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Interview: So schätzt ein Bau-Investor die Lage am Wohnungsmarkt ein

Interview

So schätzt ein Bau-Investor die Lage am Wohnungsmarkt ein

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    Gerhard Schlichtherle ist Vizepräsident der IHK Schwaben und Geschäftsführer der Buchloer Bauträger-Firma Acredo Bau und bereits seit über 30 Jahren in der Immobilienbranche tätig. Im Interview verrät er, wie es aus seiner Sicht um die Baubranche im Allgäu steht und warum ihn die einbrechenden Baugenehmigungen nicht beunruhigen.
    Gerhard Schlichtherle ist Vizepräsident der IHK Schwaben und Geschäftsführer der Buchloer Bauträger-Firma Acredo Bau und bereits seit über 30 Jahren in der Immobilienbranche tätig. Im Interview verrät er, wie es aus seiner Sicht um die Baubranche im Allgäu steht und warum ihn die einbrechenden Baugenehmigungen nicht beunruhigen. Foto: Dominik Berchtold/Ralf Lienert

    Baugenehmigungen sind in Deutschland im April 2023 gegenüber dem Vorjahr um fast ein Drittel eingebrochen - der höchste Einbruch seit März 2007, also kurz vor der Finanzkrise. Wie ist die Stimmung in der Baubranche?

    Schlichtherle: Mich wundert es ehrlich gesagt, dass es nur ein Drittel ist. Viele Bauherren - egal ob privat, öffentlich oder institutionell - sind aktuell sehr zurückhaltend. Das liegt auch an den oft immer noch steigenden Materialkosten und anderen Nachwirkungen der Pandemie.

    Die EZB hebt den Leitzins ab 21. Juni um 0,25 Prozentpunkte auf nun vier Prozent weiter an. Das Geld wird also teurer. Was machen diese Entwicklungen mit dem Wohnungsmarkt im Allgäu?

    Schlichtherle: Wir haben im langjährigen Vergleich immer noch moderate Zinsen. Die Baukosten sind auch durch die Inflation, die sich gerade irgendwo zwischen sechs und neun Prozent einpendelt, extrem gestiegen. Ich rechne aber mit einer Erholung des Marktes, wenn sich die Probleme bei den Lieferketten und den Rohstofflieferanten jetzt nach dem Ende der Pandemie wieder normalisieren. Auch weil eine Investition in Immobilien weiterhin inflationsgeschützt ist.

    Allgäuer Experte aus der Bau-Branche: Die Bedingungen am Markt ändern sich schnell

    Woher kommt dann die Verunsicherung der Menschen?

    Schlichtherle: Der Markt hat sich innerhalb weniger Wochen oder Monate komplett gedreht. Vor einem Jahr hatten wir noch einen Leitzins von einem Prozent. Daher verstehe ich die Verunsicherung durchaus. Mich beunruhigt die Situation allerdings nicht so sehr.

    Warum?

    Schlichtherle: Weil ich den Bedarf jeden Tag sehe. Hatte ich vor einem Jahr noch 20 Anfragen für eine Mietwohnung, sind es heute 100. Die Mietpreise explodieren jetzt, wie es die Kaufpreise noch vor einem halben Jahr getan haben. Das wird eine gewaltige Knappheit auf dem Wohnungsmarkt mit sich bringen.

    Auf der Mietseite herrscht also ein Angebotsmangel auf dem Markt, wie sieht es auf der Käuferseite aus?

    Schlichtherle: Unsere Verkaufszahlen sind extrem rückläufig. Wir haben vor der Corona-Pandemie ein Projekt in Pforzen geplant und begonnen. Dort errichten wir auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei 25 Wohneinheiten, aufgeteilt auf sieben Häuser und 18 Wohnungen - und noch ein paar Gewerbeeinheiten. Wegen der Pandemie konnten wir erst im Herbst 2022 in den Verkauf gehen. Von den ursprünglich 180 glaubhaften Interessenten, die sich auf die Liste setzen haben lassen, sind keine zehn übrig geblieben.

    Käufer springen reihenweise ab - Investor: So wird sich der Markt im Allgäu verändern

    Kann so eine Entwicklung einer Firma das Genick brechen?

    Schlichtherle: Auf jeden Fall. Nach meinem Eindruck und meiner Erfahrung sind die Allgäuer grundsätzlich etwas vorsichtiger. Aber im Raum München sollen derzeit reihenweise Bauträger pleite gehen, hört man in der Branche. Gerade Firmen, die noch nicht so lang im Markt sind, die noch nicht so viel Erfahrung haben, kann so eine Entwicklung hart treffen. Wir reden da ja von Millionen-Investitionen.

    Und was folgt daraus?

    Schlichtherle: Ich gehe davon aus, dass viele Bauträger in die Vermietung gehen werden, weil die Nachfrage nach einem Kauf einfach rückläufig ist. Ich merke aber auch eine gewisse Besserung auf dem Markt seit April.

    Inwiefern?

    Schlichtherle: Bei manchen Materialien normalisiert sich der Preis wieder und kommt in manchen Fällen in Richtung Vorkrisenniveau. Damit sind die Baukosten natürlich niedriger als die zuvor kalkulierten Kosten. Das können wir in einzelnen Fällen nach Absprache mit unseren Lieferanten auch an die Kunden weitergeben.

    IHK-Vize und Bau-Investor gibt Anregung: So könnte der Staat den Wohnungsbau ankurbeln

    Der Bezirksvorsitzende der Interessengemeinschaft Bauen-Agrar-Umwelt in Schwaben hat in einer Pressemitteilung zur Bau-Bilanz 2022 im Allgäu kürzlich vor einem Abwärtstrend gewarnt und den Staat aufgefordert, per Milliardensubventionen den Bau von bezahlbarem Wohnraum zu fördern. Was wäre aus Ihrer Sicht politisch nötig, um den Wohnbau zu fördern?

    Schlichtherle: Mir steht es nicht zu, da irgendwelche Forderungen herauszuposaunen, ich würde aber gern eine Anregung bringen. Wenn der Gesetzgeber eine Kauf- oder Investitionsmotivation schaffen würde wie es sie bis 1998 gab.

    Bis vor 25 Jahren konnte man nämlich nicht nur die Finanzierungszinsen steuerlich absetzen, sondern es gab auch eine degressive Gebäudeabschreibung mit 58 Prozent der Herstellungskosten in den ersten zehn Jahren.

    Das bedeutet?

    Schlichtherle: Die ersten vier Jahre durfte man je sieben Prozent, die weiteren sechs Jahre darauf fünf Prozent absetzen. Damit konnte man in den ersten zehn Jahren fast 60 Prozent der Gebäudeherstellungskosten von der Einkommenssteuer absetzen - das wäre der totale Turbo. Hinzu kommt, dass eine solche Maßnahme den Staat nicht nur nichts kostet, sondern - allein schon durch die Umsatzsteuer - höhere Einnahmen bringt.

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