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Foto: Sebastian Silva, EFE/epa/dpa
Foto: Sebastian Silva, EFE/epa/dpa

Popsängerin Sinéad O'Connor - hier bei einem Konzert in Santiago de Chile - wurde nur 56 Jahre alt.

Nachruf
27.07.2023

Den Schmerz in der Stimme: Zum Tod der Sängerin Sinéad O´Connor

Von Reinhard Köchl

In ihrem größten Hit "Nothing Compares 2 U" sang Sinéad O´Connor vom Leid, das ihr den Boden unter den Füßen wegzieht. Ihr eigenes Leben glich einem Scherbenhaufen, den sie immer wieder zusammenkehren musste.

Es war dieser eine Moment, der einem beim temporären Phänomen Lokalradio für immer in Erinnerung bleibt. Irgendwann 1990, morgens um kurz nach sieben, als sich die unerträglich gut gelaunten Moderatoren wie jeden Tag professionell abmühten, mit platten Witzen ihre Zielgruppe aus dem Bett zu schubsen, da erhob sich plötzlich diese Stimme aus dem gleichförmigen Gequassel. Irgendjemand adressierte eine Botschaft. Sie klang verzweifelt, wahr, von suggestiver Ehrlichkeit, gerade weil der Gesang menschlich schwächelte und in der Emphase brach.

Sinéad O´Connor "Nothing Compares 2 U"

Zu jeder Sekunde glaubte man den Schmerz am eigenen Leib spüren zu können, den die Frau mit der cherubinischen Stimme da artikulierte. Sieben Stunden und 15 Tage sei es nun her, seit er seine Liebe von ihr weggenommen habe. Durchwachte Nächte, verschlafene Tage, alles so verdammt einsam und diese Traurigkeit allgegenwärtig. "Nichts kann die Tränen aufhalten. Sag mir, Baby, was ich falsch gemacht habe!" Und vielleicht könne man es ja wieder miteinander versuchen. Sie jedenfalls sei bereit dazu.

Im Video zu "Nothing Compares 2 U" kullern
Sinéad O'Connor Tränen übers Gesicht

Natürlich handelte es sich um einen Popsong, geschrieben von einem der Größten des Genres, nämlich Prince. Nicht unbedingt sein bester, weil sich die Melodie irgendwie nicht traf. Und dann war er noch ein Konstrukt aus einer zutiefst verlogenen Welt, einer Gefühlsindustrie. "Nothing Compares 2 U" setzte sich darüber hinweg. Der Song verströmte pure, leidgeprüfte Emotion, und der Gesang wirkte wie ein expressionistisches Gemälde oder ein Gedicht von James Joyce. Dazu noch dieses Video, in dem Sinéad OʼConnor kleine Tränen über die bleichen Backen kullerten. Das war kein kalkulierter Ausbruch, sondern echter Liebeskummer, der einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Keine hätte das Stück so intonieren können. Erschienen war es auf ihrem zweiten Album "I Do Not Want What I Havenʼt Got", und es stieß der damals 23-jährigen Irin buchstäblich alle Türen auf. Sie hätte nur hindurchgehen müssen. Mit einem Mal war Sinéad weltberühmt. Doch über allem, was sie tat, lag stets diese bleierne Schwere, die sich über diese Stimme regelmäßig Bahn brach.

Denn das Leben der Sinéad OʼConnor war im Prinzip von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Geboren am 8. Dezember 1966 in Dublin in einem klassisch katholisch-irischen Umfeld, kämpfte sie ein Leben lang gegen die Dämonen, die ihre Eltern als ständige Wegbegleiter mit auf den Weg gaben. Sowohl Vater wie auch die Mutter sollen sie geschlagen und missbraucht haben, als sie später in die Klosterschule kam, erlebte sie dann eine andere Facette, mit der sich die hohe Geistlichkeit des Körpers und des Kopfes eines jungen Menschen zu eigen machen konnte. Die Haare rasierte sie sich deshalb schon mit 20 zu einer skinheadähnlichen Frisur. "Ich wollte nicht hübsch sein", bekannte sie. "Es ist gefährlich, hübsch zu sein, denn ich wurde überall, wo ich hinkam, vergewaltigt und belästigt."

Für die Plattenfirma sollte Sinéad O'Connor das mondäne Weibchen sein

Natürlich fand das die Plattenfirma überhaupt nicht cool. Sie wollten Sinéad OʼConnor viel lieber als mondänes Weibchen mit langen Haaren, kurzen Röcken, High Heels und Make-up sehen, das Songs schreibt, die nichts infrage stellen. Sie jedoch gab keine "Shows", sondern stellte viel lieber das gesamte System in Frage. Mit gerade mal 25 zerriss sie in "Saturday Night Live" vor laufender Kamera ein Bild von Papst Johannes Paul II. und schaffte es, in kurzer Zeit zu einem Feindbild für die katholische Welt zu werden.

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Sinéad OʼConnor brach ihre Karriere ab, konvertierte zum Islam, ging ins Kloster, absolvierte im Schnelldurchlauf ein Theologiestudium, wechselte ihren Namen so oft wie ihre sexuelle Neigung. Auf ihr Outing als Lesbe folgte das Dementi auf dem Fuß. Und irgendwann trat sie dann doch wieder auf. Ihr eigenes Leben glich einem Scherbenhaufen, den sie immer wieder mühsam zusammenzukehren versuchte, sie stolperte von einer Katastrophe in die nächste.

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Foto: Jean-Christophe Bott, Keystone/EPA/dpa
Foto: Jean-Christophe Bott, Keystone/EPA/dpa

Sinéad O'Connor bei einem Auftritt beim Montreux Jazz Festival im Jahr 2015.

Sohn Shane nahm sich 2022 das Leben

Aber wer hätte dieser begnadeten Künstlerin, die in Depressionen verfiel und ihre Existenz ab 1999 dreimal eigenhändig zu beenden versuchte, aber trotzdem zornig und selbstbewusst blieb, helfen können? Als sich ihr Sohn Shane 2022 das Leben nahm, war dieser Verlust vielleicht der Tropfen, der das stets prall gefüllte Fass an Leid, Trauer und Schmerz zum Überlaufen brachte.

Am Mittwoch ist Sinéad OʼConnor mit 56 Jahren gestorben. Die Gründe dafür bleiben vorerst im Unklaren und bieten allen Raum für Spekulationen. Wie sehr hätte man ihr wenigstens einen normalen Tod nach einem Leben wie diesem gewünscht.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber! Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten. Hier finden Sie eine Übersicht.

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