"Dichtung ist ein Gesang, der sich aus einer blutenden Wunde oder einem lächelnden Mund erhebt", dies meint der libanesische Dichter Khalil Gibran zur Verbindung von Lyrik und Musik. Dass Gedichte musikalisch umgesetzt werden, hat eine lange Tradition. Mit den Werken der Krumbacher Schriftstellerin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (1865 bis 1918), kam die Klezmergruppe Mesinke bereits vor einigen Jahren in Berührung. Nun haben die engagierten Musiker eine Reihe der Lachmann'schen Gedichte vertont, aber auch von ihrer Schwester Franziska, die ebenfalls schriftstellerisch tätig war, gibt es etwas auf der CD zu hören.
Deren unveröffentlichte Werke wurden Mesinke von Herbert Auer ("Judaikasammlung") zur Verfügung gestellt. Durch das Verwandeln der Worte in Töne begegnet dem Zuhörer die Botschaft der Dichterinnen nun auf einer anderen Ebene. Für den jüdischen Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine stand die Musik als "dämmernde Vermittlerin zwischen Geist und Materie". Von Franz Schubert, dem "Erfinder" des Kunstlieds, wurden Heines Gedichte vor über 150 Jahren vertont. Das Kunstlied war jene neue Art von Lied, in der sich Kunst durch Kunst erklärt, das Wort durch die Musik und die Musik durch das Wort. Auch Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy haben zahlreiche Verse des kritischen und politisch engagierten Heine vertont, der bis über seinen Tod hinaus von Antisemiten und Nationalisten angefeindet wurde.
Die jüdische Schriftstellerin Hedwig Lachmann, geboren am 29. August 1865 in Stolp/Pommern, ist in Krumbach-Hürben aufgewachsen und verbrachte dort auch die letzten Monate ihres Lebens. Sie starb am 21. Februar 1918, rund neun Monate vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, in Krumbach an einer Lungenentzündung. Hedwig Lachmann ist auf dem Jüdischen Friedhof östlich von Krumbach-Hürben beerdigt. Hedwig Lachmann war mit Gustav Landauer (1870 bis 1919) verheiratet. Landauer spielte nach dem Ersten Weltkrieg in der Münchner Räterepublik eine führende Rolle. Nach der Niederschlagung der Republik wurde der inhaftierte Landauer am Mai 1919 von Freikorps-Soldaten ermordet.
"Es war gar nicht so leicht, die Lachmann'schen Verse in Musik zu verwandeln", berichten Jürgen Groß und Erika Spielvogel, zwei der sechs Ensemblemitglieder der überregional bekannten Klezmerband Mesinke aus Krumbach. Anders als Heines Gedichte sind die "Lachmann-Gedichte" nicht immer einem regelmäßigen Metrum verpflichtet. Enjambements lassen die Sätze über das Versende fließen und zeigen Lachmanns Mut, sich von traditionellen Gedichtformen zu lösen. Diese moderne Art des Dichtens steht vielleicht symbolisch für das bewegte Leben des Sprachtalents aus Krumbach.
Hedwig Lachmann ist 1865 in Pommern geboren
Knapp zehn Jahre nach Heines Tod wurde die jüdische Schriftstellerin 1865 als ältestes von sechs Kindern in Pommern geboren. Sie verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Krumbach/Hürben, wohin ihr Vater als Kantor der Jüdischen Gemeinde berufen worden war. Im Alter von 15 Jahren legte sie in Augsburg ihr Examen als Sprachlehrerin ab, im Jahr 1882 ging sie als Erzieherin für fünf Jahre nach England. Es folgten zwei Jahre in Ungarn, bis sie 1889 nach Berlin übersiedelte.
