark Schiefelbein/AP, dpa

    Die Sicherheitskräfte an den U-Bahn-Eingängen tragen sie, die Touristen mit ihren Rollkoffern ebenfalls, und die Kleinkinder an den Händen ihrer Mütter sowieso: Der Mundschutz ist im Stadtbild von Peking allgegenwärtig. Gefühlt jeder zweite Passant auf der Straße hat eine solche Maske vor dem Gesicht – in klinischem Weiß, mattem Schwarz, manche auch in modisch-schrillen Signalfarben. Der sichtbare Beweis für das zunehmende Unwohlsein innerhalb der chinesischen Bevölkerung.

    „Unbequem sind die Masken, es zwickt und drückt an den Ohren“, sagt eine Endzwanzigerin in Daunenjacke und mit Schalenkoffer in der Hand. Sie fährt im halbleeren Express-Zug in Richtung Flughafen. Wie geschätzt 400 Millionen ihrer Landsleute macht sie sich zum Familienbesuch auf. Das ist so üblich vor dem Neujahrsfest. Mit einem mulmigen Gefühl werde sie ins Flugzeug steigen, sagt die Angestellte einer Baufirma. Doch ihre Reisepläne aufgeben will sie dann doch nicht.

    Schon 17 Menschen sind an dem tödlichen Coronavirus gestorben

    Die tiefrote Abendsonne blendet durch die Fenster des Zuges, unzählige Apartment-Anlagen ziehen wie Dominosteine vorbei. Die meisten Passagiere haben dafür keinen Sinn: Sie blicken stumm auf ihre Smartphones. Doch auch auf dem Display gibt es kein Entkommen von diesem Virus. Ob Nachrichten-Apps oder soziale Medien – sie alle werden in diesen Tagen von diesem einen Thema dominiert.

    Das Coronavirus, das eine neue, rätselhafte Lungenkrankheit auslöst und mittlerweile schon mindestens 17 Menschen das Leben gekostet hat, ruft schließlich dunkle Erinnerungen in der Bevölkerung wach. „Das Sars-Virus ist auch weit entfernt in Südchina ausgebrochen. Doch am Ende ging es ganz schnell, bis es in Peking gefährlich wurde“, sagt die Endzwanzigerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Ein zu heikles Thema, sagt sie. Und fügt an, ehe sie am Flughafen-Terminal aussteigt: „Die ganze Stadt war damals zugesperrt, es gab kein rein und kein raus.“

    Ansteckung durch Coronavirus: Nun gibt es auch in den USA einen ersten Fall

    Mit damals sind die Jahre 2002 und 2003 gemeint, als die Sars-Epidemie sowohl Festland-China als auch Hongkong im Griff hatte. Genau wie beim jetzigen Erreger handelte es sich auch beim damaligen Sars um ein Coronavirus. Dass sich eine vergleichbare Tragödie mit 800 Toten wiederholen könnte, scheint bislang eher unwahrscheinlich. Nach Angaben von Gesundheitsexperten ist das Virus, das womöglich von einem Fischmarkt in der zentralchinesischen 11-Millionen-Metropole Wuhan ausging, sowohl weniger ansteckend als auch weniger tödlich als der damalige Erreger. Das legen zumindest die bisherigen Infektionsraten nahe.

    Chinesische Reisende gehen durch einen Körpertemperatur-Scanner am japanischen Flughafen Narita - als Schutzmaßnahme gegen die Verbreitung des in China ausgebrochenen Coronavirus.
    Chinesische Reisende gehen durch einen Körpertemperatur-Scanner am japanischen Flughafen Narita - als Schutzmaßnahme gegen die Verbreitung des in China ausgebrochenen Coronavirus. Foto: Kyodo News, dpa

    Aber was heißt das schon, wenn die Verunsicherung erst mal da ist? Wenn man sieht, wie sich die Zahlen von Infizierten und Todesopfern binnen eines Tages fast verdoppelt haben. Wenn man hört, dass nicht nur andere asiatische Länder wie Japan, Südkorea oder Thailand betroffen sind, sondern mit den USA nun auch ein anderer Kontinent. Der betroffene Mann ist gerade erst von einer Wuhan-Reise zurückgekehrt.

    Eine Lehre der Sars-Pandemie war, dass die Behörden mit mehr Transparenz vorgehen sollten. Damals versuchten sie viel zu lange, im Sinne der öffentlichen Stabilität das wahre Ausmaß zu verschleiern. Nun, in den ersten Wochen nach der Entdeckung des Virus, schien sich die Geschichte zu wiederholen.

    Die Behörden legten derart niedrige Zahlen über die bestätigten Infektionen vor, dass viele medizinische Experten – etwa von der Universität Hongkong und dem Imperial College London – sie als ziemlich unwahrscheinlich einstuften. Doch mittlerweile lässt sich nichts mehr verschleiern. Ein Umdenken scheint eingesetzt zu haben.

