Ein Konzert wie ein guter Aufsatz: Ruhiger, erzählender Beginn, langsame Steigerung bis zum alles vereinnahmenden Höhepunkt mit grandiosen Lese- oder Hörerlebnissen, zufrieden zurück in sanfte Regionen und als Abschluss eine emotionale, fast kitschig anmutende Überraschung: Das war „Liberation Concert 2023“ in der Klosterkirche St. Ottilien.
Zum fünften Mal richtete der Verein Kultur am Ammersee das Konzert im Rahmen des Klassikfestivals Ammerseerenade aus, um mit besonderen Künstlern an das Befreiungskonzert im Mai 1945 auf dem Areal des Klosters zu erinnern. Noch wichtiger aber ist dessen Botschaft, die Demokratie mit ihren freiheitlichen Grundrechten zu wahren und dafür das Medium Musik beziehungsweise Kunst über Grenzen hinweg wirken zu lassen. Bei der fünften Auflage war den Organisatoren Doris M. Pospischil und Hans-Joachim Scholz die Erinnerung an die rund 500.000 Sinti und Roma wichtig, die ebenfalls Opfer der Vernichtungspolitik im Dritten Reich wurden. Der Termin am jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana hatte Schirmherrin Charlotte Knobloch von einem Besuch abgehalten.
Zunächst sprach nach Gesang der klösterlichen Choralschola Erzabt Wolfgang Öxler über die Wichtigkeit des Hörens. Zuhören sei bedeutend für den Bestand der Demokratie. Den Besuchern in der nicht ganz ausverkauften Klosterkirche riet er: "Lauschen Sie der befreienden Musik mit hörendem Herzen." Musik schaffe einen Platz im Leben, erklärte Claudia Roth, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in ihrem Grußwort. Wichtig für gutes Miteinander sei, verantwortlich zu handeln und ebenso zu sprechen.
Dann durfte die Musik „sprechen“. Maximilian Maier führte mit gewohnt viel Hintergrundwissen durch das Programm. Am Anfang stand die L‘Arlésienne Suite Nr. 2 von Georges Bizet. Dieses Werk war Teil des Befreiungskonzerts im Mai 1945. In St. Ottilien interpretierte das Orchester Philharmonia Frankfurt, unter der Leitung von Juri Gilbo, die viersätzige Komposition mit ihrem weich fließenden Beginn und einem zart-romantischen Flötensolo. Im vierten, dem bekanntesten Satz der Suite, jagte der Dirigent die Musiker mit schneller werdenden Trommelwirbeln und virtuosen Flötenklängen zu einem furiosen Ende.
Das Janoska-Ensemble lässt seine Qualität in St. Ottilien aufleuchten
Das Janoska-Ensemble folgte mit einem ersten Aufleuchten seiner Qualität. Die vier Musiker interpretierten Beethovens Mondscheinsonate im von ihnen geprägten und zur Marke gewordenen Janoska Style. Das bedeutet, dass immer wieder Takte des Originals zu hören sind, das Quartett jedoch seine ganz eigenen Vorstellungen dazu mischt. Ein wenig gemäßigter, mit musikalischer Inbrunst, spielte das Quartett gemeinsam mit dem Orchester den Liebestraum von Franz Liszt.
Mit Bachs Adagio in d-moll präsentierte sich eine weitere, hervorragende Musikerin auf der Bühne. Ksenija Sidorova kommt aus Lettland, wo das Akkordeon eine große Tradition hat. Sie spielt bereits seit früher Kindheit dieses Instrument, das wie geschaffen schien für das Werk. Die folgenden rumänischen Tänze von Bela Bartok sind bereits voller Feuer und Lebensfreude. Gehen sie eine Verbindung mit dem Janoska Style ein, dann tobt das Publikum und spendet erste stehende Ovationen.
Das „Familienunternehmen“, wie Maximilian Maier das Quartett liebevoll betitelte, schien sich in die Welt Bela Bartoks zu begeben. Es wurde verändert, improvisiert, gejazzt und jeder der vier hatte mächtigen Spaß dabei. Ksenija Sodorova mäßigte mit einer Fantasie über ein Thema von Astor Piazzolla den musikalischen Rausch ein wenig – was nur kurz hielt. Als sich alle Ausführenden des Abends zum gemeinsamen Musizieren zusammen fanden, bebte das Gotteshaus. Revelation (Sergej Voitenko), Oblivion (Piazzolla), ein weiteres Mal Liszts Liebestraum in veränderter Besetzung: Klang das schon gewaltig und beeindruckten die Ausführenden, so wurde es bei der Hommage an Fritz Kreisler „Musette pour Fritz“ von Frantisek Janoska geradezu verrückt. Akkordeonistin und die Janoskas spielten sich in einen Rausch, rissen mit ihrer Ekstase das Publikum mit, das mehrfach Zwischenapplaus spendete.
Nach der Ekstase folgt der ruhige Gegenpol beim Liberation Concert
Es folgte der ruhige Gegenpol: Abschluss war Kol Nidrei von Max Bruch. Kol Nidrei ist ein jüdisches Gebet am Vorabend des Versöhnungstages, dem höchsten jüdischen Fest. Max Bruch hat die Melodie des Gebets für seine Komposition verwendet. Das Orchester Philharmonia Frankfurt spielte, als Solist glänzte Vladislav Lavrik (Trompete).
Der begeisternde Abend, der erneut aufzeigte, dass diese Konzertreihe zweifellos zu den musikalischen Höhepunkten im Landsberger Kulturjahr gehört, endete nach dem Dank von Dr. Thomas Goppel an die unermüdlichen Organisatoren und Unterstützer sowie nach dem Segen von Erzabt Wolfgang Öxler mit einem emotionalen Moment. „Yesterday“ von den Beatles, interpretiert vom Janoska-Ensemble gemeinsam mit dessen Zukunft: Acht Kinder der Musiker im Alter von vier bis zehn Jahren waren mit auf der Bühne.