Kurz bevor im kommenden Jahr ein nationaler CO2-Aufschlag Kraftstoffe erheblich teurer macht, sind die Sprit-Preise noch stabil. Grund ist die Corona-Krise und der Teil-Lockdown der Wirtschaft, der im Jahresverlauf zu deutlich weniger Nachfrage nach Benzin und Diesel geführt hat. Dank eines Sondereffekts ist der Biosprit E10 derzeit sehr billig.
„Super E10 ist seit einiger Zeit sehr günstig zu haben“, sagt Katja Legner vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club ADAC. Der Preisunterschied zum herkömmlichen Superkraftstoff – zum sogenanntem Super E5 – betrage derzeit „fünf Cent und mehr“, je Liter. Das ist außergewöhnlich viel. Normalerweise ist der Preisunterschied zwischen den beiden Kraftstoffsorten mit zwei bis drei Cent gerade einmal halb so ausgeprägt wie derzeit. Zu Jahresbeginn waren normales Super und Super E10 deutschlandweit sogar wochenlang gleich teuer.
Bis zu zehn Prozent Bio-Ethanol aus nachwachsenden Rohstoffen in E10
Für die Autofahrer war es damals ein finanzieller Nachteil, E10 zu tanken. Ihnen blieb nur das gute Gewissen: Dem Sprit werden nämlich aus Umweltschutz- und Klimagründen bis zu zehn Prozent Bio-Ethanol aus nachwachsenden Rohstoffen beigemischt. Das reduziert zwar die CO2-Emissionen der Spritsorte im Vergleich zum herkömmlichen Super. Allerdings sinkt dadurch die Reichweite auch etwas, weil der Brennwert geringer ausfällt.
Zum Ende dieses Jahres stellt sich die Lage aber komplett anders da. Wer E10 tankt, kann sparen – und zwar Geld und Klimagase. „Ab einem Preisabstand von drei Cent je Liter zwischen E5 und E10 lohnt sich der höhere Bioanteil auch finanziell für Autofahrer“, sagt etwa Klaus Schreiner, Motoren-Professor und Maschinenbau-Dekan an der Konstanzer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG). Hinzu komme der gesteigerte Klimanutzen durch sinkende Emissionen.
Zu wenige nutzen E10, obwohl bei den meisten Motoren nichts dagegen spricht
Mit einiger Verwunderung beobachtet der Fachmann, dass sich die Deutschen seit Jahren nicht so recht für den Bio-Kraftstoff erwärmen können. „Bisher nutzen zu wenige Autofahrer diese Option, obwohl bei den meisten Motoren nichts dagegen spricht, E10 zu tanken“, sagt Schreiner.
Vom Berliner Mineralölwirtschaftsverband (MWV) heißt es, alle in Deutschland erhältlichen Automodelle vom Baujahr 2011 an vertrügen den Bio-Sprit ausnahmslos. Nur wer ältere Modelle fahre, müsse in die Technik-Papiere des Fahrzeugs schauen.
Tatsächlich verharrt der Anteil der Autofahrer, die zu dem Öko-Sprit greifen, seit Jahren auf denkbar niedrigem Niveau. Der Kraftstoff machte im vergangenen Jahr laut Angaben des Bundesverbands der deutschen Bioethanolwirtschaft mit 13,7 Prozent nur einen geringen Anteil aller verfeuerten Sorten aus. Der klassische Kraftstoff Super E5 kam demnach auf einen Marktanteil von 81,7 Prozent.
Die Deutschen sind also E10-Muffel, und das ist auch genau der Grund, warum der Sprit im Moment gerade so günstig ist. Seit Anfang dieses Jahres müssen die Tankstellenkonzerne nämlich Treibhausgas-Minderungsquoten erfüllen. Am Jahresende müssen sie durch den Verkauf ihrer unterschiedlichen Mineralöl-Produkte sechs Prozent weniger Emissionen hervorrufen als in der Vorjahresperiode. Halten sie diese Vorgabe nicht ein, werden Strafzahlungen fällig.
