Das deutsche Gesundheitssystem ist besser als sein Ruf. Kein Land in EU-Europa gibt nach einer Studie der OECD mehr für die Gesundheit seiner Bürger aus als die Bundesrepublik, nämlich weit über 5000 Euro pro Kopf und Jahr. Kein Land beschäftigt mehr medizinisches Personal, nämlich 4,5 Ärzte und zwölf Krankenpfleger pro 1000 Einwohner. Kein Land aber hat auch eine derart ausgeprägte Vollkasko-Mentalität, nach der jede kleine Zuzahlung in der Apotheke schon eine Zumutung ist.
In einer alternden Gesellschaft, in der immer weniger junge, gesunde Beitragszahler immer mehr ältere und pflegebedürftige Versicherte finanzieren müssen, stößt das beste Gesundheitssystem an Grenzen. Dass die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen bald kräftig steigen, ist nur das sichtbarste Symptom einer systemischen Krise, gegen die die Politik bisher kein Rezept findet. Ihre Arznei besteht vor allem im Verabreichen von Beitragserhöhungen, bei den Krankenkassen, bei der Pflege, bei der Rente. Der Frage, ob Deutschland sich sein Vollkasko-Denken in der Gesundheitspolitik noch lange leisten kann, hat sich von Daniel Bahr über Herrmann Gröhe und Jens Spahn bis zum amtierenden Karl Lauterbach noch kein Minister wirklich gestellt.
Dabei liegen die Probleme auf der Hand: Mehr als 90 gesetzliche Krankenkassen bedeuten auch mehr als 90 teure Kassenvorstände und Kassenverwaltungen - Dänemark, zum Beispiel, kommt mit einer einzigen Kasse aus. In Deutschland geht ein Versicherter zehnmal im Jahr zu einem Arzt - im Durchschnitt aller Industrieländer sind es nur etwas mehr als sechs Arztbesuche. Und über sämtliche Kassen gerechnet, private wie gesetzliche, zahlt der Durchschnittsdeutsche von der Rezeptgebühr über die Massage bis zum neuen Inlay im Gebiss etwa ein Zehntel seiner Gesundheitskosten selbst - in der Schweiz sind es fast 20 Prozent.
Der Zuschuss des Bundes ist zu niedrig
Um die 500 Milliarden Euro fließen in Deutschland jedes Jahr im weitesten Sinne in die Gesundheitsversorgung, von denen etwa zwei Drittel alleine auf die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung entfallen. Mit diesem Geld effizienter ud vorausschauender zu wirtschaften, sollte eigentlich erste Politikerpflicht sein. Die Bundesregierung allerdings, die Leistungen kürzt oder nach Einkommen gestaffelte Eigenbeteiligungen einführt, muss erst noch gewählt werden - zu groß ist die Sorge in den Parteien, sich den dauerhaften Groll der Versicherten zuzuziehen. Umso wichtiger wäre es, die Strukturen im System zu verschlanken und die Zahl der Kassen zu reduzieren. Auch ein sanfter Zwang zu mehr Kostendisziplin nach dem Vorbild der privaten Kassen würde das System nicht in seinen Grundfesten erschüttern. Im Gegenteil: Warum, zum Beispiel, sollen gesetzlich Versicherte keine Beitragsrückerstattung bekommen, wenn sie ein Jahr lang keine Leistungen in Anspruch genommen haben oder kleinere Arztrechnungen selbst bezahlen?
Etwas Druck von den Kassenfinanzen könnte auch der Staat nehmen, indem er den jährlichen Bundeszuschuss erhöht. Mit 14,5 Milliarden Euro ist ja nur ein Teil der versicherungsfremden Leistungen abgegolten, für die eigentlich die Gemeinschaft aller Steuerzahler aufkommen müsste und nicht die Krankenkasse - zum Beispiel das Mutterschaftsgeld, die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern, aber auch der Ausbau der Notfallversorgung.
Unsere Gesundheit ist ein teures Gut, ja. An ihr sollte niemand sparen. Das aber bedeutet noch lange nicht, dass die Krankenkasse auch alles bezahlen muss.
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