    Am Dienstag forderte die Kommission für Politik und Recht der Kommunistischen Partei im sozialen Netzwerk Weibo ihre Kader in den Provinzen zu möglichst viel Transparenz auf. Wer Infektionen vertusche oder die Interessen des Volkes über das Ansehen von

    Für chinesische Verhältnisse ist dies ein beachtenswertes Zeugnis öffentlicher Selbstkritik. Ebenso beachtenswert ist allerdings auch, dass ebenjener Weibo-Eintrag nur wenige Stunden später wieder aus dem sozialen Netzwerk gelöscht wurde.

    Coronavirus: Die chinesische Regierung nimmt die Bedrohung sehr ernst

    Und doch besteht kein Zweifel, dass die Regierung die Bedrohung durch das Virus – zumindest seit dem Wochenende – sehr ernst nimmt. Präsident Xi Jinping hat höchstpersönlich in einer Rede das Thema zur Chefsache erklärt und gefordert, „die Gesundheit der Bevölkerung an die vorderste Stelle zu setzen“. Auch in anderer Hinsicht springt das Land über seinen Schatten – beispielsweise, indem es die Einreise einer medizinischen Delegation nach Wuhan genehmigt hat.

    Gleichzeitig allerdings hat die Kommunistische Partei in Peking in den vergangenen Jahren enormen Druck auf den Inselstaat Taiwan ausgeübt; dieser solle nicht mehr an Versammlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilnehmen, forderte sie. Die Kampagne der Chinesen begann ausgerechnet mit dem Amtsantritt von Taiwans Präsidentin Tsai Ing Wen, die einen Peking-kritischen Kurs fährt und gegen Chinas Machtanspruch auf

    Lungenkrankheit in China: Droht ein zweites Sars?

    Im Zuge der neuen Lungenkrankheit in China fällt häufig der Verweis auf Sars vor mehr als 15 Jahren. Damals hatte die Epidemie massive Folgen. Könnte sich der aktuelle Coronavirus als ähnlich dramatisch herausstellen wie der Sars-Virus in den Jahren 2002/2003?

    Erreger Zwar gehört der neue Erreger derselben Virusart wie Sars an, er ist nach Untersuchungen des Berliner Virusforschers Christian Drosten aber eine andere Variante. Der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „neues Coronavirus“ – 2019-nCoV – genannte Erreger scheint sowohl weniger ansteckend als auch weniger gefährlich zu sein.

    Infizierte Bei der Lungenkrankheit Sars wurden 2002/2003 insgesamt 8000 Infektionen erfasst, von denen 800 tödlich verliefen. Es starb also etwa einer von zehn nachweislich Erkrankten. Bei dem neuen Virus wurden seit Dezember 2019 knapp 6000 Infektionen und mehr als 130 Todesfälle nachgewiesen. Es gibt aber möglicherweise eine hohe Dunkelziffer.

    Folge Möglicherweise ist 2019-nCoV also, abgesehen von einzelnen Todesfällen bei schon zuvor schwer erkrankten Menschen, eine "harmlosere" Erkrankung. Das wäre gut, hätte aber auch einen Nachteil: Eine weltweit um sich greifende Infektionswelle ließe sich nicht so leicht eindämmen, Ansteckungen fielen kaum auf.

    Ausbruch 2002 Die Sars-Epidemie vor mehr als 15 Jahren war die erste weltumspannende Seuche dieses Jahrhunderts. Im Februar 2003 brachte ein infizierter Arzt den Erreger aus der südchinesischen Provinz Guangdong, wo die Krankheit schon seit Monaten kursiert hatte, in ein Hongkonger Hotel. Von dort breitete sich das Virus wohl über den gesamten Erdball aus. Nach Angaben des Europäischen Krankheitszentrums ECDC waren damals 33 Länder betroffen. Im März 2003 stufte die WHO das Schwere Akute Atemnotsyndrom (Sars) als weltweite Bedrohung ein.

    Wirtschaft Im Sommer 2003 war der Ausbruch dann beendet. Asiens Wirtschaft aber hatte er zum Zittern gebracht. Die Aktienmärkte, ob in China, Singapur, Hongkong oder Taiwan, verloren an Boden. Besonders betroffen: Hongkong. Obwohl sich dort damals nur weniger als ein Promille der Bevölkerung mit dem Virus infiziert habe, sei der Konsum „regelrecht eingebrochen“, zitiert das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung einen Strategen der Bank Goldman Sachs. Tourismusmanager und Fluggesellschaften mussten seinerzeit mit einem dicken Minus leben. Reisende blieben völlig weg, viele Hotels in Asien standen leer. Internationale Wissenschaftler schätzten 2004, dass sich die weltweiten Kosten der Epidemie womöglich auf mehr als 40 Milliarden US-Dollar belaufen könnten. Ob auch die aktuelle Lungenkrankheit solche Auswirkungen hat, ist derzeit ungewiss. Sollte sich 2019-nCoV weiter ausbreiten, sehen Analysten der Commerzbank zum Beispiel das Risiko, „dass dem ohnehin angeschlagenen chinesischen Konsum weiterer Gegenwind entgegenbläst“. Zuletzt waren weltweit die Aktienkurse internationaler Fluggesellschaften bereits unter Druck geraten.