Im Alter von 26 Jahren veröffentlichte Lachmann erste Gedichte und Essays in Zeitschriften, im selben Jahr erschienen ihre Nachdichtungen aus dem Ungarischen, unter anderem des Dichters Sándor Petőfi, der in Ungarn als Volksheld und Freiheitskämpfer bekannt ist. Ebenso übersetzte die junge Frau Werke von Edgar Allan Poe, Oscar Wilde und des französischen Realisten Honoré de Balzac. Gefühle und Stimmungen in Worte zu fassen und damit auch für andere greifbar und erlebbar zu machen, das war wohl eine der Leidenschaften der Dichterin.
Ist das Vertonen von Gedichten nicht auch eine Art des Übersetzens? Die Gruppe Mesinke, die sich an dieses "Übersetzungsprojekt" gewagt hat, gründete sich im Jahr 1991, als für eine Lehrerfortbildung in Dillingen mit dem Thema "Judentum auf dem Land" eine musikalische Umrahmung gesucht wurde. Zum Mesinke Ensemble schlossen sich damals die beiden Lehrkräfte Jürgen Groß und Erika Spielvogel sowie Martin Glogger, Nicole Hausmann, Thilo Jörgl und Alexander Maier, die damals noch Schüler der Oberstufe waren, zusammen. Das Ensemble ist im Kern dasselbe geblieben, obwohl nicht alle Mitglieder der Gruppe im Zeitraum ihres über 30-jährigen Bestehens immer vor Ort waren.
Vertont wurde auch eine Nachdichtung von Poes "Der Rabe"
Für die in Kürze erscheinende CD haben Mesinke auch Lachmanns Nachdichtung von Poes Gedicht "Der Rabe" vertont. Auch wenn es in diesem Gedicht nicht um Krieg geht, im Rahmen ihrer Übersetzungen der Werke Edgar Allan Poes war die Dichterin sicherlich mit der darin widergespiegelten "natürlichen Boshaftigkeit des Menschen" konfrontiert. Das Grauen erlebte die Dichterin selbst mit dem Ersten Weltkrieg. Auch wurde Lachmann – wie so viele ihrer Zeitgenossen – Zeugin, wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 Tausende junge Männer als begeisterte Kriegsfreiwillige ihr Leben ließen.
Die Gedichte "Die Schlacht" und "Marcia Funebre" von Hedwig Lachmann, welche von Mesinke für ihre CD zusammen in einem Stück verarbeitet wurden, bewegen die Musiker beim Spielen jedes Mal aufs Neue. Das Stück führt an einen Kriegsschauplatz und beschreibt eine blutige Schlacht auf einem Feld. In den letzten Versen schlägt der entsetzte "Ackersmann", im Angesicht seines blutgetränkten Ackers, die Hände vor die Augen. Dieses Bild, das Lachmann mit Worten und Mesinke mit Tönen malen, lässt den Zuhörer nicht los, ist es doch heute wieder von erschreckender Aktualität. Die Schriftstellerin selbst erlebte Angst, Armut und Entbehrung am eigenen Leib, als sie im Jahr 1917 mit ihrem Mann Gustav Landauer nach Krumbach zurückkehrte. Ein Jahr später starb sie an der Grippe und wurde auf dem israelitischen Friedhof in Krumbach/Hürben begraben.
Im Heimatmuseum in Krumbach findet eine Lachmann-Matinee statt
Doch nicht in allen Gedichten von Hedwig Lachmann geht es um Krieg oder Hoffnungslosigkeit. Liebe und Aufschwung spielen ebenso eine wichtige Rolle in ihrem lyrischen Werk, das von einer Mischung aus Lebenslust und Melancholie geprägt ist. Am 18. Juni 2023 findet im Krumbacher Heimatmuseum eine Matinee statt, in deren Rahmen Mesinke das Lachmann-Programm und ihre CD vorstellen. Dort werden die Worte der bemerkenswerten Dichterpersönlichkeit aus Krumbach als Musik erklingen und damit Raum für eine neue "Begegnung" schaffen. Karten sind im Vorverkauf im ABC Büchershop erhältlich.