Es war ein Freitagabend gegen 18 Uhr, als Anwohner in Ludwigsfeld mehrere Schüsse hörten: Ein 37-jähriger Familienvater wird vor seinem Zuhause, einem Hochhaus in der Breslauer Straße, kaltblütig ermordet. Doch erst nach und nach stellt sich heraus: Der Fall ist mehr als mysteriös. Nicht nur, weil dem Täter die Flucht gelang. Sondern auch, weil das Opfer, ein einstiger Kickbox-Weltmeister, ganz offensichtlich ein höchst zwielichtiges Doppelleben führte. Dafür sprechen weitere, neue Details, die nun ans Licht kommen.
Von offizieller Seite ist fünf Jahre nach der schockierenden Tat jedoch nicht wirklich mehr zu erfahren, als bislang bekannt: Die Ermittlungen seien nach wie vor nicht abgeschlossen, teilt Thorsten Thamm, Sprecher der Staatsanwaltschaft Memmingen, auf Nachfrage unserer Redaktion mit. Und weil es sich um ein noch laufendes Verfahren handele, könnten keine Hintergrund-Informationen preisgegeben werden.
Kickboxer-Mord: Belohnung von 10.000 Euro für Hinweise ausgesetzt
Wer also den ehemaligen Kickbox-Profi auf offener Straße mit vier Schüssen tötete, ist weiterhin nicht aufgeklärt. Und das trotz umfangreicher Maßnahmen: Kurz nach der Tat wurde die Sonderkommission "Schüsse" mit 32 Beamten gegründet sowie eine ungewöhnlich hohe Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt. Auch Fahndungsplakate in deutscher und russischer Sprache wurden veröffentlicht. Darin bat die Kripo nicht nur um Zeugenhinweise zum Täter, sondern auch um Hinweise zur Vergangenheit des Opfers. Denn das Leben des Mannes, der an jenem 18. November 2016 ermordet wurde, wirft auch heute noch viele Fragen auf. Seine Ehefrau, die mit ihren drei Kindern weiterhin in Neu-Ulm lebt, will mit unserer Redaktion darüber nicht sprechen.
Wer war also der bullige Mann mit Glatze? Auf seinem Grabstein auf dem Neu-Ulmer Friedhof steht "Heinrich von Mirbach". Dass es sich bei ihm aber um ein verstorbenes Mitglied der rheinhessischen Adelsfamilie von Mirbach handelt? Wohl kaum. Vielmehr sorgte er im Kampfsport für Schlagzeilen – allerdings dann mit dem Namen Musa Musalaev oder seinem Kampfnamen "Prince of Tatarstan". Aus russischen Sportzeitungen lässt sich nachvollziehen: 1979 im jetzigen Kasachstan geboren, sei er seit seiner Jugend in Kampfsportarten aktiv gewesen. Im Alter von 30 Jahren sei er nach Thailand gereist und habe dort seinen ersten WM-Titel im Thai-Boxen erobert. Es folgten weitere. Insbesondere in Russland galt er als eine Berühmtheit. Gerne zeigte das Mordopfer auch seinen Nachbarn in Neu-Ulm Pokale und Urkunden: Er hatte sie im Keller gelagert. Veröffentlicht hat er auch Gedichte, auch Liebesgedichte, auf einer Internetseite – die nun nicht mehr online zu finden ist. "Ich bin ein Poet, der Sport betreibt", sagte er einst über sich.
Russische Medien berichten über die Schattenseiten des Kickboxers
Allerdings nennen russische Journalisten auch die Schattenseiten: "Ende der 90er-Jahre hatte er einen zwiespältigen Ruf in Moskau", heißt es. Damals sei er als Musalo Katimowic oder auch Michail Grigorjew aufgetreten und habe versucht, als Manager in Kampfsportarten Fuß zu fassen. Sogar als Politiker habe er sich ausgegeben. Doch spätestens seit er und seine Familie um 2013 nach Deutschland kamen, verliert sich die Spur. Warum gab er also seine sportliche Karriere auf? Womit bestritt er seinen Lebensunterhalt?
Vieles ist weiterhin unklar. Zwar deutete die Polizei immer wieder an, dass sich die Hinweise auf illegale Rauschgift-Geschäfte verdichten würden und entsprechende Vormachtkämpfe Hintergrund der Tat gewesen sein könnten. Wirklich konkret wurden die Ermittler dabei aber nie. Zumindest in der Öffentlichkeit nicht. Hinter vorgehaltener Hand wird inzwischen in Polizeikreisen von der undurchsichtigen Persönlichkeit ein genaueres Bild gezeichnet. So soll Musalaev nach Deutschland gekommen sein, um im Ulmer Raum die russischsprachige Rauschgift-Szene übernehmen zu wollen. Er sei auch bereits gut im Geschäft gewesen, habe seine Mitarbeiter gehabt und soll dabei auch brutal vorgegangen sein.
Eine Nachbarin erzählt von seltsamen Beobachtungen rund um das Hochhaus
Entsprechende Beobachtungen berichtet nun auch eine unmittelbare Nachbarin im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie wohnt im selben Haus wie die Familie des Mordopfers und sei an deren Wohnung interessiert gewesen, noch bevor die Familie nach Deutschland kam. Der damalige Vermieter habe ihr aber gesagt, er habe bereits einen Bargeldzahler an der Hand. Nach Informationen unserer Redaktion wurde die Wohnung von einem Michail Grigorjew gekauft – wohl mit einem Koffer voll Geld. Die Nachbarin erzählt zudem von immer wiederkehrenden Personen, mit denen sich das Mordopfer auf Russisch unterhalten habe. Sie vermutet "Geschäfte". Eine Bekannte, die russisch sprach, habe sie dann darauf aufmerksam: "Halt dich von dem fern. Das ist die russische Mafia." Von diesen "Geschäftsleuten" habe sie nach dem Tod niemanden mehr gesehen.
Auch vom Täter fehlt weiterhin jede Spur. Bislang ist nur wenig über ihn bekannt: Er wird als etwa 1,70 bis 1,75 Meter groß beschrieben. Er soll hager ausgesehen und schwarze Kleidung getragen haben. Laut damaligen Polizeiangaben ist der maskierte Mann zunächst zu Fuß geflüchtet und dann unweit des Tatortes im Bereich der Breslauer Straße/Stettiner Straße auf der Beifahrerseite in ein wartendes dunkles Fahrzeug eingestiegen. Die Tatwaffe, eine Handfeuerwaffe, wurde "zeitnah" nach der Tat aufgefunden. Auch die Spuren daran halfen jedoch bislang nicht, den Fall zu lösen.