Brady Corbets „Der Brutalist“ ist ein Film, der seinem Titel alle Ehre erweist. Ein massives Kinoerlebnis, 215 Minuten lang, inklusive einer viertelstündigen Pause, so wie man es aus den alten Hollywood-Formaten a la „Vom Winde verweht“ kennt. Form und Inhalt sind in stetem Kampf und doch im Rückblick in perfektem Einklang miteinander. Ein amerikanisches Epos, das vom Aufstieg und Fall im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten erzählt.
1947 landet der Holocaust-Überlebende László Tóth (Adrien Brody) in New York, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Vor dem Krieg war er in Ungarn ein aufstrebender Architekt, der am legendären Bauhaus studiert hat. In den USA muss er jedoch von vorne anfangen. Zunächst kommt er bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) unter, der ein kleines Möbelhaus betreibt, eine blonde Amerikanerin geheiratet hat und zum Christentum konvertiert ist. Aber eine solche perfekte Assimilation kommt für László nicht infrage. Dafür sind seine künstlerischen Vorstellungen zu ausgefallen, sein Akzent zu stark und die traumatischen Erfahrungen des Holocaust zu tiefgreifend.
„The Brutalist“ erzählt die Geschichte eines Holocaust-Überlebenden Architekten
Als der Sohn eines schwerreichen Industriellen ihn beauftragt, die Bibliothek seines Vaters als Überraschung zum Geburtstag umzubauen, verwandelt Lázló den Raum in einen lichtdurchfluteten Lesesaal, dessen fächerförmige Regale die Bücher durch einen Kippmechanismus verschwinden lassen. Eine Bibliothek, die nicht mit ihrem Bestand protzt, sondern die Magie des Lesens ins Räumliche überträgt. Die Überraschung gelingt.
Harrison Van Buren (Guy Pearce) ist empört über den übergriffigen Umbau und wirft den Baumeister aus dem Haus. Wenige Wochen später steht er wieder vor Lazló, der sich gerade in einem Kohlenlager verdingt. Die Bibliothek ist im Freundeskreis gut angekommen und hat es sogar in ein Lifestyle-Magazin geschafft. Harrison, der inzwischen Lázlós Vergangenheit als gefeierter Architekt recherchiert hat, entschuldigt sich für seinen Ausfall und bietet ihm einen Auftrag an.
Adrian Brody spielt den jüdischen Architekten mit einer faszinierenden Präsenz
Zum Gedenken an die verstorbene Mutter will er auf dem Hügel unweit seines Anwesens ein großes Gemeindezentrum errichten und dem Architekten bei der Gestaltung freie Hand lassen. Harrison lässt sogar seine politischen Kontakte spielen und besorgt die Visa für Lázlós Frau Erzsébet (Felicity Jones) und die Nichte Zsófia (Raffey Cassidy), die die Konzentrationslager überlebt haben, aber aufgrund bürokratischer Hürden nicht ausreisen durften. Lázló stürzt sich in die Arbeit und entwirft ein monumentales Gebäude aus Beton und Glas, dessen Fertigstellung Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.
Mit aller Kraft kämpft der zunehmend heroinsüchtige Architekt um seine kreative Vision, in deren räumliche Gestaltung auch die eigenen Holocaust-Erfahrungen einfließen. Dabei gerät er immer wieder in Konflikt mit seinem Auftraggeber, der ihn finanziell an der kurzen Leine hält, sowie mit den örtlichen Politikern, die in seine Entwürfe hineinregieren wollen. Kompromisslos und mit zunehmender Wahnhaftigkeit verteidigt Lázló die eigene künstlerische Vorstellungen und gerät dabei selbst an seine persönlichen Grenzen.
Wie das Kino ist auch die Architektur eine Kunstform, die von finanzstarken Investoren abhängig ist. Im epischen Format zeigt Corbet in „Der Brutalist“, wie sich dieses Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kunst und Kapitalismus zu einer toxischen Beziehung auswächst. Adrian Brody spielt den jüdischen Baumeister, der nicht nur um seine künstlerische Vision, sondern auch um gesellschaftliche Anerkennung und gegen die Dämonen der Holocaust-Vergangenheit kämpft, mit einer durchgehend faszinierenden Präsenz, die nie ins Overacting abgleitet. Er nimmt das Publikum mit auf eine Reise in die seelischen Abgründe des traumatisierten Immigranten, dessen Talente gewaltsam ausgebeutet werden.
Die Kritik: „The Brutalist“ ist ein Film von enormer cineastischer Wucht
Guy Pearce wiederum verleiht dem zunächst als Karikatur angelegten, schwerreichen Mäzen zunehmend Verletzlichkeit und Tiefe, ohne die Machtversessenheit und Kaltherzigkeit seiner Figur zu kaschieren. Bewunderung und Verachtung für Kunst und Künstler sind nur einen Lidschlag voneinander entfernt in diesem herrschsüchtigen Sponsor, der den Architekten in ein prostitutives Abhängigkeitsverhältnis hineinzwingt.
„Der Brutalist“, der gerade In Venedig und bei den Golden Globes als bester Film ausgezeichnet wurde und mit zehn Nominierungen ins Oscar-Rennen geht, ist ein Film von enormer emotionaler und cineastischer Wucht, der über seine mehr als drei Kinostunden nicht eine Minute langweilig wird. Das Schicksal des Architekten auf der Leinwand reflektiert wohl auch in Teilen die schwierige Produktionsgeschichte des Films, der in Budapest und der Toskana mit einem minimalen Budget von knapp 10 Millionen Dollar realisiert wurde. Unfassbar, was Corbet als bekennender Independent-Regisseur, der sich von keinem Hollywood-Studio hineinregieren lassen wollte, mit diesen begrenzten finanziellen Ressourcen auf die Leinwand bringt.
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