Nachts macht sie kaum ein Auge zu. Denn vor dem Einschlafen kommen die Bilder. „Im Traum verfolgen sie mich. Und wenn ich aufwache, sind sie wieder da.“ Die Frau aus Affing wohnt ganz in der Nähe der Tornadolinie.
Auch untertags hat sie zu kämpfen: „Ich schaffe es nicht, ohne Heulkrampf mit dem Auto durch Affing zu fahren – vorbei an den Häusern der so schlimm Betroffenen.“ Doch die Frau will keine Schwäche zeigen: „Wir leben auf dem Land. Jeder kennt jeden.“ Darum sagt sie über den Infoabend für Betroffene: „Ich kann da nicht hingehen. Das ist ja wie ein Eingeständnis, dass ich so was nötig habe.“
Möglicherweise war das ein Grund, warum am Donnerstag nicht allzu viele in die Mehrzweckhalle kamen. Dort ging es um Trauma-Bewältigung nach dem Tornado. Hilfsdienste stellten sich vor und boten ihre Unterstützung an für die Menschen in Affing und Stettenhofen, die in der Nacht auf Christi Himmelfahrt innerhalb von nur wenigen Minuten ihr Dach über dem Kopf verloren oder schwere Schäden an Haus und Hof hinnehmen mussten.
Die Schuttberge sind inzwischen weitgehend weggeräumt. In Rekordzeit haben die Betroffenen mit Angehörigen, Nachbarn, Freunden sowie unzähligen Freiwilligen und Hilfsorganisationen sie beseitigt. Fast rund um die Uhr waren sie im Einsatz. Nun beginnt der Wiederaufbau.
100 Millionen Euro Schaden im Landkreis Aichach-Friedberg
Im Kreis Aichach-Friedberg wurden fast 180 Häuser teils schwer beschädigt, in Stettenhofen waren es 34. Die Schäden sind immens. Die Schätzungen dazu gehen auseinander. Aichach-Friedbergs Landrat Klaus Metzger korrigierte diese Woche die Schadenssumme von 40 auf 100 Millionen Euro nach oben. Im Landkreis Augsburg war man zunächst davon ausgegangen, dass dort und in Aichach-Friedberg zusammen ein Schaden von 40 Millionen Euro entstanden war.
Noch weniger konkret als die materiellen Schäden lassen sich die seelischen Folgen fassen, unter denen die Menschen mindestens genauso leiden.
Die Frau aus Affing, die sich scheut, zu dem Infoabend zu gehen, ist selbst nicht von dem Tornado betroffen. Verwandte und Bekannte von ihr aber sehr wohl. Sogar einfache Geräusche lösen bei ihr seitdem Panik aus. Zum Beispiel der Krach von Motorsägen. Bereits unmittelbar nach dem Sturm waren die ersten Helfer mit Motorsägen im Einsatz, um Bäume von den Straßen zu räumen.
Auch Geräusche von Hubschraubern bereiten der Frau massive Probleme: „Da waren ja am Himmelfahrtstag mehrere unterwegs über uns. Als ich vorgestern einen Hubschrauber über uns hörte, kam Panik in mir hoch – mit Schweißausbruch und Herzrasen.“
Die Reaktion ist normal - unnormal ist das Ereignis
Experten wie der Moderator Dieter Lenzenhuber vom Traumhilfe-Netzwerk sehen solche Reaktionen als normal an. Auch Martin Poloczek vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas Aichach-Friedberg sagt: „Sie reagieren normal. Das Unnormale ist das Ereignis, das sie erlebt haben.“ Die schrecklichen Bilder kommen im Kopf immer wieder hoch. Mit der Zeit würden sie seltener und erträglicher. Poloczek: „Wenn es nicht leichter wird, nehmen Sie mit uns Kontakt auf.“
Er rät: „Sie kennen Ihre Verwandten, Nachbarn und Freunde. Reden Sie mit ihnen.“ Außerdem fordert er Geduld mit dem Umfeld und mit der Familie. Manche wollten endlos reden, andere blockten ab.