Statt E10 wäre auch E20 denkbar, sagt der ADAC
Zeichnet sich zum Jahresende ab, dass die Bio-Quote gerissen wird, haben die Tankstellenbetreiber zwei Optionen. Entweder sie zahlen Bußgeld an den Staat, oder sie erhöhen den Anreiz für die Kunden, E10 zu kaufen. Letzteres passiert gerade.
Diplomatischer drückt man es beim zuständigen Verband aus. Die aktuell sehr hohe Preisdifferenz sei Ausdruck des Ziels der Tankstellen-Gesellschaften, die Quote zum Jahresende zu erfüllen, sagt MWV-Sprecher Alexander von Gersdorff. Das Phänomen sei im Moment „national erkennbar“. Gewinner des Quoten-Geschachers ist der Kunde – wenn er denn zugreift.
Um die schleppende Nachfrage anzukurbeln und im Verkehrsbereich mehr Öko zu verankern, brachte der ADAC überdies vor drei Wochen den Vorschlag eines ganz neuen Kraftstoffs ins Spiel. Statt E10 wäre auch E20 denkbar, sagte der Technik-Chef des Verbands. Dieses enthielte dann ein Fünftel Bio-Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen.
Technik-Experte Schreiner von der HTWG sieht darin kein Problem. E20 sei für die nationale CO2-Bilanz „definitiv besser“ als E5 oder E10, da seine Bio-Komponente aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werde. Die meisten Motoren würden auch einen so hohen Bio-Sprit-Anteil gut vertragen, allerdings müssten die Hersteller ihre Motoren erst aufwendig für einen neuen Mix-Kraftstoff E20 freigeben, um sich rechtlich abzusichern. Ein Prozess, der Jahre dauern kann.
In den USA wird Super-Kraftstoff bis zu 15 Prozent Bio-Ethanol beigemischt
In anderen Ländern ist man da schon weiter. In den USA werde Super-Kraftstoff bis zu 15 Prozent Bio-Ethanol beigemischt, heißt es beim MWV. Und in Brasilien sind Beimischungsquoten zwischen 25 und 100 Prozent die Regel. Ohne dass jemals von Motorenplatzern berichtet worden wäre.
Biokraftstoffe haben es schwer. Der Grund: Sie werden aus Nahrungs- oder Futtermitteln wie Raps (Biodiesel) oder Zuckerrohr, -rüben oder Mais destilliert und normalem Sprit beigemischt. Damit treten Kraftstoffe wie E10 in direkte Flächenkonkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Übrigens ist in normalem Diesel auch ein Bioanteil von bis zu zehn Prozent enthalten, meist gewonnen aus Raps. Einen Ausweg aus der Teller-zu-Tank-Diskussion bieten Kraftstoffe, die aus organischen Abfällen aufbereitet werden (BTL). Diese sind aber nicht wettbewerbsfähig. Die Zukunft liegt in sogenannten Power-to-X-Technologien, die mittels Windstrom Kraftstoffe aller Art bis hin zu Wasserstoff, erzeugen können.
Mittelfristig sprechen sich Fachleute für ganz andere Kraftstoffe aus. „Generell liegt eine Zukunftsoption in synthetischen Kraftstoffen, die beispielsweise weitgehend klimaneutral aus Wind- oder Solarkraft hergestellt werden“, sagt Motoren-Professor Schreiner. Sie wirkten unmittelbar CO2-senkend im riesigen Fahrzeugbestand Deutschlands. Und der Vertrieb dieser Kraftstoffe über das vorhandene Tankstellennetz wäre problemlos möglich. Staatlicherseits erkennt Schreiner im Moment aber zu wenig Impulse die Technologie voranzubringen. In ausreichenden Mengen wäre sie auch noch nicht vorhanden.
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