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Senden: Zwei schwarze Kumpels, ein Burkini im Schwimmbad – und ein rotes Sofa

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Zwei schwarze Kumpels, ein Burkini im Schwimmbad – und ein rotes Sofa

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    Gute Freunde: Bei dem Sendener Bürgermeister Raphael Bögge (links) und Bundestagsabgeordnetem Jens Spahn dreht sich alles um die Politik.  
    Gute Freunde: Bei dem Sendener Bürgermeister Raphael Bögge (links) und Bundestagsabgeordnetem Jens Spahn dreht sich alles um die Politik.   Foto: Alexander Kaya

    Treffen sich ein bekannter CDU-Bundespolitiker und der CSU-Bürgermeister einer schwäbischen Kleinstadt...

    Ein solches Treffen verspricht, spannend zu werden. Und wird es auch. Dabei sind Jens Spahn und Raphael Bögge alte Kumpels, obwohl sie, das betonen die beiden 36-Jährigen, noch als junge Politiker durchgehen. Dass „der Jens“ während seiner politischen Bayern-Tour „bei Raphael“ vorbeischaut, ist Ehrensache. Erst mal Mittagessen im Restaurant Feyrer am Bahnhof, bei Maultaschen und Bier schwelgen die Freunde in Erinnerungen. Wie sie bei der Jungen Union in Nordrhein-Westfalen Plakate für die CDU kleben, als die SPD das Land regiert. Zwei Schwarze unter Roten, die Pläne für die Zukunft schmieden, die beide in der Politik sehen. Und noch keine Ahnung haben, wohin die Zukunft sie führen wird. Jens Spahn erzählt, wie er seine Karriere als Stadt- und Kreisrat in Ahaus nahe Bögges Heimat Rheine beginnt. Und wie Bögge im Wahlkampfteam hilft, als er 2002 erstmals für den Bundestag kandidiert – erfolgreich.

    Heute ist Jens Spahn CDU Präsidiumsmitglied und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Beobachter des Politikbetriebs trauen dem Dauer-Talkshowgast noch Großes zu. Wird er vielleicht sogar einmal Bundeskanzler? Bei diesem Thema lacht Jens Spahn nur und entschuldigt sich Richtung Toilette.

    Der Verdauungsspaziergang führt vom Bahnhof über die Hauptstraße zum Rathaus, wo Raphael Bögge im dritten Amtsjahr als Erster Bürgermeister der Stadt Senden mit ihren knapp 22000 Einwohnern die Strippen zieht. Am Bahnübergang erzählt Bögge kurz vom Hickhack über die geplante Unterführung für Autos, die jetzt nur ein Tunnel für Fußgänger und Fahrradfahrer wird. „So läuft das manchmal“, sagt Spahn und zuckt mit den Achseln.

    Das Duo überholt einen Rentner im grauen Blouson, der einen Einkaufskorb trägt, und eine größere, offenbar türkische Familie, die Mutter hat das Kopftuch tief ins Gesicht gezogen. Bögge berichtet, dass in Senden seit Jahrzehnten viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, dass die Stadt auch zahlreiche Flüchtlinge aufgenommen hat.

    So kommt das Gespräch ganz automatisch zu Themen, die Jens Spahn derzeit besonders beschäftigen: Zuwanderung und Integration. „Da ist in den vergangenen Jahren vieles schief gegangen“, sagt Spahn. Dass es in Deutschland heute Parallelgesellschaften gebe, sei nicht hinnehmbar. Gerade im Hinblick auf die zahlreichen Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten ins Land gekommen sind, brauche es „klare Regeln, die der Staat auch selbstbewusst durchsetzt“. Aus falsch verstandener Toleranz habe es da bedenkliche Fehlentwicklungen gegeben.

    Spahn: „Wir müssen Neuankömmlingen noch klarer sagen, was geht und was nicht.“ Als Beispiel nennt er den Bademeister, der junge Flüchtlinge ermahnt: „Jungs, gaffen geht nicht, sonst gibt es sechs Wochen Hausverbot.“ Oder die Lehrerin, die der muslimischen Einwandererfamilie klarmacht, dass der Schwimmunterricht auch für Mädchen verpflichtend ist. Laut Spahn habe die Politik bislang Menschen wie dem Bademeister oder der Lehrerin in solchen Konflikten zu wenig den Rücken gestärkt.