Markus Moder von der Schulpastoral des Bistums Augsburg ist Krisenseelsorger. Er will die Lehrkräfte fit machen: „Wir müssen Räume gewähren, wo diskutiert, formuliert wird, um den jungen Menschen wieder die Sicherheit zurückzugeben.“ Sein Kollege Wolf-Dieter Schuster erklärt das Verhalten der Heranwachsenden: „Die Kleinen verarbeiten eher im Spiel, Größere ziehen sich zurück.“ Wichtig sei jetzt, Geborgenheit zu geben und darauf zu achten, dass das soziale Netz in Familie, Schule, Klasse und Freundeskreis funktioniert.
Finanzielle Hilfe kommt von allen Seiten - einzelne Betroffene geraten trotzdem in Not
Beachtlich ist, wie schnell erste Hilfsaktionen für die Tornado-Opfer anliefen: Aus der ganzen Region stellten Menschen Unterkünfte zur Verfügung. Kommunionkinder sammelten Geld, Fußballvereine ließen Spendenbüchsen bei Spielern und Fans herumgehen, bei Festen wurde zusammengelegt. Der FC Augsburg versteigerte für über 2000 Euro ein Trikot seines Torhüters Marwin Hitz zugunsten der Tornado-Opfer, zudem ist vor der nächsten Saison ein Benefizspiel geplant. Auf Spendenkonten gingen bisher fast 300.000 Euro ein.
Erst gestern saß Langweids Bürgermeister Jürgen Gilg drei Stunden an der Kasse des dm-Drogeriemarktes in Meitingen. Die Umsätze, die in dieser Zeit erzielt wurden, kommen den Tornado-Opfern in Stettenhofen zugute. Weil dm noch etwas drauflegte, stand am Ende die Summe von 14.600 Euro.
Dennoch bringt der Tornado einige Betroffene in finanzielle Nöte. Für dieses Thema sprach beim Infoabend Sybille Stengelin von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas: „Wir sind da, um Existenzschutz zu ermöglichen.“ Sie appellierte: „Bitte gehen Sie nicht den Weg über eine Internetbank. Da ist ganz viel Abzocke dabei und Sie kommen da kaum mehr raus.“
Was tun bei Unwettern?
Wichtige Tipps, wie man sich bei Unwetter richtig verhält, hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zusammengestellt:
Wo aufhalten? Sich alleine in offenem Gelände zu bewegen ist gefährlich. Die Richtung eines Tornados ist nicht vorherzusehen, ebenso Geschwindigkeitsänderungen. Auch umherfliegende Trümmerteile können zur Gefahr werden. Daheim ist es vor allem im Keller sicher. Das bestätigt Wetterexperte Klaus Hager: „Dort bieten Sie keinen Widerstand, sind nicht im Freien.“
Sich im Auto oder Wohnwagen zu verstecken ist gefährlich, da auch Autos von Tornados erfasst werden können.
Gleichzeitig sollte man alle Hausöffnungen (Türen, Fenster) schließen, die Rollläden schließen und aufpassen, dass der Kellerzugang nicht versperrt ist oder werden kann.
Wer sich regelmäßig über Unwetter informiert, zum Beispiel beim Deutschen Wetterdienst (DWD), kann schneller reagieren. UKW-Radio, Kerzen und ein Notfallkoffer mit den wichtigsten Dokumenten sind sinnvoll, wenn man plötzlich sein Zuhause verlassen muss. Für die Versicherung wird empfohlen, das Eigentum zu fotografieren. (seak)
Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes finden Sie im Internet unter www.dwd.de.
Auf der Suche nach Abstand und Ruhe bitten die Menschen um Beistand von oben. Zu einem Symbol der Hoffnung wurde für viele die Marienstatue neben der Salzbergkapelle bei Anwalting. Während der Sturm die Kapelle stark beschädigte, blieb die Muttergottes nahezu unversehrt. Am Sonntag um 17 Uhr treffen sich die Menschen dort zur Maiandacht. (mit nsi)