    Gefahren Derzeit hängt also alles davon ab, wie es mit dem aktuellen Coronavirus weitergeht. Dabei sollte aber auch klar sein: Es muss nicht bei milden Verläufen bleiben. Erreger wie das neue 2019-nCoV und Sars-CoV sind wandelbar und anpassungsfähig – mit Änderungen in ihrem Erbgut könnten sie weitaus ansteckender und gefährlicher werden. Bei Sars zumindest war dem nicht so: Inzwischen ist das Virus wahrscheinlich nur noch in Tieren unterwegs.

    Mehr als elf Millionen Touristen haben Taiwan im Jahr 2018 besucht, davon rund ein Drittel aus Festland-China. Mittlerweile wurde auch in dem Inselstaat das Coronavirus nachgewiesen. Ein Sprecher der WHO sagt nun, dass man im Falle eines Gesundheitsnotstandes mit den Behörden Taiwans zusammen arbeiten werde. Am Mittwochabend entschied die WHO keine internationale Notlage auszurufen wird.

    Zu einem radikalen Schritt greift Nordkorea. Am Mittwoch informiert der Staat sämtliche Reiseagenturen darüber, dass man den internationalen Tourismus im Land bis auf weiteres aussetzen werde. Als Grund nennt man in einem Schreiben „die rapide Ausbreitung“ des Coronavirus in China. Für die Kim-Diktatur wäre ein Ausbruch der Lungenkrankheit außerordentlich bedrohlich: Das Gesundheitssystem gilt als katastrophal, es fehlt an Medikamenten, Antibiotika und grundlegender Ausstattung in den Krankenhäusern.

    Ob der vorläufige Abschied vom Tourismus als Schutzmaßnahme ausreicht, ist unklar. Schließlich herrscht entlang der chinesisch-nordkoreanischen Grenze ein reger Schmuggelverkehr – was Waren angeht, aber auch Personen.

    Diagnoseverfahren soll Coronavirus-Symptome beim Menschen schnell nachweisen

    Und Europa? Hier ist das Virus bislang nicht nachgewiesen worden. Nach dem chinesischen Neujahr sei jedoch mit ersten Fällen zu rechnen, glaubt Herman Goossens von der Universität Antwerpen. Die EU sei gut vorbereitet. „Ich habe noch nie so eine schnelle Reaktion und Zusammenarbeit erlebt wie im Fall des Ausbruchs des Coronavirus“, sagt der Forscher. Goossens koordiniert ein Netzwerk der

    Auch die bayerischen Behörden versuchen zu beruhigen. Vorsorglich aber wurden „alle bayerischen Gesundheitsämter über das aktuelle Geschehen informiert und gebeten, auch die Ärzteschaft in den Kreisen, Städten und Gemeinden zu informieren“, sagt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in München. Außerdem soll in Kürze ein Diagnoseverfahren etabliert werden, das Coronaviren im Fall der Fälle schnell nachweisen kann. „Die bayerischen Gesundheitsbehörden beobachten die Entwicklung sehr genau“, sagt der Sprecher. Er weist zudem darauf hin, dass es zwischen Wuhan und Bayern keine Direktflüge gebe. Trotzdem sei eine „Task Force Infektiologie Flughafen“ rund um die Uhr erreichbar.

    Und so groß die Verunsicherung in China und seiner Hauptstadt Peking auch ist: Von einer Panikstimmung spürt man bislang noch nichts. Die öffentlichen Plätze sind nach wie vor belebt, die Restaurants gut besucht, in den Parks spielen die Senioren weiterhin ihr traditionelles Mahjong. Es lässt sich allerdings leicht ausmalen, auf welch fruchtbaren Boden das Coronavirus in der 21-Millionen-Metropole fallen könnte, denkt man an die riesigen Apartment-Anlagen, zwischen denen unzählige Kurierfahrer auf ihren Elektrorollern hin- und herdüsen, an die überfüllten U-Bahn-Züge und den hohen Zuzug von Landarbeitern aus den Provinzen.

    Gegen Abend spielen sich am Flughafen fast gespenstische Szenen ab. Fast jeder Besucher trägt mittlerweile einen Mundschutz, vom Gesicht sind dann nur noch die Augen zu sehen. Zwei Soldaten patrouillieren im Gleichschritt durch das überfüllte Terminal. Doch Warnschilder über den Wuhan-Virus sind nirgendwo zu erblicken, und auch die Durchsagen aus der Lautsprecheranlage klammern das Thema aus.

    Auch die Dame vom Informationsschalter – ganz in gelb gekleidet, die Haare zum Dutt gebunden – will der Presse erst mal keine Auskunft geben. Dann lässt sie sich doch zu einer Antwort überreden. „Seit zwei Tagen geht das hier schon so, dass fast alle Passagiere Masken tragen“, sagt sie. Auch ihre Kollegen hätten von ihrem Vorgesetzten die Order erhalten, sich einen solchen Schutz zu besorgen. Im Flughafen seien längst keine Masken mehr zu bekommen. „Der Andrang“, sagt die Dame in Gelb dann noch, „ist viel zu groß.“ (mit anf)

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