    Bögge erzählt ein Beispiel aus dem Sendener Schwimmbad. Dort wurde muslimischen Frauen kürzlich testweise das Tragen von so genannten Burkinis erlaubt, einem Ganzkörper-Badeanzug samt Kopfhaube. Doch viele Badegäste seien irritiert gewesen, hätten ihre Ängste auch dem Personal mitgeteilt. So habe die Stadt den Test beendet und den Burkini wieder verboten. Eine Türkin habe sich darüber beschwert, doch die Stadt bleibe bei der Entscheidung. Spahn findet das richtig. Er nennt islamische Vollverschleierung eine „Kampfansage aus Stoff“. Wer der Meinung sei, dass seine Frau nur in der Burka auf die Straße dürfe, sei im falschen Land.

    Auch über die doppelte Staatsbürgerschaft, für die sich etwa junge türkische Erwachsene entscheiden können, müsse kritisch nachgedacht werden. „Wie viele Generationen braucht es denn, bis sich jemand ganz zu Deutschland bekennen kann“, fragt Spahn. Seine ausländischen Wurzeln pflegen könne schließlich auch, wer ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitze. Ein zweiter Pass könne zu Loyalitätskonflikten führen. Dass der türkische Machthaber Erdogan jederzeit Zehntausende Türkischstämmige in Deutschland zu Demonstrationen auf die Straße bringen könne, sei bedenklich.

    In der Flüchtlingsfrage, sagt Spahn: „Ein Massenansturm wie im vergangenen Jahr wäre nicht mehr zu bewältigen. Die Bundesregierung hat mit ihren Maßnahmen die Zahl der Zuwanderer bereits deutlich reduziert.“ Auch Kanzlerin Angela Merkel wisse, dass Deutschland nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen könne. Da brauche es gar keine starre Obergrenze mehr, wie die CSU sie beharrlich fordert.

    Spahn gibt sich Bögge gegenüber übrigens durchaus als Freund der bayerischen CDU-Schwesterpartei zu erkennen: „Ich bin offizielles CSU-Gastmitglied“. CDU und CSU müssten sich nun in einer Art „Paartherapie“ auf die gemeinsamen Positionen und Stärken besinnen. „Wir sollten uns nicht im Streit um Kaisers Bart aufreiben“, sagt Spahn, der dafür bekannt ist, auch gegenüber Parteikollegen oder Kanzlerin immer wieder auf Konfrontationskurs zu gehen. Bögge triezt, die ungewohnt versöhnlichen Töne könnten mit der Bundestagswahl im kommenden Jahr zu tun haben. Das CDU-Präsidiumsmitglied erwidert: „Politik bedeutet, an der richtigen Stelle zu kämpfen, aber auch kompromissfähig zu sein.“ Über seinem Freund Bögge sagt Spahn: „Er geht keiner Diskussion aus dem Weg, hat am Ende aber immer die Sache im Blick.“

    Im Rathaus angekommen, zeigt Bögge dem Gast seine Diensträume. Der flachst: „Ein rotes Sofa im Büro, geht das denn in Bayern?“ Bögge kontert: „In Bayern geht so Einiges.“ Aber auch die Unterstützung aus Berlin müsse stimmen, mahnt der Bürgermeister. Der Finanzstaatssekretär verspricht, dass der Bund die Kommunen weiter unterstützen werde. Etwa durch das Förderprogramm für Kinderkrippen. Das Gespräch streift noch die Bundestagswahl im kommenden Jahr, Spahn macht keinen Hehl daraus, dass er sich eine schwarz-grüne Koalition sehr gut vorstellen könnte. Dann klingelt sein Handy, es ist der Fahrer. Der nächste Termin beginnt am Abend in Würzburg und auf der Autobahn ist Stau angesagt. Abrupt springt Spahn auf, klopft Bögge auf die Schulter: „Raphael, ich muss los. Bis bald mal wieder.“

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